Siegen. Nachbarschaftsstreitigkeiten zwingen die Stadt zum Handeln. Der Lebenshof Pino und Freunde muss umziehen. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Der Lebenshof Pino & Freunde ist ein Gnadenhof in Siegen für Tiere aus dem Tierschutz in der Numbachstraße. Den Nachbarn ist die Anlage ein Dorn im Auge. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, Veterinäramt des Kreises und Stadtverwaltung wurden eingeschaltet. Nun wird der Hof weichen.

+++ Immer auf dem Laufenden mit WhatsApp: Hier geht‘s zum Kanal der Lokalredaktion Siegen +++

Siegen: Nachbarschaftsstreitigkeiten zwingen den Lebenshof Pino und Freunde zum Umzug

Die Probleme zwischen den Lebenshof-Betreibern Till Droge und Kathrin Isken und zwei Nachbarn begannen bereits bei der Übernahme des Geländes im Sommer 2022. Es handelt sich um eine Grünfläche der Stadt Siegen, die vorher vom Tierschutzverein Alchetal genutzt wurde. Ein Pachtvertrag oder ähnliches wurde von der Stadt mit dem neuen Lebenshof jedoch nie abgeschlossen. Die Polizei Siegen verzeichnete vom 15. Juli 2023 bis zum 9. September 2024 insgesamt acht Einsätze vor Ort, darunter Streitigkeiten und Bedrohungen. Aufgrund von tierschutzrechtlichen Beschwerden wurde das Veterinäramt Siegen eingeschaltet. Das Ganze gipfelt im Erlass der Ordnungsverfügung, welche den Lebenshofes zum Umzug bis spätestens Juni 2025 zwingt.

Der Vorwurf: Täuschung mit dem Bullen Bruno

Der Lebenshof Pino und Freunde wirbt unter anderem mit dem Bullen Bruno für den Tierschutz des Vereins, obwohl Bruno kein Tierschutztier ist. Bruno stammt von einem Züchter und wurde verkauft, weil sie mit ihm nicht weiter züchten wollten. Till Droge kaufte das Tier als Privatperson am 12. Mai 2022 unter der Angabe, dass er mit ihm für die eigene Fleischproduktion weiter züchten möchte. In einem Artikel vom 22. Juni 2022 wurde gegenüber der Presse behauptet, Bruno sei auf dem Hof, weil er nicht einem Schönheitsideal entspreche. Auch auf Werbeflyern für Schnuppertage oder in sozialen Medien wird mit Bruno geworben.

„Herr Droge hat den Bullen damals privat bei uns für 350 Euro gekauft, für den Tierschutz hätten wir ihm den Bullen nicht verkauft. Er hat uns gesagt, dass er damit seine schwarzweiße Kuh decken will“, erzählt Brunos Vorbesitzerin, die entsprechende Verkaufsunterlagen für das Tier besitzt. Mit der schwarzweißen Kuh könnte Lotte gemeint sein, die ebenfalls in der Obhut des Hofes ist. Auf Nachfrage sagt Till Droge, er habe den Bullen von einem Hobbyzüchter, weil dieser nicht dem Zuchtstandard entsprochen habe. Er habe ihn vor dem Schlachter gerettet.

Unklares: Der Lebenshof und der Tierschutzverein

Über die Vergangenheit des alten Tierschutzvereins Alchetal kursieren widersprüchliche Aussagen. In einem Facebook-Beitrag vom 6. August erzählt der Lebenshof Pino und Freunde seine Geschichte, in der es heißt: „Die Stadt und das Veterinäramt haben aufgrund der dort herrschenden Zuständigkeiten erreicht, dass den Vorpächtern das Pachtrecht für ihren fälschlicherweise ,Gnadenhof´genannten Hof entzogen wurde.“ Auf Nachfrage bezeichnet das Veterinäramt des Kreises Siegen-Wittgenstein als „nicht zutreffend“. Nach Angaben von Nachbarn, ehemaligen Mitgliedern und des Veterinäramtes hatten die Vorpächter deutlich weniger Tiere und die Zustände waren nicht so, wie vom Lebenshof behauptet. Auf Nachfrage unserer Redaktion bleibt der Lebenshof jedoch bei seiner Aussage. „Mit dem altem Verein hatten wir nie Probleme. Wir hatten immer den Eindruck, dass sich die Vorpächter immer gut um ihre Tiere gekümmert haben“, erzählt Claudia Moll, eine der beiden Nachbarn.

