Bad Berleburg/Münster. Update zum Präzedenzfall vor dem Oberverwaltungsgericht: Bad Laaspher Windkraftunternehmen verklagt Kreis wegen „Abschattung“ durch Konkurrenz.

Für Wittgenstein ist dieses Gerichtverfahren ein Präzedenzfall. Salopp formuliert, geht es um Winddiebstahl: „Wir schauen mit großer Sorge nach Münster“, sagt Karl Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg. Der Geschäftsführer der Wittgenstein-Gruppe wartet „mit Spannung“ auf den Ausgang eines Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht Münster. Das Windkraftunternehmen mit Sitz in Bad Laasphe hat gegen eine Baugenehmigung des Kreises für einen Windpark der Konkurrenz geklagt. Der betroffene Konkurrent Eurowind zweifelt daran, ob die Auswirkungen des Windschattens so groß sind, wie von der Klägerin behauptet.

Die Eder Energy, eine Tochtergesellschaft der Wittgenstein Gruppe, wendet sich mit der Klage gegen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Kreises Siegen-Wittgenstein. Der Kreis hatte die Errichtung und den Betrieb von acht Windenergieanlagen mit einer Gesamthöhe von jeweils 250 Metern durch die Eurowind GmbH genehmigt. Diese acht neuen Anlagen werden nördlich von Arfeld in direkter Nachbarschaft des bestehenden Windparks errichtet. Am Prenzenberger Kopf betreibt die Eder Energy seit Juni 2022 vier Anlagen mit einer Höhe von 200 Metern.

Karl Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, Geschäftsführer der Wittgenstein New Energy, Bad Laasphe

„Es gibt eine Schwelle, bis zu der ein Windkraftverlust durch angrenzende Anlagen hinzunehmen ist, aber wir sagen ganz klar, in diesem Fall ist die Abschattung zu groß.“

Karl Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg
Windkraftunternehmer

Laut der Pressemitteilung des Oberverwaltungsgerichtes Münster macht die Eder Energy als Klägerin „insbesondere geltend, dass die neu genehmigten Anlagen ihr gegenüber rücksichtslos seien, weil sie Abschattungseffekte mit sich brächten, die zu Ertragseinbußen führten und ihre Windenergieanlagen unwirtschaftlich machten“. Übersetzt heißt das, die vier Windräder der Eder Energy könnten je nach Windrichtung im Windschatten der neuen Anlagen von Eurowind stehen. Diese neuen Anlagen könnten den alten den Wind wegnehmen oder ihn zumindest erheblich abschwächen. „Es gibt eine Schwelle, bis zu der ein Windkraftverlust durch angrenzende Anlagen hinzunehmen ist, aber wir sagen ganz klar, in diesem Fall ist die Abschattung zu groß. Sie ist sogar so hoch, dass eine Unwirtschaftlichkeit droht“, unterstreicht Karl Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg die Einschätzung von Gutachtern, die sein Unternehmen beauftragt habe. „Deswegen haben wir uns zur Klage entschlossen. Für uns ist das auch das erste Mal“, sagt der Windkraftunternehmer, der aber auf ähnliche Fälle verweist, die vor Verwaltungsgerichten entschieden wurden. Eine Lösung könnte zum Beispiel sein, dass bestimmte Anlagen zeitlich begrenzt abgeschaltet werden müssen, wenn der Wind aus einer bestimmten Richtung kommt und sie den dahinter liegenden Anlagen den Wind wegnehmen.

Das ist eines von vier Windrädern, die von der Wittgenstein Gruppe bei Bad Berleburg errichtet worden sind. Weil direkt daneben ein anderer Windkraftunternehmer baut, hat die Wittgenstein Gruppe jetzt gegen die Genehmigung des neuen Windparks geklagt.
Das ist eines von vier Windrädern, die von der Wittgenstein Gruppe bei Bad Berleburg errichtet worden sind. Weil direkt daneben ein anderer Windkraftunternehmer baut, hat die Wittgenstein Gruppe jetzt gegen die Genehmigung des neuen Windparks geklagt. © FUNKE Foto Services | RALF ROTTMANN FUNKE FOTO SERVICIS

Das ist der Wake-Effekt

Der Recherchedienst „Sience Media Center Germany“ aus Köln berichtet bereits im November 2018 von solchen Effekten. Dort heißt es: „Windräder bremsen den Wind und verwirbeln die Luft hinter den Rotoren. Genau wegen dieses Wake-Effekts werden einzelne Windräder ja in bestimmten Mindestabständen zueinander aufgestellt. Forscher aus den USA berichten nun in der kommenden Ausgabe von Nature Energy: Diese Zonen reichen weit und können den Ertrag von Parks auf der Leeseite des vorangehenden um bis zu fünf Prozent reduzieren. Das Team stützt sich auf den Vergleich von drei Windparks in Texas, von denen zwei nur wenige hundert Meter voneinander entfernt stehen, aber auch auf atmosphärische und wirtschaftliche Modelle. Der Wake-Effekt kann bis zu 50 Kilometer weit reichen, offshore sogar noch weiter. Um unnötige Verluste oder Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, regen die Wissenschaftler an, generell Regeln für den Aufbau von Windparks aufzustellen, die den Einfluss anderer Parks in der Nähe berücksichtigen.“ Allerdings sei es wichtig, zwischen Windparks auf dem Meer und an Land genau zu unterscheiden. Und belastbare Aussagen dazu, wie stark die Effekte sind, sind Gegenstand von noch laufenden Untersuchungen.

