Bad Berleburg. Bad Berleburg stellt Verhandlungsergebnisse mit den Windkraftkonzernen vor: Alle Bürger sollen profitieren. Hinzu kommen Gewerbesteuereinnahmen.

Bad Berleburg ist auf dem Weg zur „Energiestadt“. In vielen öffentlichen Papieren taucht dieser Begriff inzwischen auf. Und bei bis zu 100 Windkraftanlagen, die in den nächsten Jahren auf dem Stadtgebiet stehen werden, liegt dieser neue „Markenbegriff“ nah. Die Entwicklung wird in der Bevölkerung heftig diskutiert. Allerdings sind die Eingriffsmöglichkeiten der Kommunen begrenzt. Das zeigte sich jüngst bei der Eilentscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster, die die Ausschlusswirkung der Windkraft-Vorrangzonen außer Kraft gesetzt hat.

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Bei allen Nachteilen, die der Ausbau der erneuerbaren Energien, speziell der Windkraft mit sich bringt, haben Politik und Verwaltung in Bad Berleburg frühzeitig erkannt, dass man sich diese unaufhaltsame Entwicklung auch zunutze machen kann. Die Menschen in Bad Berleburg sollen auch von der Energiewende profitieren. Unterstützt von Experten der Unternehmensberatung J+P-Gruppe aus Biedenkopf hat die Verwaltung ein Konzept entworfen, das jetzt der Politik präsentiert und zur Abstimmung vorgelegt wurde.

Nachhaltigkeitsstiftung bündelt Windkraftgelder

Die Stadt Bad Berleburg hat ausführlich die Konstruktion einer Stiftung diskutiert, die Erlöse aus Windkraft in Bad Berleburg bündeln und nach einem festgelegten Modus in Projekte in den Ortschaften fließen lassen soll. Der Beigeordnete Volker Sonneborn präsentierte das „Hybridmodell“. Hybrid deshalb, weil es aus zwei unterschiedlichen Stiftungsmodellen besteht. Einer Ewigkeitsstiftung, die über 30 Jahre hinaus Bestand haben wird, und den nachhaltigen Erhalt der Stiftung zum Ziel hat, und einer „Verbrauchsstiftung“ , die die Ausschüttunng der Mittel regelt.

Spätestens 2028 sollen jährlich 500.000 Euro in Projekte in der Stadt fließen. Ein Drittel des Budgets soll in die 23 Ortschaften fließen. Das sind je nach Ortschaft zwischen 5000 und 50.000 Euro. Die Schlüssel richtet sich zu 50 Prozent nach der Flächengröße und zu 5ß Prozent nach der Einwohnerzahl der Ortschaften. Das Vorschlagsrecht liegt beim Ortsvorsteher, der dabei durch ein gewähltes Dorfgremium unterstützt wird. Für die Kernstadt gibt es eine Sondersituation, weil es hier auch Infrastruktur gibt, die für alle Ortsteile vorgehalten wird.

Das zweite Drittel fließt in Bereiche, die besonders durch den Ausbau der erneuerbaren Energien Nachteile erleiden (Maßnahmen im Natur- und Artenschutz sowie im naturnahen Tourismus).

Das letzte Drittel des Budgets fließt in übergeordnete Maßnahmen zur Umsetzung der Bad Berleburger Nachhaltigkeitsstrategie und des Leitbildes (z. B. im Bereich Bildung, Stärkung der Grund- und Nahversorgungszentren etc.).

Über die Vergabe entscheidet dann ein Stiftungskuratorium und ein hauptamtlicher Stiftungsvorstand.

„Wir haben von Beginn des Prozesses an gesagt, dass die Energiewende in unserer Stadt der Dörfer mit der größtmöglichen Transparenz stattfinden soll. Wir haben das bis zum heutigen Tag in allen Bereichen gehalten – und werden auch nicht davon abweichen“, leitet Bürgermeister Bernd Fuhrmann die Vorstellung der Ergebnisse ein und unterstrich, was die bereits einmal als nachhaltigste Kleinstadt Deutschlands ausgezeichnete Stadt Bad Berleburg zur Energiestadt machen soll.

