Erndtebrück. Entscheidung über differenzierte Hebesätze fällt jetzt: Bis zum Jahresende muss klar sein, wie Wohn und Nichtwohn-Grundstücken berechnet werden

In den Wittgensteiner Rathäusern ist niemand glücklich mit dieser Herausforderung für das Haushaltsjahr 2025. Sie befürchten eine Klagewelle und müssen trotzdem das Risiko eingehen, denn der Landesgesetzgeber hat Politik und Verwaltungen bei der künftigen Ausgestaltung der Grundsteuer B nur eine Wahl gelassen: Sie können sogenannte differenzierte Hebesätze einführen oder nicht. Unterm Strich geht es darum, die Belastungen auf private Haushalte möglichst gleich zu verteilen und große Härten bei den Steuern zu vermeiden.

Auch interessant

Als erste Kommune in Wittgenstein trifft Erndtebrück diese Entscheidung. Im Haupt- und Finanzausschuss am Montagabend wird die Verwaltung der Politik einen Vorschlag machen, wie künftig die Steuerlast der privaten Wohngrundstücke berechnet werden wird.

Henning Gronau, Bürgermeister der Gemeinde Erndtebrück

„Die differenzierten Hebesätze sind rechtlich die einzige Möglichkeit bei der Grundsteuer B die Ungleichbehandlung zwischen Wohn- und Nichtwohngrundstücken ein Stück weit ausgleichen. Deswegen schlagen wir im Sinne der Bürger vor, sie einzuführen. “

Henning Gronau

Bürgermeister Henning Gronau macht im Gespräch mit der Redaktion noch einmal klar, warum Erndtebrück die differenzierten Hebesätze nutzen möchte, die bei den privaten Grundstücken die Unterscheidung zwischen Wohn- und Nichtwohn-Grundstücken möglich macht. Gäbe es diese Unterscheidung nicht, würde das Grundstück mit dem Haus ebenso besteuert wie das noch unbebaute Wohngrundstück.

„Die differenzierten Hebesätze sind rechtlich die einzige Möglichkeit bei der Grundsteuer B die Ungleichbehandlung zwischen Wohn- und Nichtwohngrundstücken ein Stück weit ausgleichen. Deswegen schlagen wir im Sinne der Bürger vor, sie einzuführen. Schade ist, dass das Land hier seine Möglichkeiten nicht genutzt hat und keine landesgesetzliche Messzahlenanpassung vorgenommen hat. Damit wurden alle Risiken leider an die Kommunen weitergegeben. Ich kann daher verstehen, dass die Kommunalpolitik – egal mit welcher Entscheidung – Bauchschmerzen hat“, sagt Gronau.

Mehr zum Thema

Und in der Vorlage der Verwaltung wird auch noch einmal auf eine Rechtsgrundlage hingewiesen, die in der Öffentlichkeit vielfach falsch verstanden werden konnte: Dass die Grundsteuerreform „aufkommensneutral“ sein sollte, bedeutet nicht, dass sie für die einzelnen Steuerpflichtigen aufkommensneutral bleibt, sich also an der Steuerlast für Grundbesitz nichts verändert. Die Aufkommensneutralität bezieht sich auf die Kommunen, die nach der Steuerreform genau so viel einnehmen sollten, wie davor. Das hatte auch den Hintergrund, dass man bei der geforderten Anpassung von Steuermesszahlen für die einzelnen Grundstücke oder den kommunalen Hebesätzen immer mit einem veränderten Steueraufkommen rechnen muss. Es sollte aber auch nicht dazu führen, dass sich die meist verschuldeten Kommunen nach der Steuerreform die Taschen voll machen.

Auszug aus den beispielhaften Berechnungen der Gemeinde

GrundstücksartZahlbetrag bisher mit Hebesatz 520%Zahlbetrag bei aufkommensneutralem Hebesatz 848%Zahlbetrag bei differenziertem Hebesatz Wohnen 635 %
Einfamilienhaus
Waldstraße118 €208 €156 €
Kampenstraße256 €318 €238 €
Roger-Drapie-Str.577 €910 €681 €
Zweifamilienhaus
Pulverwaldstraße116 €212 €158 €
Schulstraße440 €458 €342 €
Mietwohngrundstück
Siegener Str.346 €640 €479 €
Hauptmühle2375 €1412 €1057 €
GrundstücksartZahlbetrag bisher mit Hebesatz 520%Zahlbetrag bei aufkommensneutralem Hebesatz 848%Zahlbetrag bei differenziertem Hebesatz Wohnen 1345 %
Geschäftsgrundstück607 €548 €869 €
Geschäftsgrundstück25.000 €6587 €10448 €
unbebautes Grundstück23,24 €110 €175 €

Der Städte- und Gemeindebund NRW empfiehlt, sich bei einer Hebesatzdifferenzierung an einem Verhältnis 1:2 bezogen auf die Hebesätze für Wohngrundstücke bzw. Nichtwohngrundstücke als Obergrenze zu orientieren, um keine Verhältnismäßigkeitszweifel aufzuwerfen. Bei den für Erndtebrück vom Land ermittelten aufkommensneutralen differenzierten Hebesätzen von 635 Prozent bzw. 1345 Prozent ist dieses Verhältnis mit 1:2,12 leicht überschritten. Die möglichen Veränderungen bei den Hebesätzen würden sich laut Verwaltung im Vergleich zu 2024 wie folgt darstellen: Hebesatz Grundsteuer B „Wohngrundstücke“ (aktuell 520 Prozent): + 115 Prozentpunkte. Hebesatz Grundsteuer B „Nichtwohngrundstücke“ (aktuell 520 Prozent): + 825 Prozentpunkte.

Nach wie vor möglich ist es, dass Grundbesitzer gegen diese neue Steuerfeststellung vor Gericht ziehen. „Die Ausführungen des Städte- und Gemeindebundes machen deutlich, dass die Anwendung differenzierter Hebesätze mit rechtlichen, administrativen und fiskalischen Risiken verbunden ist“, heißt es in der Verwaltungsvorlage. Würden alle betroffenen Eigentümer gegen die neue Grundsteuer B vor Gericht ziehen, macht dies rein rechnerisch eine Größenordnung von jährlich rund 264.000 Euro aus. „Da sich ein Klageverfahren von solcher Tragweite durchaus über mehrere Jahre ziehen kann, würde sich der Steuerausfall entsprechend aufsummieren.“

Trotz des Risikos muss die Gemeinde eine Entscheidung treffen, denn bis zum 1. Januar 2025 bleibt nicht viel Zeit. Endgültig abgestimmt wird dann im Rat am 4. Dezember.