Hilchenbach. Das Bündnis für Toleranz und Zivilcourage sieht sich vor einer großen Herausforderung. Nach dem Protest-Samstag gibt es Kritik – und Irrtümer.
Es werden insgesamt um die 500 Menschen gewesen sein, die am Samstag in Hilchenbach Vielfalt gefeiert und gegen die Präsenz der rechtsextremistischen Partei „Der 3. Weg“ in der Stadt demonstriert haben – deutlich weniger als die über 1000, auf die auch die Polizei sich eingestellt hatte. „Ich hätte mehr Hilchenbacher erwartet“, sagt Günter Stremmel, Sprecher des Hilchenbacher Bündnisses für Toleranz und Zivilcourage, das das Fest auf der Gerichtswiese veranstaltet hat.
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„Es ist schwer, das Engagement auf Dauer aufrecht zu erhalten.“
„Ich weiß, manche von euch haben genug …“, hatte Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis zu Beginn seiner Rede gesagt. Immerhin schon drei Jahre dauert der Konflikt um das doppelt verkaufte Haus Dammstraße 5: zunächst, Ende 2021, an den Landesvorsitzenden des „3. Wegs“, dann, ein Jahr später, an die Stadt Hilchenbach. „Es ist schwer, das Engagement auf Dauer aufrecht zu erhalten“, sagt Günter Stremmel. Auch das Bündnis selbst habe geschwächelt, im Vorfeld des Vielfalt-Fests aber zu alter Stärke zurückgefunden. Früher Aktive seien nun wieder aufs Neue dabei, insgesamt 20 bis 30 Menschen engagieren sich. „Ganz wichtig für das Bündnis“ sei die Präsenz der Kirchen bei dem Vielfalt-Fest gewesen, ermutigend auch die aktive Mitwirkung von Vereinen wie dem TuS Hilchenbach und dem CVJM. Mit Bedauern sehe das Bündnis die Zurückhaltung von Parteien wie der CDU: „Von konservativer Seite gab es gar keine Unterstützung.“
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„Ich kann die Bürgerschaft verstehen“, sagt Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis zu der beobachteten Zurückhaltung: „Die Bevölkerung muss auch sehen, dass sie etwas bewirkt.“ Die Stadt könne informieren und aufklären, wie das in den jährlichen Wochen gegen Rassismus und der Respekt-Kampagne geschehe. Gefragt seien aber letztlich Bundes- und Landesregierung, gegen Rechtsextremismus vorzugehen: „Sie sind die einzigen, die handeln können.“
„Der 3. Weg“
„Ja, wir haben den dritten Weg in Hilchenbach“, schreibt einer von vielen, der sich an den intensiven Debatten zu verschiedenen Facebook-Beiträgen beteiligt „aber wenn wir mal alle ehrlich sind, haben die in der ganzen Zeit, wo die in Hilchenbach wohnen, nicht eine Sache gemacht, die uns Menschen geschadet hat. Lass die doch einfach mal machen, die haben bis jetzt keine Unruhe gestiftet oder sonst irgendetwas.“ Und ein anderer: „Der dritte Weg, er feiert, auf seinem Privatgelände, welches legal und ehrlich erworben wurde, völlig friedlich, Besuchern gegenüber sogar offen. Jeder darf seine Meinung zeigen und nach außen tragen …“
„Erschreckend“ nennt Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis die daraus durchscheinende Akzeptanz. Günter Stremmel wünscht sich für Hilchenbach Informationen und Aufklärung, die solchen in den Online-Netzwerken vertretenen Irrtümern entgegenwirken: „Ein zivilgesellschaftliches Bündnis gegen Rechtsextremismus.“ Dass der „3. Weg“ sich Kleinstädte wie Hilchenbach nicht zufällig aussuche, sei bekannt, sagt Stremmel: „In einem kleinen Ort können die gefährlich werden.“ Bereits vor Monaten hat die Partei angedeutet, dass sie bei der nächsten Kommunalwahl kandidieren könnte: Es sei „unerlässlich, dass unsere Partei ‚Der III. Weg‘ nicht nur die Einwohnerfragestunde im Rat nutzt, sondern am Tisch dieser Herrschaften für Ordnung sorgt.“ Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis warnt denn auch vor dem Wegschauen. „Die Menschen müssen ein klares Signal setzen und klare Kante gegen rechts zeigen.“
„Sie lehnt sich mit ihrem 10-Punkte-Programm ideologisch an das Gedankengut der NSDAP an. “
