Berlin/Meymac. In Frankreich läuft die Suche nach einem lange geheimgehaltenen Massengrab von Wehrmachtsoldaten. Der letzte Zeuge brach das Schweigen.
Erde, aufgeschüttete Erde. Nichts Ungewöhnliches. "Wir müssen weiterarbeiten", bemerkt Thomas Schock. "Nur die Erde kennt die Wahrheit." Die Erde und Edmond Réveil. Der Mann ist der letzte Augenzeuge einer schrecklichen Tat: der Erschießung von 47 Wehrmachtsoldaten und einer französischen Frau im Juni 1944.
Seit Ende Juni wird nach dem vergessenen oder verdrängten Massengrab in Südfrankreich gesucht. Das ist nicht gerade einfach. Réveil ist bald 99 Jahre alt, das Verbrechen liegt schon wieder fast 80 Jahre zurück. Und grundsätzlich kommt eine Fläche von fast 3000 Quadratmetern in Frage. Hinzu kommt, dass der Tatort sich im Laufe der Zeit verändert hat: Wo frühen Hecken waren, stehen heute hohe Bäume, Küstentannen und Lerchen.
Suche nach Massengrab in Frankreich: Kein Erfolg am ersten Tag
Deswegen kann es niemanden wirklich überraschen, dass in den ersten Tagen der Grabungen keine Funde gemacht wurden. Nicht die Leute vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, die für die Kosten aufkommen. Nicht ihre französischen Partner sowie die örtliche Präfektur. Auch nicht die fast 50 Journalistinnen und Journalisten, die seit Mittwoch in Meymac sind und nicht viel mehr zu sehen bekamen als einen Graben, 1,3 Meter tief, 1,8 Meter breit, über 40 Meter lang.
Sollten Gebeine gefunden werden, dann werden sie auf einer deutschen Kriegsgräberstätte in Frankreich bestattet. Konkret sucht man nach 36 Soldaten. Denn elf wunden schon 1969 in der Nähe exhumiert. Damals hielt man es für einen Zufallsfund, nach Réveils Geständnis ergaben sich neue Zusammenhänge.
Soldaten mussten ihre eigenen Gräber im Wald ausheben
"Heute müssen die Leichen ihren Familien zurückgegeben werden. Wir haben sie mit ihren Soldbüchern und Erkennungsmarken begraben. Ich bin froh, dass die Tat heute kein Geheimnis mehr ist“, sagt Réveil.
Seltsamerweise redet kaum jemand von der Frau. Sie wurde nie vermisst, man kennt keinen Namen. Es ist nicht mal sicher, ob sie überhaupt eine Kollaborateurin war. "Sie wurde trotzdem erschossen", sagt Diane Tempel-Bornett vom Volksbund.
"Papillon“ brach die Mauer des Schweigens
Mitte Mai brachte Réveil mit einem Interview, besser gesagt: einem Geständnis, in der Zeitung "La Montagne" alles ins Rollen. Mit 19 Jahren gehörte er einst einer Widerstandsgruppe an. Sein Kampfname: "Papillon“, also "Schmetterling“.
Papillon und seine Kameraden hatten 47 deutsche Soldaten und eine Frau gefangen genommen und den Befehl bekommen, sie zu erschießen. Man habe sie gezwungen, ihr eigenes Grab auszuheben. Dann wurden sie alle getötet. Da keiner die Frau erschießen wollte, sei einer ausgelost worden. Es war der 12. Juni 1944, "und dann haben wir nie wieder darüber gesprochen."
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Großes Medieninteresse in Frankreich
Nachdem er sein Gewissen erleichtert hatte, begann schon wenige Wochen später Ende Juni die Suche nach dem Massengrab, In der ersten Phase suchte ein Team von "Georadar NRW“ mehrere Tage lang nach Anomalien im Boden, nach auffälligen Veränderungen der Bodendichte etwa, die auf Grabstrukturen hindeuten könnten. Die Auswertung ergab drei Verdachtsflächen, unter anderem in einem rechteckigen Areal von 45 Metern Länge und zehn Metern Breite, wo derzeit gesucht wird.
Viele sind an der Suche beteiligt, weit über die zuständigen Behörden und Organisationen hinaus: Freiwillige aus Deutschland, aber auch ein französisches Archäologenteam, dazu die Medien. "Das Interessen ist in ganz Frankreich riesig", weiß Diane Tempel-Bornett. Wenn sie bis Ende August nicht fündig werden, stellt sich für Thomas Schock, der den Volksbund-Umbettungsdienst leitet, die Sinnfrage. Weiter machen oder nicht? Es ist auch eine Kostenfrage. Der Volksbund ist auf Spenden angewiesen.
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Es war kein Racheakt, der Grund ist so brutal wie banal
In Meymac war die Tat im Prinzip bekannt. Aber nach dem Krieg legte sich eine "Mauer des Schweigens“ über das Geschehene, womöglich um das Bild des Widerstands nicht zu beschmutzen.
Dass es ein Kriegsverbrechen war, ist Réveil wohl bewusst, "wir hatten nicht das Recht, die Gefangenen zu töten." Er stellt es auch nicht als Racheakt dar, nachdem die Waffen-SS wenige Tage zuvor in Tulle und Oradour-sur-Glane ein Massaker verübt hatte. Die brutale Wahrheit ist: Die Partisanen seien damit überfordert gewesen, eine Gruppe von Kriegsgefangenen zu versorgen. Es war einfacher, sie zu töten. 80 Jahre später kann man nur noch eines für sie tun: Sie sollen ihre Namen zurückbekommen.
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