Bad Berleburg. 42 Wisente sind zurück am Ursprungsort des Artenschutzprojektes. Für die Tiere gibt es nur zwei Szenarien. Ein Besuch in der Managementanlage.
Die Zukunft der Wisente im Rothaargebirge entscheidet sich an dem Ort, an dem das Artenschutzprojekt vor elf Jahren mit sieben Tiere begann. Erst in einem 20 und später 80 Hektar großen Auswilderungsgehege. Damals sollten die Tiere, die zum Teil aus Gehegen und Zoos stammten, vom Menschen entwöhnt und an die Freiheit gewöhnt werden, berichtet Dr. Ludger Belke. „Jetzt passiert genau das Umgekehrte.“
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Als Kreisveterinär hat Belke die Verantwortung für die streng geschützten Wildrinder. Er muss sicherstellen, dass es der Herde gut geht. Gut genug, um die Tiere in andere Wisentprojekte abzugeben und das Artenschutzprojekt zu beenden, wie es Kritiker fordern. Oder gut genug, um zumindest 25 Tiere zu behalten und erneut in die Freiheit zu entlassen, wie es aktuell eine Mehrheit im Kreistag fordert. Beides ist extrem schwierig.
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Umweltdezernent Arno Wied skizziert die Probleme: Wenn die Tiere wieder freigelassen werden sollten, müsste jemand die Verantwortung übernehmen. „Bis jetzt gibt es keine Signale, dass jemand die Trägerschaft übernehmen möchte“, sagt Wied im Gespräch mit dieser Zeitung. Wohl auch, weil die Tiere wieder in Richtung Sauerland laufen und Schälschäden anrichten könnten. Und neben solchen Schadenersatzforderungen seien weit mehr als 500.000 Euro jährlich nötig, um das Wisentprojekt ordentlich zu managen.
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Ebenso schwer ist es, eine neue Heimat in Gehegen oder Weideprojekten für Wisente zu finden, die keine Herdbucheinträge haben. Das macht sie für Artenschutzprojekte uninteressant. Wied führt Gespräche, betont aber erneut, dass er auf Wunsch der Interessenten keine Details preisgeben könne. Kreisveterinär Belke sieht ebenfalls gute Chancen abseits des Artenschutzes in Beweidungsprojekten.
Viele Fotos: So leben die wilden Wisente nun im Gatter
Eines steht für beide fest. Die Herdengröße muss wieder kleiner werden. In dem 25 Hektar großen Gehege auf dem Gelände der Wittgenstein-Berleburg‘schen Rentkammer zwischen Kühhude und dem Forsthaus Homrighausen leben aktuell etwa 42 Wildrinder. Wie viele es in wenige Wochen sein werden, kann auch der zuständige Kreisveterinär Dr. Ludger Belke nicht sagen. „Es ist Kalbezeit“, berichtet der Amtstierarzt. „Und anders als bei Hausrindern ist den Wisenten nicht anzusehen, ob sie aufgenommen haben.“ Übersetzt heißt das, ob sie trächtig sind. Es könnten gut und gerne 15 Kälber dazu kommen, so der Tierarzt. Außerdem muss die Zahl der Jungbullen reduziert werden, noch ehe diese geschlechtsreif werden und sich Rangkämpfe entwickeln könnten. Die Bullen sollen bald in ein eigens eingerichtetes Gehege aus dem Gelände kommen.
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Egal, ob Bullen einfangen oder die Herde verkleinern oder Tiere untersuchen und abtransportieren: Für all das wird eine Management- oder Fanganlage benötigt, die im Herbst mit Geld des Landes im Gehege entstanden ist: „Das sieht ja aus wie im Jurrasic Park“, flachst ein Reporter bei dem mit Spannung erwarteten Medientermin bei der großen Wisentherde im Wald. Der Kollege steht vor der riesigen Fanganlage.
