Siegen-Wittgenstein. Zahlreiche Landwirte und Traktoren auf Wittgensteins Straßen: Ein Jahr nach den Protesten ziehen heimische Landwirte ein unterschiedliches Fazit.
Es war die wohl größte Demonstration, die Siegen am Ende Dezember 2023 erlebte, als etwa 1400 Landwirte und 1000 Fahrzeuge die Kreisstadt zum Schauplatz ihres Protestes gemacht hatten. Bundesweit fanden damals die sogenannten Bauernproteste statt.
Auch in Wittgenstein wurde Anfang Januar 2024 eine Aktion ins Leben gerufen, bei der 240 Fahrzeuge teilnahmen - Trecker, Lkw und Handwerksbusse. Die Bilanz damals: „Nur positives Feedback. Es gab angeregte Diskussionen an den Infoständen und gute Erfahrungsberichte aus den Kolonnen“, hieß es. Doch was haben die Proteste gebracht? Unsere Redaktion hat bei zwei Landwirten nachgefragt.
„Es ging um viel mehr als um Subventionen beim Agrardiesel“
Heinrich Menn, Landwirt aus der Rohrbach und Mitorganisator der Wittgensteiner Protestaktion Anfang Januar 2024, kann sich noch gut an den Tag erinnern. Schon früh ging es bei eisigen Temperaturen für die Landwirte auf die Straße.
Das Motto: „Wir wollen auffallen, entschleunigen, wollen informieren ohne zu blockieren“, fasste es Menn damals zusammen. Deswegen fuhren die Wittgensteiner Landwirte und Fuhrunternehmer eine zweigleisige Strategie. Ein Jahr später jedoch zieht der Landwirt ein eher ernüchterndes Fazit: „Wirklich etwas geändert hat sich für uns ehrlich gesagt nicht.“
Damals trieben vordergründig die Pläne der Bundesregierung die Landwirte auf die Straßen. Die plante eine Abschaffung der grünen Kfz-Kennzeichen für landwirtschaftliche Fahrzeuge und die Subventionen beim Agrardiesel zu streichen. Später zog die Regierung einige der Kürzungen zurück. So bleiben die grünen Kennzeichen erhalten und Traktoren weiterhin steuerbefreit.
Doch: „Die Abschaffung der Subventionen beim Agrardiesel erfolgt in drei Schritten. Am Ende hat sich dort nichts geändert“, so Menn. „Und es ging nicht nur um die Subventionen beim Agrardiesel, es ging um viel mehr: um die Sorgen um den Berufsstand, der Forderung nach Bürokratieabbau und einen fairen Wettbewerb.“ Denn: „Wir stehen vor einer Marktveränderung.“
Internationaler Konkurrenzkampf und zu viel Bürokratie
Hinzu komme der starke Konkurrenzkampf mit anderen Betrieben im Ausland. „Es ist okay und wir stellen und auch dem internationalen Wettbewerb, aber dann sollten alle Agrarimporte auch die gleichen Anforderungen erfüllen, wie wir“, sagt Menn. Nur so könnten heimische Produkte auch preislich wieder konkurrenzfähig werden.
„Es ging nicht nur um die Subventionen beim Agrardiesel, es ging um viel mehr: um die Sorgen um den Berufsstand, der Forderung nach Bürokratieabbau und einen fairen Wettbewerb.“
Dennoch blickt der Landwirt auch gern auf die Protestaktion zurück: „Der starke Zusammenhalt unter den Landwirten war deutlich spürbar und wir haben viel Zuspruch und Unterstützung durch die Bevölkerung bekommen. Das war ein gutes Gefühl.“
Das sieht auch Katharina Treude aus Birkefehl so. Die Kreislandwirtin war unter anderem auch in Siegen vor Ort, als fast eineinhalbtausend Landwirte auf die Straße gingen. „Das war schon Wahnsinn, was hier regional auf die Beine gestellt wurde.“ Die Unterstützung durch die vielen Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen und der Zuspruch sei eine wertvolle und wichtige Erfahrung gewesen. „Wir hatten eine Stimme und man hat uns zugehört.“
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Auch nach den Protestaktionen habe es Gespräche - unter anderem mit Vertretern aus der Politik - gegeben. „Ich würde mir wünschen, dass wir auch weiterhin im Austausch bleiben, miteinander sprechen.“
Sie selbst zieht ein gemischtes Fazit: „Ich glaube, viele haben sich von den Protesten mehr erhofft und sind etwas enttäuscht. Dennoch kann man meiner Meinung nach nicht sagen, dass man nichts erreicht hätte“, sagt sie - unter anderem mit Blick auf die grünen Kfz-Schilder.
Gemischtes Fazit der Kreislandwirtin
Mit Blick auf Bundesebene habe man beispielsweise die Flächenstilllegung ausgesetzt, nach der (nach aktueller EU-Agrarreform) sonst alle Landwirtschaftsbetriebe jährlich vier Prozent ihrer Fläche stilllegen müssten. „Das aber betrifft nur die Betriebe, die hauptsächlich Ackerbau betreiben“, so Treude.
Hinzu komme eine sogenannte Gewinnglättung. Heißt: Landwirte können jeweils am Ende eines dritten Jahres eine Steuerrückzahlung erhalten, sofern die Steuer auf den durchschnittlichen Gewinn der drei Jahre niedriger ausfällt als die Summe der Steuern für die drei Einzeljahre, erklärt die Kreislandwirtin. „Das ist aber eine Null-Rechnung und nicht alle Betriebe profitieren von den Endergebnissen.“
„Ich glaube, viele haben sich von den Protesten mehr erhofft und sind etwas enttäuscht. Dennoch kann man meiner Meinung nach nicht sagen, dass man nichts erreicht hätte.“
Auch das Thema Bürokratie sei nach wie vor ein wichtiges Thema. „Die vielen, doppelten Dokumentationen sind ein enormer Aufwand für die Bauern“, weiß Treude auch mit Blick auf die in nur wenigen Wochen erneuten Absenkung der Versteuerungspauschale auf mittlerweile 7,8 Prozent, die einen hohen Aufwand für die Landwirte bedeute.