Das ist die Rechtsfrage

Weil Wind niemandem gehört, kann er nicht gestohlen werden. Und die Wirtschaftlichkeit eines Windparks ist für die Erteilung einer Baugenehmigung nicht relevant. Deswegen geht es in dem konkreten OVG-Verfahren mutmaßlich um eine andere Frage: Sind die Verwirbelungen, die durch den Rotor einer laufenden Windkraftanlage entstehen, eine Immission, müssten sie also in einem immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren berücksichtigt werden?

„Unserer Ansicht nach beruhen deren Zahlen zum ‚Windklau‘ auf Annahmen, die erst einmal im tatsächlichen Betrieb nachgewiesen werden müssten“

Hans Herrmann Zacharias
Büroleiter Marburg bei Eurowind

Das sagt Eurowind zur Klage

„Wir gehen gelassen in dieses Verfahren“, sagt der zuständige Büroleiter Marburg von Eurowind, Hans Hermann Zacharias. Sein Unternehmen zweifelt an den Zahlen in dem Gutachten der Eder Energy. „Unserer Ansicht nach beruhen deren Zahlen zum ‚Windklau‘ auf Annahmen, die erst einmal im tatsächlichen Betrieb nachgewiesen werden müssten“, so Zacharias. Dazu aber müssten beide Windparks erst einmal in Betrieb sein. Zacharias verweist zudem auf ein Urteil in einem ähnlichen Fall. Darin sei davon die Rede, dass zehn Prozent Abschattung bzw. Leistungseinbuße hinnehmbar seien. Eurowind geht davon aus, dass die Verluste durch „Windklau“ für die beiden Parks geringer sein werden. Zacharias erläutert, dass in Wittgenstein auch besondere Windbedingungen herrschen, weil man hier deutlich mehr Westwind als Südwestwind habe. Auch das müsse berücksichtigt werden. „Im Übrigen stehen unsere Anlagen ja auch im Windschatten von Eder Energy“, macht Zacharias deutlich, dass das Problem auf Gegenseitigkeit beruhen könne. Auch Eurowind bestätigt, dass Abschattungseffekte auch nach Kilometern noch messbar seien. Die Gretchenfrage ist nun aber, wie stark könnten sich die zu erwartenden Abschattungen auswirken.

Der Kreis Siegen-Wittgenstein, der in dem Verfahren der Beklagte ist, will sich mit Verweis auf ein noch laufendes Verfahren nicht äußern.

Mit der mündlichen Verhandlung vor dem 22. Senat des Oberverwaltungsgerichtes Münster könnte das Verfahren mit dem Aktenzeichen: 22 D 22/24.AK am Montag, 10. Februar, ein Ende finden. „Üblicherweise wird am Tag der mündlichen Verhandlung auch ein Urteil gesprochen“, erläutert die Pressesprecherin des OVG Münster, Richterin Dr. Gudrun Dahme auf Nachfrage. Grundsätzlich sei es aber auch möglich, dass es noch zu einer Lösung ohne Urteil komme, oder dass eine Klage zurückgezogen werde. Für die mündliche Verhandlung, die um 10.30 Uhr im Sitzungssaal 2 in Münster stattfindet, sind zweieinhalb Stunden anberaumt. Der 22. Senat ist einer von zwei speziell mit Windkraftverfahren betrauten Senate am OVG Münster.

Lex Sauerland: „Unfassbarer Schaden für Windkraft“

Der Wittgensteiner Windkraftunternehmer, Karl Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, kritisiert den Kompromiss zur Windkraft, auf den sich CDU, SPD und Grüne im Bund geeinigt haben. Dadurch wurde die Steuerungswirkung der Kommunen für die Übergangszeit bis zur Gültigkeit des Regionalplans gestärkt. Bis dahin sind Windkraftanlagen auch außerhalb von Vorrangzonen möglich gewesen, weil diese Vorrangzonen vielfach durch Gerichte wie im Fall Bad Berleburg wegen Formfehlern außer Kraft gesetzt worden sind.

„Diese Entscheidung bedeutet einen unfassbaren Schaden für die Windkraftindustrie“, sagt Karl Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg. Die 1000 Windräder, die nun in NRW nicht genehmigt werden sollen, bedeuten laut Prinz Wittgenstein geschätzt 300 Millionen Euro Verlust für verschiedene beteiligte Unternehmen. Und die Kommunen, in denen keine Vorrangzonen geplant worden waren, oder die durch hinausgezögerte Planungen den Windkraftausbau verhindert hätten, bekämen das Signal: „Das Nichtstun hat sich gelohnt. Die Bürgermeister werden durch die Lex Sauerland geschützt.“

Für die Windkraftprojektierer bedeutet diese rechtliche Lage jetzt, dass man bis zu einer Rechtskraft des Regionalplanes keine Vorhaben mehr planen werde. Allerdings können Anlagen nicht verhindert werden, die bereits genehmigt sind, oder für deren Genehmigung eine Vollständigkeitserklärung der Kreise vorliege, deren Unterlagen also zur Genehmigung vorliegen.

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