Berlin. Ein über 1000 Jahre altes Grab eines Mädchens lässt Forscher rätseln: Warum wurde die Tote gefesselt? Wovor hatten die Menschen Angst?
- Immer wieder geben archäologische Entdeckungen der Wissenschaft Rätsel auf
- So auch ein über 1000 Jahre alte Grab in England
- Das Besondere: Das dort beerdigte Mädchen wurde gefesselt und mit dem Gesicht nach unten begraben
Eine mysteriöse Grabstätte gibt britischen Forschenden Rätsel auf. Im Südosten Englands haben Wissenschaftler das Grab eines Mädchens ausgehoben. Die Leiche der 15-Jährigen wurde mit dem Gesicht nach unten begraben, unweit einer Siedlung aus dem frühen Mittelalter.
Doch die Positionierung im Grab ist nicht die einzige Seltsamkeit. Offenbar war das Mädchen auch im Tod an den Füßen gefesselt. Die Stelle, an der das Grab bei entdeckt wurde, macht das Mysterium perfekt. Hatten die Bewohner der Siedlung Angst vor einer Wiedergängerin?
Das Mädchen, das wohl zwischen 680 und 880 nach Christus lebte, wurde nicht auf einem Friedhof bestattet, wie es im England des frühen Mittelalters bereits üblich war. Stattdessen fanden die Wissenschaftler des Museum of London Archaeology (MOLA) den Leichnam in einer Baugrube, auf der zuvor ein aufwendiges Eingangsportal gestanden hatte.
An der Stelle eines tragenden Balkens wurde das Mädchen in ihr Grab gelegt. Anhand des Arrangements der Leiche sei davon auszugehen, dass ihr die Beine an den Knöcheln verbunden waren.
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Dorf stellte sicher, dass Tote im Grab blieb
Aus dem frühen Mittelalter in England sind kaum gängige Begräbnisriten überliefert. Dennoch sticht für die Archäologen die Bauchlage der Toten auch im Kontext der Zeit als ungewöhnliches Merkmal heraus.
"Wir werden sicherlich nie genau wissen, wie diese junge Frau von der Gemeinschaft gesehen wurde, aber die Art, wie sie begraben wurde, sagt einiges darüber aus, dass sie als 'andersartig' wahrgenommen wurde", wird MOLA-Osteologe Don Walker in der Pressemitteilung des Instituts zitiert.
Auch die Möglichkeit, dass das Mädchen für eine Hexe oder Untote gehalten wurde, sei nicht vom Tisch, wie Walker andeutet. Die Fußfesseln "implizieren, dass die Gemeinschaft keine Mühen gescheut hat, um sicherzustellen, dass sie nicht aus ihrem Grab zurückkehrt".
Das Forscherteam geht davon aus, dass Bestattungen bäuchlings für diejenigen vorgesehen waren, die von der Gemeinschaft als Außenseiter oder gar Aussätzige betrachtet wurden.
Walker nimmt an, dass die Positionierung im Grab kein Zufall sei: "Ihr Begräbnisritual hat wahrscheinlich die Art ihres Todes oder die Stellung ihrer Familie in der Gemeinschaft wiedergespiegelt." In europäischen Kulturen des Mittelalters seien zudem auch Todesopfer von Gewalt oder Menschen, die unerwartet verstarben, mit dem Gesicht nach unten begraben worden.
Begräbnisse, die damals noch nicht mit kirchlichen Praktiken verquickt waren, seien aber in aller Regel bereits mit dem Gesicht nach oben ausgeführt worden.
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Mädchen dürfte hartes Leben geführt haben
Weitere Hinweise auf eine niedere Stellung in der gesellschaftlichen Hierarchie liefern die Gebeine der Toten. Das Skelett der 15-Jährigen lässt auf ein hartes Leben im mittelalterlichen England sowie Mangelernährung im Kindesalter schließen.
Walker, dessen Fachdisziplin die Analyse von Knochen ist, attestiert der Jugendlichen eine Erkrankung der Wirbelsäule, die von harter körperlicher Arbeit wohl zusätzlich befeuert wurde.
Entdeckt wurde der Leichnam bei Ausgrabungen im englischen Cambridgeshire bei dem Dorf Conington zwischen 2016 und 2018. Neueste Untersuchungsergebnisse veröffentlichte das MOLA Mitte August diesen Jahres.
Aus Radiokarbonanalysen wissen die Archäologen, dass nur wenig Zeit zwischen dem Begräbnis und der Aufgabe der Siedlung im späten neunten Jahrhundert vergangen sein kann. Ob beide Ereignisse in Verbindung stehen, bleibt Gegenstand von Mutmaßungen.
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Parallelen mit kopfloser Leiche
Auch ist den Wissenschaftlern nicht klar, warum die Dorfbewohner die Grube des einstigen Siedlungstors wählten. Möglich sei es, dass die Stelle während Grabungsarbeiten genutzt wurde. Näherliegend sei aber, dass die Position an der Siedlungsgrenze bewusst gewählt war.
So verweisen die MOLA-Archäologen auf eine nur rund 50 Kilometer entfernte Grabstätte, die ebenfalls auf der Grenzlinie einer mittelalterlichen Siedlung liegt. Genau wie das gefesselte Mädchen wurde die Frauenleiche bäuchlings begraben.
Auch sie war vermutlich eine Person niederer Stellung, die mit abgetrennten Gliedmaßen und enthauptet begraben worden war. Möglicherweise wurde sie exekutiert.
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Beide grausigen Funde datieren auf eine Wendezeit in der frühmittelalterlichen Geschichte Englands. Gegen Ende des neunten Jahrhunderts Begann der Zerfall des altkeltische Königreichs von Mercia, das auf den britischen Inseln auf das römische Reich folgte. Verdrängt wurde die mercische Dynastie durch Invasionen von Wikingern sowie inneren Zerfall bis zum Jahr 918.
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