Berlin. Seit Sonntag wird ein U-Boot vermisst, das auf dem Weg zum berühmten Wrack der Titanic war. Doch wie improvisiert war die Mission?
- In fast 4000 Metern Tiefe herrscht ein enormer Wasserdruck auf die Materialien eines U-Boots
- War das auf dem Weg zur Titanic verschwundene Tauchboot Titan für solche Touren überhaupt geeignet?
- Ein Ex-Mitarbeiter des betreibenden Unternehmens meldet Zweifel daran an
Ereignet sich nach 111 Jahren eine zweite Tragödie? Seit Sonntag ist das Tauchboot Titan spurlos verschwunden. Die fünf Passagiere an Bord wollten das legendäre Titanic-Wrack aus nächster Nähe betrachten. Während die Suchaktion läuft, mehren sich jetzt die Zweifel an der Zuverlässigkeit des U-Boots, mit dem die Firma Oceangate Expeditionen in eine Tiefe von 3800 Metern durchführte.
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Titanic-U-Boot: Unsichere Fenster verwendet? Ex-Mitarbeiter berichtet
Dem "Handelsblatt" zufolge hatte Oceangate im Jahr 2018 einen Mitarbeiter entlassen, der zuvor auf Sicherheitsmängel hingewiesen hatte. Aus Gerichtsdokumenten geht hervor, dass das Unternehmen den Mitarbeiter David Lochridge im selben Jahr verklagt hatte – der Grund: Er habe angeblich vertrauliche Informationen weitergegeben und damit gegen seinen Arbeitsvertrag verstoßen.
Dieser legte wiederum eine Beschwerde gegen Oceangate ein: Er sei zu Unrecht entlassen worden, weil er mit seinen Handlungen die Sicherheit der Passagiere in dem U-Boot gewährleisten wollte. Demnach hatte der entlassene Mitarbeiter vor fünf Jahren Bedenken hinsichtlich der Sicherheit des Tauchboots geäußert und zu weiteren Überprüfungen geraten, unter anderem zu Tauchgängen mit "nicht zerstörerischen Tests". Hierbei werden Materialien genauestens überprüft, vor allem auf Widerstandsfähigkeit und Verlässlichkeit. Oceangate habe Tauchgänge ohne die sogenannten "nicht zerstörerischen Tests" bevorzugt.
In der Beschwerde heißt es weiter, dass die Passagiere über den Mangel dieser Test sowie über gefährliche entflammbare Materialien in dem Tauchboot nicht aufgeklärt worden seien.
Ein weiterer Punkt: Das Unternehmen habe das Tauchboot mit Sichtfenstern ausgestattet, die nur bis zu einem Druck von 1300 Metern zugelassen waren. Sichtfenster mit einer Zulassung für eine Tiefe von bis zu 4000 Metern, die beim Tauchgang zur Titanic notwendig gewesen wären, habe Oceangate nicht bezahlen wollen.
Dem "Handelsblatt" zufolge wurde die Klage von Oceangate als auch die Beschwerde von Lochridge mittlerweile allerdings in einer außergerichtlichen Einigung beigelegt.
Titanic-Fotostrecke: Verschwundenes U-Boot sorgt für Rätsel
"Titan": Erschreckende Mängel bei Titanic-Tauchboot?
Der Reporter David Pogue begab sich im letzten Jahr für die US-amerikanische Nachrichtensendung "CBS News" selbst an Bord der "Titan" und dokumentierte seine Reise zum Grund des Meeres. "Dieses Versuchsschiff wurde von keiner Aufsichtsbehörde genehmigt oder zertifiziert und könnte zu körperlichen Verletzungen, emotionalen Traumata oder zum Tod führen“, steht laut dem Reporter in den Unterlagen von Oceangate.