Und an die Kritiker gewandt sagte Fuhrmann: „Wir brauchen und wollen die Energiewende – daran geht kein Weg vorbei, weil wir für die Zukunft einen erneuerbaren Energiemix brauchen, der unsere Versorgung auf eine breite Basis stellt. Fossile Energieträger sind dabei kein Lösungsweg. Jetzt geht es darum, die Ideen gemeinsam zu konkretisieren und aktiv umzusetzen. Das ist kein Selbstzweck – wir übernehmen damit gemeinsam Verantwortung für unsere Zukunft. Aber wir wollen auch, dass alle Menschen und Ortschaften in unserer Stadt der Dörfer von der Energiewende profitieren.“

Ersparnis für jeden Haushalt

Fuhrmann nannte drei Säulen: Die erste ist die finanzielle Entlastung der Haushalte durch „Unser-BLB-Strom“. Die Ersparnis für einen Vier-Personen-Haushalt solle 250 Euro jährlich ausmachen gemessen an einem heute üblichen Stromtarif ausmachen. Dann solle eine Bürger-Energiegenossenschaft gegründet werden. Die dritte Säule ist die Gründung einer Nachhaltigkeitsstiftung „zur Förderung unserer 23 Ortschaften, hierbei sollen ab 2028 mindestens 500.000 jährlich direkt über die Ortschaften vorgeschlagen und vergeben werden“. Bürgermeister Fuhrmann warb für die Zustimmung der Politik im Ausschuss und auch in der Ratssitzung am 1. Juli. „Dafür braucht es heute und am Montag in der Stadtverordnetenversammlung politische Beschlüsse“. Die aber sind sicher.

Bürgermeister Bernd Fuhrmann.

„Wir brauchen und wollen die Energiewende – daran geht kein Weg vorbei, weil wir für die Zukunft einen erneuerbaren Energiemix brauchen, der unsere Versorgung auf eine breite Basis stellt. Fossile Energieträger sind dabei kein Lösungsweg.“

Bernd Fuhrmann

Mit der Zustimmung der Politik in der Tasche soll es in einem zweiten Schritt eine öffentliche Infoveranstaltung am Donnerstag, 4. Juli, geben, um den Prozess gemeinsam weiter voranzutreiben und den Menschen die Gelegenheit zu geben, Fragen zu stellen.

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Auch die Rahmenbedingungen, unter denen die Bürgerbeteiligung möglich ist, erläuterte die Verwaltung. Konkret zu den Rahmenbedingungen: In Bad Berleburg werden rund 100 Windräder stehen. Acht sind bereits errichtet, 35 bereits genehmigt und weiter 45 beantragt. Die Stadt nimmt nach § 6 EEG eine Umlage von 0,2 Cent je Kilowattstunde ein. Geschätzt wird der Betrag auf jährlich rund 30.000 Euro. Hinzu kommen rund 50.000 Euro je Anlage an Gewerbesteuern. Außerdem werden WestfalenWind und Eurowind Energy mit Unternehmenssitzen in Bad Berleburg zusätzliche Gewerbesteuern in die Stadt spülen. Hinzu kommen Erlöse aus Pacht, Beteiligung und Betrieb von Windkraftanlagen auf kommunalen Flächen. Diese Umsetzung ist seit 2023 in Planung.

Zehn Millionen Euro für Ausgleichsmaßnahmen

Außerdem rechnet Bernd Fuhrmann vor, dass pro Windrad im Schnitt einmalig 100.000 Euro Ersatzgelder für Natur-Ausgleichsmaßnahmen an den Kreis Siegen-Wittgenstein fließen. Dieser muss diese Gelder im betroffenen Naturraum als Ausgleich für die erforderlichen Eingriffe einsetzen. Hier arbeite die Stadt bereits an Konzepten, um solche Gelde zu beantragen. Fuhrmann hob hervor, dass zusammen weitere 100 Windräder in Bad Laasphe und Erndtebrück entstünden und man deshalb in Wittgenstein gemeinsam daran arbeiten müsse, die Gelder hier in Naturschutzprojekte fließen zu lassen. Der Haken an der Sache ist, wenn die Gelder nicht binnen vier Jahren ausgegeben sind, fließen sie an die Bezirksregierung weiter.

