Siegen. Eigentlich geht es den Menschen in Siegen-Wittgenstein besser als den Durchschnitts-Einwohnern in Deutschland. Sie empfinden das aber nicht so.
Wie schätzen Menschen in Siegen-Wittgenstein ihre Lebensbedingungen ein? Antworten gibt der erste Gleichwertigkeitsbericht der Bundesregierung, der überprüfen soll, ob und wie weit überall in Deutschland gleichwertige Lebensverhältnisse bestehen. Der Bericht trägt den Titel „Für starke und lebenswerte Regionen in Deutschland. Erstmals wurden für einen derartigen Bericht die Einschätzungen der Bürgerinnen und Bürger zu den Lebensbedingungen in allen 400 Landkreisen und kreisfreien Städten Deutschlands erfasst.
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Durchweg sind die Wahrnehmungen und Einschätzungen negativer, als dies die Fakten nahelegen. Nur in wenigen Fällen ist das umgekehrt – da schlägt dann ausgesprochene Genügsamkeit durch. Rosig sehen die Menschen in der Region ihre Zukunft nicht.
Lebenssituation in Siegen-Wittgenstein: Geht so
„Wie zufrieden sind Sie alles in allem mit Ihrer derzeitigen Lebenssituation?“ Auf diese zentrale Frage antworteten die Siegen-Wittgensteiner mit „durchschnittlich zufrieden“, also der mittleren „2“ auf der Skala von 1 bis 3. Dieselbe Einschätzung gilt für die beruflichen Perspektiven. Dass es sich aber in Siegen-Wittgenstein besser lebe als woanders, wurde nur unterdurchschnittlich oft bestätigt. An der Bundestagswahl 2021 beteiligten sich 78,1 Prozent der Wahlberechtigten, 2013 waren es nur 72,6 Prozent – was auf gestiegenes Interesse schließen lässt, auf Lebensbedingungen Einfluss zu nehmen.
Durchschnittlich gut wird der soziale Zusammenhalt in der Nachbarschaft empfunden. Der könnte an Bedeutung gewonnen haben: Gestiegen ist der Anteil der Einpersonenhaushalte: von 35,5 Prozent im Jahr 2013 auf 35,6 Prozent im Jahr 2020. Immerhin fühlen die Einwohnerinnen und Einwohner sich in Ihrer Wohnumgebung insgesamt überdurchschnittlich sicher. Das spiegelt sich in der Statistik: Die Zahl der Straftaten je 100.000 Einwohner ist von 61,4 im Jahr 2013 auf 51,6 im Jahr 2022 zurückgegangen
„Würden Sie sagen, dass Ihr Einkommen ausreicht, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen?“ Die Antwort „Eher ja“ wurde durchschnittlich oft gegeben. Die Fakten: 7,7 Prozent bezogen 2021 Mindestsicherung von Jobcenter oder Sozialamt, 2012 waren es 6,7 Prozent. Das monatliche Medianentgelt (die Hälfte verdient mehr, die andere weniger) lag 2021 bei 3762 Euro, 2012 bei 3250 Euro. 5,9 von 1000 Einwohnern bezogen 2021 Wohngeld, 2012 waren es 6,8.
Infrastruktur in Siegen-Wittgenstein: Könnte besser sein
„Es gibt ausreichend Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten für bis unter 3jährige Kinder in der Nähe.“ Diese Aussage stimmen die Menschen in Siegen-Wittgenstein überdurchschnittlich zu, für 30,9 Prozent der unter Dreijährigen wurde 2022 Betreuung in Anspruch genommen. 45,9 Prozent der Drei-bis Sechsjährigen wurden täglich mehr als sieben Stunden in Kitas betreut.
„Es gibt ausreichend Schulen in der Nähe“ Auch das wird überdurchschnittlich bestätigt. Obwohl: 16 Minuten beträgt die durchschnittliche Pkw-Fahrzeit zu Schule oder Uni – die Hälfte der Menschen in Deutschland ist aber in weniger als 5,1 Minuten am Ziel.
„Die medizinische Versorgung mit grundversorgenden Fachärztinnen und Fachärzten in der Region ist gut.“ Die Siegen-Wittgensteiner stimmen durchschnittlich zu. Die medizinische Versorgung mit Krankenhäusern in der Region wird sogar überdurchschnittlich oft als gut empfunden. Allerdings: 22 Minuten dauert der Weg zu medizinischer Versorgung in Siegen-Wittgenstein, für die Hälfte der Einwohner im Land aber weniger als 8,89 Minuten. 2022 ist ein Hausarzt für 1779 Einwohner da, zehn Jahre zuvor mussten sich nur 1588 Einwohner einen Hausarzt teilen. Neugeborene hatten 2011 eine Lebenserwartung von 80,1, 2020 von 80,8 Jahren. Zugenommen hat die vorzeitliche Sterblichkeit: 2013 starben 279,3 von 100.000 Einwohnern unter 70 vor ihrem 70. Geburtstag, 2023 waren es 319,5.