Als sich Pogue das Schiff näher anguckte, seien ihm einige Details aufgefallen, die "improvisiert" gewirkt hätten. Der Haltegriff etwa sei aus dem Campingzubehör gewesen und rostige Stahlrohre sollen als Gewicht gedient haben. "Die Steuerung des Fahrzeugs erfolgt mit einem Videospiel-Controller", hieß es zudem. Falls das Boot eingeklemmt werde oder Leck schlage, "gibt es kein Backup, keine Rettungskapsel“, sagte Pogue der BBC.
U-Boot: Inhaber relativierte damals Sicherheitsbedenken
Darauf angesprochen, relativierte der Inhaber von Oceangate, Stockton Rush, damals die Eindrücke des Reporters. Nur der Druckbehälter, der gemeinsam mit Boeing, der NASA und der Universität in Washington entwickelt wurde, dürfe nicht ausfallen. "Alles andere kann ausfallen, Ihre Triebwerke können kaputtgehen, Ihr Lichter können ausgehen. Du wirst immer noch in Sicherheit sein", so Rush.
Beim ersten Tauchgang habe es die Titan nur in eine Tiefe von 11 Metern geschafft, da sich die Schwimmkörper von der Plattform gelöst hätten. Eine Passagierin schilderte in diesem Zusammenhang, dass sie bereits bei drei Titanic-Missionen dabei war, die alle abgebrochen werden mussten.
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Auch andere Missionen zur Titanic scheiterten fast
Auch andere Journalisten berichteten bereits von der Gefahr, die von solchen Expeditionen zum Grund des Meeres ausgehen. Der Wissenschaftsredakteur Michael Guillen etwa war nach eigenen Angaben für "ABC News" als erster Journalist am Grund des Meeres, wo das Wrack der Titanic liegt.
Nach dem jüngsten U-Boot Unglück postete er bei Twitter ein Video, dass in einer Animation den Unfall im Jahr 2000 zeigt. „Es ist ein Unfall passiert, der mir fast das Leben gekostet hätte“, schrieb er unter dem Beitrag.
In der Animation ist zu sehen, wie das U-Boot von damals mit dem Heck des Titanic-Wracks kollidiert. „Als wir uns dem Heck des Schiffes näherten, gerieten wir plötzlich in eine starke Unterwasserströmung, die uns auf einen der gigantischen 21-Tonnen-Propeller zutrieb.“ Das U-Boot hätte daraufhin im Wrack der Titanic festgesteckt.
Fehlende Sicherheit von Tauchboot: Experten fordern Untersuchung
Experten erwarten unterdessen angesichts der fehlenden Sicherheitsvorkehrungen Konsequenzen. "Es wird sicherlich eine Untersuchung nach dieser Katastrophe geben und deutlich striktere Regeln und Vorschriften werden eingeführt werden", sagte der Chef der auf Titanic-Ausstellungsstücke spezialisierten Firma White Star Memories, David Scott-Beddard, am Donnerstag dem Sender CNN.
Der Vorfall in der Nähe der Titanic im Atlantik werde zweifellos die Möglichkeit beeinträchtigen, das berühmte Wrack zu besichtigen und zu erforschen. "Die Chancen von künftiger Forschung am Wrack der Titanic sind äußerst gering. Wahrscheinlich nicht zu meinen Lebzeiten", sagte Scott-Beddard.
Der bekannte Meeresforscher David Mearns sagte der BBC, dass das Tauchboot nicht unabhängig zertifiziert worden sei, gebe Anlass zur Sorge. "Würde ich ein Fahrzeug ohne Zertifizierung wählen? Das ist noch nicht mal erlaubt. Ich glaube, das beantwortet die Frage", sagte der als "Wrack-Jäger" bekannte Experte. Er forderte, die Branche müsse sich genau reflektieren und prüfen, ob man wirklich Passagiere mit an solch entlegene Orte bringen sollte. "Denn wenn etwas schief geht, gibt es sehr, sehr wenige Möglichkeiten für eine Bergung." (fmg)
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