Wittgenstein. Rathäuser in Bad Berleburg, Bad Laasphe und Erndtebrück befürchten Ungleichgewicht zulasten der Hausbesitzer. Das sind die Reaktionen.
Was müssen die Wittgensteiner künftig für ihre Wohnhäuser, Gewerbeimmobilien, Grünland oder Wald an Grundsteuer bezahlen? Und verändern sich auch die Nebenkosten für Mietwohnungen? Das Finanzamt Siegen hat am Montagmorgen Tabellen mit den neuen Hebesätzen veröffentlicht. Diese Werte sind die Grundlage für die Berechnung der Steuern. Was Besitzer von Wohn- oder Gewerbegrundstücken bezahlen müssen, ist von Kommune zu Kommune unterschiedlich. Entsprechend unterscheiden sich auch die Hebesätze.
„Leider hat das Land NRW hier aus unserer Sicht den völlig falschen Weg gewählt. “
Wittgensteins Kommunen sehen die Veränderung skeptisch bis kritisch, das zeigt sich auf Nachfrage der Redaktion: „Die durch das Land NRW veröffentlichten Hebesätze, haben wir mit Bedauern zur Kenntnis genommen. Man erkennt, wie stark die Hebesätze in allen Kommunen steigen müssen, damit die Kommunen die gleiche Summe wie vor der Grundsteuerreform einnehmen“, kommentiert Erndtebrücks stellvertretende Kämmerin Laura Loske das Zahlenwerk und Bürgermeister Henning Gronau (SPD) kritisiert das gesamte Verfahren: „Leider hat das Land NRW hier aus unserer Sicht den völlig falschen Weg gewählt und hat nicht, wie andere Bundesländer, eine landesweite Lösung in Bezug auf die Messzahl geschaffen. Dies hätte viele Probleme für die Kommunen in der Umsetzung vermieden und für die Bürger Nachteile abwenden können.“
Für die Stadt Bad Laasphe weist auch Kämmerer Manfred Zode auf aus Sicht der Stadt nicht hinnehmbare Ungleichbehandlungen hin: „Durch die NRW-Finanzministeriums-Mitteilung der aufkommensneutralen Hebesätze an die Stadt Bad Laasphe haben sich dort die schon länger bestehenden Befürchtungen einer deutlichen Lastenverschiebung zu Ungunsten der Wohngrundstücke bewahrheitet. Der Städte- und Gemeindebund hatte das Verfahren und die geplante landesgesetzliche Regelung differenzierte Hebesätze auf kommunaler Ebene festzusetzen, vehement abgelehnt.“ Sowohl wegen Bedenken bei der zeitlichen Umsetzbarkeit als auch wegen einzelner bisher noch nicht geklärter Rechtsunsicherheiten hofft man im Laaspher Rathaus, dass auch der Appell der Bürgermeister-Konferenz Siegen-Wittgenstein an die heimischen Landtagsabgeordneten zu einer Klärung der Situation beitragen kann.
Hintergrund der Grundsteuerreform
Mit Urteil vom 10. April 2018 hat das Bundesverfassungsgericht die Grundsteuer in ihrer bisherigen Form für grundgesetzwidrig erklärt. Dabei kritisierten die Richter das Bemessungsverfahren für die Grundsteuer. Die letzte Hauptfeststellung datiert aus dem Jahr 1964 (Alte Bundesrepublik) bzw. 1935 (Ostdeutschland). Laut Gesetz ist die Hauptfeststellung, also die Berechnung der Einheitswerte alle sechs Jahre zu wiederholen. Das ist aber nicht erfolgt. Dadurch gibt es Ungleichbehandlungen durch Wertverzerrungen. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bund eine Hauptfeststellung für 2022 aufgegeben, die ab 2025 Bemessungsgrundlage sein soll.
So wird die Grundsteuer ermittelt. Der Grundsteuerwert x Steuermesszahl x Hebesatz. Der Grundsteuerwert wurde auf Grundlage der Elster-Meldung der Eigentümer festgelegt. Die Steuermesszahl legen die Bundesländer fest und die Hebesätze sind Sache der Kommunen.