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Auf den ersten Blick wirkt die Holzkonstruktion viel zu leicht, um hunderte Kilo schwere Wildrinder in Schach zu halten. Aber der Eindruck täuscht. „Die Bretter sind nur die Verschalung“, erklärt Dr. Ludger Belke. „Die Wände sind zehn Zentimeter stark“, sagt er und zeigt die Dicke mit den Fingern. Die Holzkonstruktion aus Balken und Bohlen steht außerdem auf einem fest verschraubten Stahlrahmen. Für das, was hier vorgestellt wird, gibt es keine Blaupause. „Ich habe mich mit den Ingenieuren an einen Tisch gesetzt und gezeichnet“, berichtet Kreisveterinär Dr. Belke und führt die Gruppe durch die einzelnen Bestandteile, als wäre sie zu einer Wohnungsbesichtigung eingeladen.
Blauzungen-Krankheit erschwert Tiertransport
Der Ausbruch der Tierseuche „Blauzungenkrankheit“ macht einen Transfer der Wittgensteiner Wisente in andere Artenschutz- oder Beweidungsprojekte aktuell schwieriger. Durch einen Blauzungenbefall im Landkreis Kleve sei ganz NRW als potenzielles Blauzungengebiet deklariert worden. Das bedeutet, dass Tiere auf die Krankheitserreger getestet werden müssen und vor einem Transport in ein einen neuen Lebensraum in Quarantäne müssen.
Kreisveterinär Dr. Ludger Belke macht aber deutlich, dass aktuell keines der Tiere im Wisentgehege krank sei, und es in den vergangenen zehn Jahren keinen Fall von Blauzungenkrankheit in Wittgenstein gegeben habe. Am Niederrhein, wo der neue Seuchenausbruch festgestellt wurde, hat die Blauzungenkrankheit im Mai auch einen Betrieb in Hamminkeln im Kreis Wesel erreicht.
Für Landwirte, Tierhalter oder auch das Wisentprojekt bedeutet dies: Betriebe, in denen ein Verdacht auf eine Infektion mit dem Virus der Blauzungenkrankheit besteht oder in denen eine Infektion nachgewiesen wurde, müssen gesperrt werden und dürfen keine Tiere mehr in andere Betriebe transportieren. Der Viehhandel mit empfänglichen Tieren (Rinder, Schafe, Ziegen und sonstige Wiederkäuer) aus NRW in blauzungenfreie Gebiete sowie in die Niederlande und nach Belgien ist nur noch unter bestimmten Auflagen möglich.
Der Verlauf der Infektion kann symptomlos sein, aber bei Vorliegen einer schweren Allgemeinerkrankung sogar bis zum Verenden des infizierten Tieres führen. Die Ansteckung erfolgt durch den Stich infizierter Mücken (Gnitzen). Die Schwere der Erkrankung kann je nach Tierart variieren.
Menschen sind für das Virus nicht empfänglich. Deshalb wäre auch der Verzehr des Fleisches von infizierten Tieren ungefährlich. Fleisch von Tieren mit Fieber und einer schweren Allgemeininfektion ist allerdings grundsätzlich nicht für den menschlichen Verzehr geeignet.
Die Anlage aus drei Bestandteilen. Einem großen halbkreisförmigen Eingangsbereich mit einem schwenkbaren Tor, das die Tiere langsam zu einem Durchgang führt. Von dort geht es entweder in eine von vier, fünf mal fünf Meter großen, Kammern oder weiter in einen Behandlungsstand im Gang. Hier kann jedes Tier kurz zwischen zwei Eisengattern eingepfercht werden, wie Rinder auf einem Stand zum Klauen schneiden. Die massive Seitenwand hat einen schmalen Durchbruch, um den Tieren beispielsweise Blutproben abzunehmen. Danach entscheidet sich der Weg des Wisents. Nach links geht es in eine weitere Kammer oder geradeaus durch eine Gittertür. Dort stünde bei einem Transport dann der Viehtransporter.
Um die Wisente an die Anlage zu gewöhnen, steht diese meist offen. Und dass sich die Wisente hier bereits wie selbstverständlich aufhalten, zeigen deutliche Spuren: Kothaufen auf dem Boden, Kuhlen vom Liegen in der Einstreu und Spuren vom Fell-Reiben an den Seitenwänden.
Nicht nur die Fanganlage scheint die Wisente nicht mehr zu schrecken. Auch die Menschen werden mit der üblichen Fluchtdistanz von 20 bis 30 Metern eher neugierig beobachtet. Insofern drängt sich tatsächlich das Bild auf, dass Dr. Belke prägte: Hier kehrt das Wisentprojekt zu seinen Ursprüngen zurück.