Siegen. Verwandtschaft, Freunde und Bekannte in den Blick nehmen. Und: Auch Alleinstehende, Ältere und gleichgeschlechtliche Paare berücksichtigten.
- Kostensteigerung für den Pflegekinderdienst von jetzt 330 000 um jeweils 60 000 Euro
- Unterstützung der Forschungsgruppe Pflegekinder an der Siegener Uni zu Qualitätsstandards
- Kalkulation: Entsprechende Beträge bei Inobhutnahmen und bei Heimerziehung einsparen
Die Stadt Siegen möchte mehr für die Qualifizierung und Unterstützung von Pflegefamilien tun. Gemeinsam mit dem Kreisjugendamt wurden mit Unterstützung der Forschungsgruppe Pflegekinder an der Siegener Uni Qualitätsstandards erarbeitet, die Diplom-Pädagogin Andrea Dittmann jetzt im Jugendhilfeausschuss vorgestellt hat. Folge wird eine jährliche Kostensteigerung für den Pflegekinderdienst von jetzt 330 000 um jeweils 60 000 Euro sein. Die Stadt rechnet damit, dass entsprechende Beträge bei den Inobhutnahmen und bei der Heimerziehung eingespart werden können.
„Größtmögliche Vielfalt“, so Andrea Dittmann, sei bei der Auswahl von Pflegefamilien anzustreben: Auch Alleinstehende, Ältere und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften seien zu berücksichtigten. „Entscheidend ist, dass das der richtige Ort für die Entwicklung eines Kindes ist.“
Familientypen
Neue Aufmerksamkeit gilt den „
Verwandtenpflegefamilien“: Gemeint sind Großeltern und erweiterte Familienverbünde, die Kinder aufnehmen, lange bevor das Jugendamt davon Kenntnis nimmt. Solche Pflegeverhältnisse, die immerhin – so Andrea Dittmann – etwa 70 Prozent aller Pflegschaften ausmachen, wurden in der Vergangenheit zwar nicht verweigert, aber auch nicht ausdrücklich genehmigt – mit der Folge, dass diese Pflegeeltern sich selbst überlassen blieben. Künftig soll hier zumindest der allgemeine Sozialdienst Unterstützung leisten können.
Auch die „Netzwerkpflegefamilie“ ist eine Lösung: „Die nimmt für das Kind manche Fremdheit heraus.“ Gemeint ist, dass Kinder von Bekannten der Eltern aufgenommen werden, zum Beispiel von den Eltern der besten Freundin.
Kritische Punkte
14 „Übergänge“ arbeitete die Forschungsgruppe heraus, die besonders begleitet werde müssen: Beginnend beim Übergang eines Kindes aus der Herkunfts- in die Bereitschaftspflege- oder direkt in die Pflegefamilie, endend bei den Übergängen aus der Pflegefamilie in eine stationäre Einrichtung – oder in die Volljährigkeit. Wobei am Anfang offen bleibt, welche Lösung von welcher Dauer sein soll.
Zielsetzungen
Erstes Ziel, so Andrea Dittmann, werde sein, Eltern in ihrer Erziehungskompetenz zu stärken. Befristete Pflegeverhältnisse mit Rückkehroption sind eine mögliche Alternative. Andrea Dittmann wirbt dafür, „Kinder gut an den Entscheidungen zu beteiligen“. Sie befänden sich in großen Loyalitätskonflikten. „Viel Leid entsteht dadurch, dass Eltern nicht mit ins Boot genommen worden sind.“ Nichts sei bitterer, wenn ein Kind darauf warte, von den Eltern aus der Pflegefamilie abgeholt zu werden – während längst entschieden sei, dass es diese Rückkehr vorerst nicht gibt. „Es ist schrecklich für Kinder, wenn sie nicht wissen, was mit ihnen geschieht.“
Reaktionen
Die Frage nach den Geschwistern stellte Lia Bleckmann (Grüne). Weder immer noch nie, erwiderte Andrea Dittmann: Ob Geschwister in dieselbe Pflegefamilie kommen oder getrennt werden sollten, müsse in Einzelfall entschieden werden.
Vorsitzender Jens Kamieth (CDU) lobte das vorgestellte Konzept: „Das macht mich stolz.“ Ingmar Schiltz (SPD) wollte wissen, ob Heimerziehung tatsächlich abgebaut werden könne: „Schaffen wir das?“ Georg Ritter, Leiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD), sieht Handlungsbedarf: Es fehlt an Bereitschaftspflegefamilien, die Kinder kurzfristig und begrenzt aufnehmen und ihnen so die „Inobhutnahme“ in einem Heim ersparen.
Neue Zielgruppen
Und es gibt eine Lücke bei aller schon erreichten Vielfalt von Pflegefamilien, zu denen auch in Siegen bereits Alleinerziehende, Patchworkfamilien und gleichgeschlechtliche Paare zählen: Es gibt keine Zuwanderer, die diesen Dienst übernehmen. Gedacht wird daran, die Moscheen zur Verbreitung von Informationen einzubeziehen. Doch in türkischen Medien, so Ritter, gebe es „regelmäßig keine gute Berichterstattung“ über die Jugendämter. „Der Zugang wird schwer sein.“
>>>>HINTERGRUND: Hinderliche Hürden
Als hinderlich werden Unterschiede zwischen Stadt und Kreis wahrgenommen. Die Stadt Siegen hat den Pflegekinderdienst einem Trägerverbund übertragen.
Der Kreis betreibt einen eigenen Pflegekinderdienst, der selbst die Pflegefamilien auswählt. Erst die Betreuung der Pflegefamilien wird dort freien Trägern übertragen.
Unterschiede zwischen Stadt und Kreis gibt es auch in der Vergütung, die an Pflegefamilien gezahlt wird.
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