Der Siegener Gnadenhof „Lebenshof Pino & Freunde“ muss bis zum Sommer 2025 auf das neue Grundstück in Oberschelden ziehen.
Der Siegener Gnadenhof „Lebenshof Pino & Freunde“ muss bis zum Sommer 2025 auf das neue Grundstück in Oberschelden ziehen. © WP | Antonia Flieder

Vorwurf: Das aggressive Lama Pepe

Auf dem Lebenshof gibt es den Lamahengst Pepe, der bei der Recherche besonders auffiel. Till Droge und Kathrin Isken halten gemischte Tiergruppen, in denen Arten und Geschlechter unterschiedlich sind. Pepe zeigt nach Aussagen der Nachbarn ein unschönes, aber für ein Lama erwartbares Verhalten. Er versucht, seine Triebe zu befriedigen, indem er immer wieder Schafe angreift, sie jagt, bis sie nicht mehr können, und sie dann zerdrückt, indem er sich auf sie stürzt. „Wir haben das mitbekommen und das Video dem Veterinäramt zur Verfügung gestellt“, sagt Laura Boller, die mit ihrer Familie ebenfalls in der Nachbarschaft wohnt. Zunächst schien es, dass die Betreiber auf das Geschehen nicht reagierten. Dann passierte das Gleiche zwei Wochen später noch einmal. Dieses Problem wurde von den Nachbarn auch dem Veterinäramt gemeldet. Die Behörde erklärt auf Nachfrage, dass bei einer Kontrolle vor Ort dieses Verhalten nicht beobachtet werden konnte, die Tierhalter aber aufgefordert worden seien, die Tiere zu trennen und den Hengst kastrieren zu lassen, um „inter- und intraspezifische Aggressionen“ zu vermeiden. Till Droge widerspricht: Diese Aussage des Veterinäramtes sei für ihn neu.

Vorwurf: Schaf Hermann ohne Marke

Die Kennzeichnungspflicht von Schafen und Ziegen mit Ohrmarken und die Registrierung in einem System dient dem Schutz und der Nachvollziehbarkeit von Tierseuchen. Dies ist besonders wichtig in Zeiten der Blauzungenkrankheit bei Schafen. Dieser Pflicht scheint der Lebenshof nicht sorgfältig nachgekommen zu sein, wie zahlreiche Postings auf Facebook und Instagram zeigen. So sind diverse Schafe ohne Ohrmarken zu sehen, auch das Schaf Hermann ist während seiner gesamten Zeit auf dem Lebenhof nicht gekennzeichnet. Laut der bundesweiten Verordnung (EG) Nr. 21/2004 müssen die Tiere spätestens beim Verlassen des Geburtsortes gekennzeichnet werden.

Veterinäramt Siegen: Blauzungenkrankheit ist überall

Das Veterinäramt Siegen bestätigt, dass einige Schafe nicht gekennzeichnet sind und Symptome der Blauzungenkrankheit aufweisen, was „auf die flächendeckende Verbreitung des Virus der Blauzungenkrankheit zurückzuführen ist“ und bei nahezu allen Schafherden in Deutschland zu finden ist. Zudem sei „diese Symptomatik sowohl in gegen die Blauzungenkrankheit geimpften als auch in ungeimpften Beständen zu beobachten“, heißt es in einer Stellungnahme des Veterinäramtes. „Wir sind mit dem Landkreis im Gespräch, um eine andere Lösung zu finden, denn es gibt offizielle Transferpapiere für die Tiere“, erklärt Till Droge. Der Lebenshof will alternativ die Tiere chippen, wie es bei Haustieren wie Katzen und Hunden bereits üblich ist. 

Finale: Der Lebenshof zieht um

Beim Veterinäramt Siegen liegen zahlreiche Beschwerden über den Lebenshof vor: „Sehr viele Sachverhalte stellten sich als falsch heraus. In verschiedenen Fällen wurden Mängel festgestellt (Zaunbau, Futterlagerung, Kennzeichnung der Tiere)“. Für die Beanstandungen wurde dem Lebenshof eine Frist zur Behebung gesetzt. Auf Auflagen zur Errichtung weiterer nicht mobiler Stallungen wurde wegen der Umsiedlung verzichtet, allerdings muss dies bis zum Wintereinbruch geschehen, ansonsten werden weitere Auflagen zur Gewährleistung des Witterungsschutzes für die Tiere erteilt.

+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++

Till Droge hofft, dass der Umzug Ruhe in den Alltag des Lebenshofes bringt. An seinen Klagen und Verfahren gegen die Nachbarn hält er fest, die Nachbarn ihrerseits an ihren Vorwürfen. Die Betreiber behaupten, sie würden von ihren Nachbarn bedroht, bestohlen und behindert. Der Lebenshof erhob schwere Vorwürfe: Die Nachbarn hätten sie mit einem Gewehr bedroht und sie hätten die Polizei rufen müssen. Die Anwälte der beiden sind nun mit der Klärung des Sachverhalts befasst. Die Stadt Siegen hat dem Hof zu einem neuen Grundstück in Oberschelden verholfen. Was mit der dann leeren Grünfläche an der Numrbachstraße geschehen soll, ist unklar.