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Der Behauptung, es gebe ausreichend Angebote zur Freizeitgestaltung in der Region, stimmen die Siegen-Wittgenstener nur unterdurchschnittlich zu. Da sind andere Regionen aus ihrer Sicht besser ausgestattet. Dafür empfinden die Siegen-Wittgensteiner wie der Durchschnitt aller Deutschen, dass es ausreichend Supermärkte, Discounter und/oder kleinere Lebensmittelläden in der näheren Umgebung gibt. 4,4 Minuten betrug 2017 die durchschnittliche Fahrzeit, 2013 noch fünf Minuten.
Durchschnittlich bestätigt wird, dass der Wohnort über ein oder mehrere lebendige Ortszentren mit ausreichend Geschäften und Lokalen verfügt. Attraktive Verbindungen mit dem öffentlichen Nahverkehr sehen die Siegen-Wittgensteiner für sich weniger als die Durchschnittsdeutschen. Mit der Versorgung mit schnellem Internet sind sie auch nur unterdurchschnittlich zufrieden.
Umwelt in Siegen-Wittgenstein: Reicht
Den Zustand von Natur und Umwelt bewerten die Siegerländer und Wittgensteiner durchschnittlich gut. Tatsächlich ist die Bodenversiegelung von 4,2 Prozent im Jahr 2009 auf 5,4 Prozent der Fläche im Jahr 2018 gestiegen, der Waldanteil von 64,5 (2009) auf 63,7 Prozent (2018) zurückgegangen. 764 Wohngebäude standen 2013 auf einem Quadratkilometer Fläche, 2022 waren es schon 794. Auch mit der Qualität der Luft an Ihrem Wohnort sind die Menschen in Siegen-Wittgenstein überdurchschnittlich zufrieden. Die Feinstaubbelastung ist von 11,3 Mikrogramm im Jahr 2013 auf 4,4 im Jahr 2017 zurückgegangen, der Stickoxidgehalt von 8,2 auf 5,3. Den Erholungswert der Naherholungsgebiete in ihrer Umgebung bewerten die Siegen-Wittgensteiner im Vergleich zum deutschen Durchschnitt überdurchschnittlich gut.
Wirtschaft in Siegen-Wittgenstein: Nicht rosig
Die allgemeine wirtschaftliche Situation in der Region wird von den Siegen-Wittgensteinern als überdurchschnittlich gut bezeichnet. Als durchschnittlich gut aufgestellt sehen sie die Region im Hinblick auf die Ansiedlung und Gründung neuer Unternehmen.
Ihre derzeitige eigene wirtschaftliche Lage sehen die Menschen in der Region durchschnittlich gut, der Zukunft sehen sie durchschnittlich besorgt entgegen. Überdurchschnittlich oft antworten sie, dass sie eher eine negative wirtschaftliche Entwicklung erwarten.
Bevölkerung
Die Einwohnerzahl im Kreis Siegen-Wittgenstein ist von 2012 bis 2017 um 0,6 Prozent gestiegen und von 2017 bis 2022 um 0,3 Prozent zurückgegangen. Für die Jahre bis 2045 wird ein Bevölkerungsrückgang um 5,1 Prozent vorausgesagt. In den Jahren von 2000 bis 201 sind 2,6 Prozent der Erwerbspersonen aus dem Kreisgebiet abgewandert, von ihnen sind 20,9 Prozent wieder zurückgekehrt.
Die Zahl der Geburten je 1000 Einwohner ist von 7,9 im Jahr 2013 auf 8,7 im Jahr 20,22 gestiegen. Dagegen ist der „Altenquotient“ gestiegen. Je 100 Einwohnern zwischen 20 und 65 Jahren standen 2013 34,4 im Alter von 65 Jahren und älter gegenüber, 2022 waren es bereits 38 über 65-Jährige.
Das sind die Wirtschaftsdaten für Siegen-Wittgenstein, die allesamt in der besser gestellten Hälfte der 400 deutschen Landkreise und kreisfreien Städte liegen: Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner ist von 63.010 Euro (2012) auf 71.039 Euro (2021) gestiegen, das Steueraufkommen im selben Zeitraum von 1263 auf 1574 Euro. Die Arbeitslosenquote ging von 5,8 Prozent (2013) auf fünf Prozent (2022) zurück. Unter den Beschäftigten ist der Anteil der Fachkräfte, die eine mindestens zweijährige Berufsausbildung haben, von 63 auf 60,5 Prozent zurückgegangen. Gestiegen sind die Anteile der Meister und Techniker („Spezialisten“) von 11,5 auf 12,3 Prozent und der Akademiker („Experten“) von 10,3 auf 11,1 Prozent. Frauen verdienten 2022 im Schnitt 20,9 Prozent weniger als Männer, 2014 waren es 21,1 Prozent weniger. Für 35,3 Prozent der Kinder nahmen 2020 auch Väter Elterngeld in Anspruch, 2011 waren es nur 27,3 Prozent. 33,9 Prozent der Arbeitnehmer waren 2022 nur befristet beschäftigt.
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