Für die Stadt Bad Berleburg bezieht Kämmerer Manuel Spies Stellung und verweist darauf, das neben den jetzt veröffentlichten Hebesätzen noch erheblicher Abstimmungsbedarf besteht: „Die Reaktion des Landes auf das Bedenkenschreiben der Bürgermeisterkonferenz sowie auf die auch aus anderen Kreisen vorgebrachte Kritik bleibt zunächst abzuwarten.“ In Bad Berleburg will man die neuen Zahlen und auch die Folgen daraus noch in dieser Woche in den Ausschusssitzungen beraten.
Die Verwaltung skizziert das Problem so: „Sowohl im Landesschnitt als auch konkret für Bad Berleburg sinkt das Messbetragsniveau nach vorläufigen Werten nach neuem Recht im Vergleich zum Status quo tendenziell ab, jedoch nicht gleichmäßig für alle Grundstücksarten, sondern überproportional stark für den großen Block der Geschäftsgrundstücke. Bei einem einheitlichen aufkommensneutralen Hebesatz ergibt sich in der Folge eine Entlastung für diese Grundstücksart, die von den übrigen Grundstückstypen, vor allem der großen Gruppe der Wohngrundstücke, kompensiert werden muss.“ Genau solche Verwerfungen könnten im schlimmsten Fall zu Klagen führen. Das hatte die Bürgermeisterkonferenz des Kreises schon befürchtet.
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Weil die Grundsteuer die wichtigste Einnahmequelle der Städte und Gemeinden ist, und eine Reform der Grundsteuer im Grunde von der Kommunalpolitik bundesweit nicht gewünscht war, arbeiten Bundes- und Landesregierungen und Finanzämter seit Jahren an der neuen Bemessungsgrundlage: Ziel sind „aufkommensneutrale Hebesätze“. Sprich für die Kommunen soll sich auf der Einnahmenseite nichts verändern, vor allem nicht verschlechtern. Während unterm Strich für Bad Berleburg, Bad Laasphe und Erndtebrück alles gleich bleiben soll, kann sich für die Grundstücksbesitzer innerhalb der Städte und Gemeinden einiges verändern.
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„Unsere Beschäftigten arbeiten seit zwei Jahren mit voller Kraft dafür, der Kommune die notwendigen Daten zur Umsetzung der Grundsteuerreform zur Verfügung zu stellen.“
„Unsere Beschäftigten arbeiten seit zwei Jahren mit voller Kraft dafür, der Kommune die notwendigen Daten zur Umsetzung der Grundsteuerreform zur Verfügung zu stellen“, erklärt Christiane Pfender-Stracke, Dienststellenleitung des Finanzamts Siegen in einer Mitteilung am Montag.
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Die Finanzverwaltung stellt jetzt für jede Kommune in Nordrhein-Westfalen fiktive Hebesätze zur Verfügung, mit denen die Grundsteuerreform aufkommensneutral umgesetzt werden könne, sofern die Werte von den Kommunen genutzt werden. Denn: Die Grundsteuer ist eine kommunale Steuer. Sie wird von der Kommune erhoben. Die Einnahmen bleiben in der Kommune und sie kann die Hebesätze selbst festlegen. Dies gelte in NRW vorbehaltlich des Gesetzgebungsverfahrens im Landtag auch für die Höhe von differenzierten Hebesätzen für Wohn- und Nichtwohngrundstücke.
„Der Stadtrat entscheidet darüber, ob für die Grundsteuer B ein einheitlicher oder differenzierter Hebesatz festgelegt wird und wie hoch dieser sein wird“, verdeutlicht Christiane Pfender-Stracke. „Wenn dieser höher ist als bislang, heißt das allerdings nicht automatisch, dass alle Bürgerinnen und Bürger auch mehr Grundsteuer zahlen. Denn aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts mussten die Bewertungsgrundlagen für die Grundsteuer bundesweit geändert werden. Bei der Frage, wie viel Grundsteuer im Einzelfall zu zahlen ist, kommt es neben dem Hebesatz und der Steuermesszahl auch auf den Grundstückswert an.“
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Die Option, differenzierte Hebesätze für Wohn- und Nichtwohngebäude festzusetzen, hat die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen angestoßen, weil das Bundesmodell für die Grundsteuerreform vielerorts zu einer stärkeren Belastung von Wohngrundstücken und zu einer deutlichen Entlastung von Geschäftsgrundstücken geführt hätte.