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Weitere Möglichkeiten der Partizipation gibt es in Zusammenarbeit mit den großen Geldinstituten Sparkasse Wittgenstein und Volksbank Wittgenstein. Dabei geht es um festverzinsliche Geldanlage als Klimasparbriefe und Beteiligungen an einzelnen Windrädern über Crowdfunding oder sogenannte Nachrangdarlehen.

Bernd Weide

„Es wird Dinge geben, die dadurch erst möglich sind.“

Bernd Weide

Außerdem will die Stadt Sonderkonditionen für Anwohner ermöglichen, die näher als 1000 Meter von einer Windkraftanlage entfernt wohnen. Das ist eine Kompensationsmöglichkeit beispielsweise für Einzelwohner oder Streusiedlungen, die bei den Abstandsregelungen in den Vorrangzonen nicht wie eine Ortschaft gewertet werden konnten.

Das Papier löst Begeisterung quer durch die Parteienlandschaft im Haupt- und Finanzausschuss aus. Sogar bei den Gegnern der Energiewende: „Ich habe selten eine so komplexe und spannende Vorlage gelesen“, lobte Bernd Weide (SPD) das Konzept und schlug den drei Experten der J+P-Gruppe vor: „Veröffentlichen Sie das als Buch!“ Und zu den Ergebnissen sagte Weide: „Ich finde das sehr gut, das geht genau in die Richtung, in die wir wollen.“ Und gemessen an den finanziellen Möglichkeiten, die aus Gewerbesteuern, Gewinnbeteiligungen, Genossenschaftsmodellen und Stiftungsausschüttungen in die Ortschaften fließen werden, ist sich Weide der positiven Effekte sicher: „Es wird Dinge geben, die dadurch erst möglich sind.“

Martin Schneider

„Wir haben von vornherein einen Weg eingeschlagen, der uns in die Lage versetzt hat, mit den Projektierern zu verhandeln. Und das lag an der Flächennutzungsplanung.“

Martin Schneider

Martin Schneider von der CDU-Fraktion hakte bei dem Konzept von J+P ein: „Ich habe spontan an eine Doktorarbeit gedacht, gut hergeleitet und erarbeitet!“ Schneider griff in seinem Lob für das Konzept aber auch die von der SPD immer wieder kritisierte Vorrangzonenplanung auf. „Wir haben von vornherein einen Weg eingeschlagen, der uns in die Lage versetzt hat, mit den Projektierern zu verhandeln. Und das lag an der Flächennutzungsplanung.“

Das bestätigte auch Bernd Fuhrmann, der aber betonte, „Es war uns wichtig, den Flächennutzungsplan mit einer positiven Planung zu verbinden. Die Gespräche mit den Projektierern waren von konstruktiven Gesprächen.“

Marion Linde

„Es wäre Irrsinn, dieser Vorlage nicht zuzustimmen. Von der Industrie, die hier aufgebaut wird, partizipiert ja auch die Kommune.“

Marion Linde

Marion Linde (UWG) unterstrich noch einmal: „Es ist allgemein bekannt, dass die UWG gegen Windkraft ist.“ Dann aber schlug sie den Boden: „Es wäre Irrsinn, dieser Vorlage nicht zuzustimmen. Von der Industrie, die hier aufgebaut wird, partizipiert ja auch die Kommune“, so Linde. Von der AfD, die ebenfalls gegen den Ausbau der Windkraft ist, fehlte der Ausschussvertreter entschuldigt.

Am Montag fällt die endgültige Entscheidung im Bad Berleburger Stadt über ein Paket von Bürgerbeteiligungsmodellen.

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