Kreuztal. Sich als Pflegeeltern zu engagieren kann anstrengend sein. Eine Pflegemutter berichtet vor allem von sehr viel Liebe und – „großer Verantwortung.“
Wenn Anke Böhl* über ihre Pflegekinder spricht, leuchten ihre Augen. Sie erzählt von einem zweijährigen Mädchen, das regelmäßig mit ihr auf der Couch kuschelte, von Bastelaktionen oder von Kletterausflügen. „Die Kinder brauchen viel Liebe und müssen immer beschäftigt werden.“
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Als die Bereitschaftspflege für Pflegemutter Anke Böhl endete, war das für die Kreuztalerin, und auch für die Kinder nicht leicht. „Man baut ja eine Bindung auf“, sagt sie. Nach Menschen wie Anke Böhl wird in Siegen-Wittgenstein händeringend gesucht.
Kreuztalerin überlegt nicht lange: „Ich habe gerne Kontakt zu Kindern“
Die elf Kinder und Jugendlichen, die Anke Böhl von 1989 bis 2000 aufgenommen hat, waren im Alter von 0 bis 13 Jahren. Sie kann sich noch genau an die Anfangszeit erinnern. Anke Böhl war bei einer Bekannten, die Pflegemutter ist. Vor Ort war eine Mitarbeiterin des Jugendamtes, die Anke Böhl fragte, ob sie Pflegemutter werden möchte. „Es hat mich keine Überwindung gekostet, zuzusagen. Ich habe gerne Kontakt zu Kindern. Ich habe dann einen Säugling einer jungen Mutter aufgenommen.“
„Es hat mich keine Überwindung gekostet, zuzusagen. Ich habe gerne Kontakt zu Kindern. “
Das Jugendamt achte darauf, ob das Kind und die Familie zusammenpassen, sagt Böhl. „Die Frau vom Jugendamt kam das erste halbe Jahr einmal pro Woche zu uns.“ Doch selbst wenn Eltern und Kinder gut zusammenpassen, lassen sich nicht alle Wunden heilen. Die Kinder kommen meistens aus schwierigen familiären Verhältnissen. „Es waren zum Beispiel Drogen im Spiel. Meistens sind die Mütter alleinerziehend und noch in der Ausbildung und schaffen es nicht, sich um das Kind zu kümmern“, sagt Böhl.
Pflegemutter aus Kreuztal: Große Verantwortung, der man sich bewusst sein sollte
Die ehemalige Pflegemutter Böhl spricht von einer großen Verantwortung, derer sich Pflegeeltern bewusst sein sollten. „Es ist vor allem wichtig, einen sicheren Ort zu schaffen und feste Zeiten festzulegen, an denen man sich trifft, zum Beispiel zum Essen. Die Kinder brauchen Struktur.“ Bei den leiblichen Eltern ihrer Pflegekinder gab es das meistens nicht. „Wenn ich die Kinder am Wochenende zu den Eltern gebracht habe, habe ich mir Sorgen gemacht.“ Meistens seien die Pflegekinder nach dem Wochenende gestresst zu ihr zurückgekommen und „ich musste manchmal wieder bei null anfangen“.
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Anke Böhl erklärt, dass ihre Aufgabe nicht nur darin bestehe, sich um die Kinder zu kümmern, sondern sie stand mit den leiblichen Eltern in einem engen Kontakt. Das sei nicht immer leicht gewesen. „Manche Mütter wollten meine Ratschläge nicht annehmen. Sie haben sich angegriffen gefühlt.“ Böhl habe die Position einer Großmutter übernommen, die Mutter wollte sie nie ersetzen, sagt sie.
Kreuztalerin entscheidet sich für Inobhutnahme: „Bis zu vier Jahre“
Anke Böhl und ihr Mann haben drei leibliche Kinder. In den 1990er Jahren haben beide zuerst an einem vierten Kind überlegt, sich dann aber doch für ein Pflegekind entschieden. Nie im Gespräch war allerdings eine Adoption – „es war immer klar, dass wir uns für eine Inobhutnahme entscheiden.“ Die Pflegekinder hat sie bis zu vier Jahre bei sich aufgenommen. „Ich hatte einmal zwei Pflegekinder gleichzeitig, sonst nur ein Kind bei mir.“
Es gab auch schwierige Momente, sagt die Pflegemutter. „Ich habe in den 1990er Jahren Zwillinge im Alter von anderthalb Jahren aufgenommen. Kurze Zeit später habe ich das Jugendamt angerufen und gesagt: ‚Ich kann das nicht.‘“ Bei den Zwillingen wurde eine Borderline-Störung diagnostiziert. Ein anderes Mal sollte ein Junge, bis er 18 Jahre alt ist, bei der Pflegefamilie Böhl bleiben. Das haben Anke Böhl und ihr Mann jedoch abgelehnt. Der Junge, damals 13, hatte sie zuvor angelogen. Mehrere Male musste Anke Böhl nachts nach ihm suchen. Er habe die Schule geschwänzt.
Pflegemutter aus Kreuztal: „Konsequent muss man sein“
Die Pflege kostet Geld; ohne Idealismus solle man an die Pflege nicht dran gehen, sagt Anke Böhl. „Ich habe viel Geld aus meiner eigenen Tasche für die Pflegekinder genommen.“ Aber Anke Böhl bereut ihre Entscheidung nicht. „Keine Minute. Ich habe bei einigen Kindern geschafft, dass sie die Kurve kriegen. Das ist so wichtig.“
Die Kinder von Anke Böhl und ihrem Mann haben die Pflegekinder wie Geschwister aufgenommen. „Ich bin sehr glücklich darüber, dass meine Kinder die Pflegekinder akzeptiert haben.“ Mittlerweile hat Anke Böhl fünf Enkelkinder und geht in ihrer Rolle als Oma auf. Wichtig sei, konsequent zu sein, erzählt sie. „Sonst spielen die Kinder einen gnadenlos aus.“
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Anke Böhl kann sich vorstellen, für das Jugendamt ehrenamtlich zu arbeiten. „Leider geht das nicht, weil ich keine pädagogische Ausbildung habe“, sagt Böhl. Geld dürfe keine Motivation sein, meint die Pflegemutter. Lange Zeit hat Anke Böhl zum Muttertag Briefe von einer leiblichen Mutter eines Pflegekindes erhalten. Ein Pflegesohn habe ihr ein Kräutergestell für den Garten gebaut. „Das macht mich schon stolz.“
„„Ich finde es wichtig, dass Menschen Pflegekinder aufnehmen.““
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„Ich finde es wichtig, dass Menschen Pflegekinder aufnehmen. Wenn ich von anderen Pflegemüttern mitbekomme, wie Kinder aufwachsen, oft allein gelassen. Das ist noch schlimmer geworden im Vergleich zu den 1990er Jahren.“ Kindheitserfahrungen prägen uns noch als Erwachsene, sagt Böhl. „Ich verstehe nicht, warum nicht mehr Anreize für Menschen geschaffen werden, sich beim Jugendamt oder als Pflegefamilie zu engagieren. Es ist so wichtig für unsere Gesellschaft. Die Lage ist ernst.“
*Name geändert