Hagen. Bei den riesigen Bauernprotesten vor einem Jahr waren im Sauerland und Siegerland Hunderte Landwirte unterwegs. Was hat das gebracht?
Es war Behördenangaben zufolge die größte Demonstration, die die Kreisstadt Siegen je erlebt hat: 1400 Landwirte, doppelt so viele Teilnehmer wie erwartet, und 1000 Fahrzeuge hatten am 29. Dezember 2023 Südwestfalen zum Schauplatz der bundesweiten Bauernproteste gemacht. Haben die Aktionen der Landwirte vor einem Jahr - unter anderem fand auch eine Sternfahrt von Traktoren zum Flugplatz Meschede-Schüren am 8. Januar 2024 statt - etwas gebracht? „Teils, teils“, sagt Bernd Eichert, einer aus dem damaligen Organisationsteam in Siegen: „Es gibt für uns Landwirte noch viele Probleme, die gelöst werden müssen. Aber als Weckruf waren die Bauernproteste gut. Auch weil ein großer Zusammenhalt da war.“
Bernd Eichert bewirtschaftet unter dem Namen „Bio-Bauer Bernd“ in seinem Nebenerwerbs-Betrieb in Wenden-Bebbingen 25 Hektar Grünland und hält eine Herde von 20 Limousin-Rindern. Wie ein Damoklesschwert kreist über vielen Höfen im Land die Nachfolgefrage: „Viele aus meinem Berufsstand sind zwischen 50 und 60 Jahren alt und fragen sich, wie sie angesichts des Fachkräftemangels ihre Betriebe zukunftssicher machen können und wie die junge Generation zu motivieren ist, dass diese irgendwann Verantwortung übernimmt.“
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Was die Motivation aus seiner Sicht hemmt: eine schier endlose Regulierungswut. „Die Politik muss endlich Fesseln lösen“, sagt Eichert und erinnert daran, dass die Landwirte bei ihren Protesten die ausufernde Bürokratie, unter anderem mit ihren Dokumentationspflichten, angeprangert hätten. „Die Klagen werden mittlerweile in allen Bereichen unserer Wirtschaft erhoben.“
Damals trieben vordergründig Pläne der Bundesregierung die Landwirte auf die Straßen, Subventionen beim Agrardiesel zu streichen. Doch es ging um mehr: um die Sorgen um den Berufsstand angesichts zunehmender Betriebsschließungen, um eine vermeintlich fehlende Anerkennung: „Bei dem zweiten Punkt hat sich die Lage verbessert. In breiten Teilen der Bevölkerung ist angekommen, dass es geopolitisch Sinn macht, Lebensmittel in Deutschland und Europa selbst zu produzieren und sich nicht auf billige Agrarimporte zu konzentrieren. Welche Abhängigkeiten entstehen können, haben wir beim Gas gesehen.“
„In breiten Teilen der Bevölkerung ist angekommen, dass es geopolitisch Sinn macht, Lebensmittel in Deutschland und Europa selbst zu produzieren.“
Nach den landesweiten Bauernprotesten hatte die Bundesregierung einen Teil der Kürzungspläne zurückgenommen. „Unsere Demonstrationen haben damals Wirkung gezeigt. Es ist leichter für uns geworden, Gehör zu finden“, sagt Eichert, der auch als Vorstandsmitglied im Kreisverband Olpe im Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband (WLV) aktiv ist. Und doch: „Die Ampel-Koalition hat uns weniger Bürokratie und steuerliche Entlastungen versprochen. Es wurde viel angekündigt, aber so gut wie nichts gehalten. Wo ist die Zeitenwende?“
Blick auf die Bundestagswahl am 23. Februar
Also setzt man im Lager der Landwirte, so Eichert, große Hoffnungen auf einen Politikwechsel nach der Bundestagswahl am 23. Februar. „Ich hoffe“, so sagt der Bio-Bauer aus Wenden, „dass bisherige Denkverbote ein Ende haben. Wenn man darüber diskutiert, wie man sich bei der Energiegewinnung unabhängig macht, muss man auch das Thema Biogasanlagen auf den Tisch bringen dürfen.“
Mit Spannung blickt auch Björn Kirchhoff auf die kommende Bundestagswahl. Der Landwirt vom Kempershof in Plettenberg im Märkischen Kreis gehörte zum Organisationsteams der Siegener Großdemo. Er ist eher skeptisch, ob es mit einer neuen Bundesregierung besser wird. „Ich erhoffe mir viel: zum Beispiel einen Bürokratieabbau in der Landwirtschaft und einen fairen Wettbewerb in der EU, aber ich erwarte wenig. Man darf nicht vergessen, dass bereits die Vorgängerregierung so manches gegen uns auf den Weg gebracht hatte.“
„Was mich massiv gestört hat: Wir sollten mit unseren damaligen Protesten in die rechte Ecke gedrängt werden.“
Die Bauernproteste haben aus Kirchhoffs Sicht die Anerkennung seines Berufsstandes in der Bevölkerung erhöht. Aber: „Leider mussten wir erkennen, dass der Politik die Versorgungssicherheit der Menschen und die Produktion von Lebensmitteln vor Ort nicht so wichtig erscheint.“ Sein Fazit: „Die Zahl von gut 100.000 Landwirten in Deutschland ist den Parteien als Wählerpotenzial offenbar zu gering.“
In die rechte Ecke gedrängt
Und schon ist Kirchhoff bei einem Thema, das ihn bis heute sehr beschäftigt: „Was mich massiv gestört hat: Wir sollten mit unseren damaligen Protesten in die rechte Ecke gedrängt werden.“ Ja, sagt er, es habe Bestrebungen von Seiten der AfD gegeben, ein vermeintlich populistisches Thema auszuschlachten. Aber: „Die Versuche sind kläglich gescheitert.“
Das sieht Bernd Eichert, der Landwirt aus Wenden, ähnlich: „Uns in der Basis hat dabei sehr geholfen, dass sich der Deutsche Bauernverband und der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband in dieser Frage klar positioniert haben.“
Der Bauernverband und seine Landesverbände hatten im Rahmen der Bauernproteste vor einem Jahr (8. bis 12. Januar) zu einer Aktionswoche aufgerufen. Und jetzt? Stehen neue Protestaktionen an? „Wir warten die Bundestagswahl ab“, sagt Eichert. Und sein Berufskollege Björn Kirchhoff ergänzt: „Mit dem Ampel-Aus fehlt uns im Moment der Adressat.“