Der Verfassungsschutzbericht für das Land Nordrhein-Westfalen 2023 widerspricht denen, die den „3. Weg“ für harmlos halten: Die Partei greife „völkisch-nationalistische Elemente des historischen Nationalsozialismus auf. So lehnt sie sich mit ihrem 10-Punkte-Programm ideologisch an das Gedankengut der NSDAP an und fordert einen ‚deutschen Sozialismus‘ ein. Zudem beteiligt sich die Partei an revisionistischen Kampagnen, die darauf abzielen, nationalsozialistische Verbrechen zu relativieren.“ Und: „Das Parteiprogramm von Der III. Weg zeigt, dass die Partei eine ethnisch homogene Gesellschaft im Sinne des völkischen Nationalismus anstrebt, die durch die rigide Ausgrenzung aller vermeintlich Fremden ohne Rücksicht auf die Menschenrechte verwirklicht werden soll. Diesem Verständnis folgend agitiert die Partei vor allem gegen Migranten und verletzt damit fortlaufend deren Menschenwürde.“
Entsprechend ordnet der Verfassungsschutz die vermeintlich sportlichen Aktivitäten ein, die auch beim jüngsten „Tag der Heimattreue“ in Hilchenbach auf dem Programm standen. Beim auch für 2024 angekündigten „Hochsauerlandmarsch“ gehe es „nicht nur um sportliche Betätigung, sondern um das ideologisch geprägte Gemeinschaftserlebnis durch die Stärkung der eigenen Wehrhaftigkeit …“ Im Bericht über 2023 heißt es: „Rund 40 Rechtsextremisten absolvierten die Strecke im Stile einer militärischen Durchschlageübung. Mit dem Marsch versuchte die Partei einmal mehr ihr elitäres Selbstverständnis zu unterstreichen, dass gewisse körperliche Anforderungen gemäß der Maxime ‚Stärke durch Disziplin‘ erfüllt werden müssen.“
„ Die haben der Sache mehr geschadet als genutzt.“
Antifa
In Hilchenbach wurde am Samstag nicht nur auf der Gerichtswiese gefeiert. Das „Aktionsbündnis Dammstraße dichtmachen“ hatte bundesweit zu Demonstration und Kundgebungen aufgerufen. Der Auftritt der Antifa mit diesem Aktionsbündnis stößt in den Facebook-Kommentaren auf Kritik. „Die Antifa-Radikalen haben sich völlig daneben benommen, einschließlich Nötigung und Sachbeschädigung. Die haben der Sache mehr geschadet als genutzt“, heißt es zum Beispiel. Und: „Ich finde es ungeheuerlich, was hier abgegangen ist. Die linksautonome Antifa hat überall am Bahnhof linksradikale Aufkleber verklebt, wo zur Gewalt aufgerufen wird und Farbe gesprüht, außerdem andere Leute bedroht. Natürlich waren die zu 90 % vermummt.“ Und ein anderer: „Von den linken gewaltbereiten Autonomen gingen nur Verschmutzung, Sachbeschädigungen und Bedrohungen aus.“ Schließlich: „Was sich hier für ein Mob gerade ausgetobt hat am Bahnhof, ist das Allerletzte! Ist es normal, vermummt aufzutreten, überall Sachbeschädigung zu begehen und alles zu verunstalten?“
Günter Stremmel vom Hilchenbacher Bündnis erinnert daran, dass das „Aktionsbündnis Dammstraße dichtmachen“ erstmals am 20. April selbstständig in Hilchenbach aufgetreten ist, als das Hilchenbacher Bündnis nicht mit einer eigenen Veranstaltung auf einen „Liederabend“ an Hitlers Geburtstag reagiert hat. „Es wäre besser, wenn die sich uns wieder anschließen würden“., wünscht sich Stremmel. Auftritte wie die nun erlebten seien bedauerlich, „das löst bei den Hilchenbachern Angst aus.“
„Am Ende muss sich jeder selbst die Frage stellen, ob er genug tut, die Demokratie zu schützen.“
Verkehr und Polizei
Verärgert äußern sich die Verfasser von Kommentaren bei Facebook über die massive Präsenz der Polizei – die Rede war, offiziell nicht bestätigt, von sechs Hundertschaften – und die Einschränkungen im Straßenverkehr. Nicht der „3. Weg“ sei daran schuld, so die Argumentation, sondern der Protest dagegen. „Wir werden hier gegen unseren Willen ‚eingesperrt‘, es gibt keine andere legale Lösung Hilchenbach zu verlassen.“ Schließlich: „Ich will diese Stadt, wann immer ich will, auf den Hauptstraßen verlassen können ohne Umwege durchs Sauerland. Das war heute nicht möglich.“
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„Wenn man dem III. Weg nicht ständig eine Bühne mit solchen Gegenveranstaltungen bieten würde, wären solche Maßnahmen gar nicht nötig. (...)! Diese Polizeieinsätze muss der Steuerzahler bezahlen und es werden Kräfte gebunden, die möglicherweise woanders eher gebraucht würden“, meint ein anderer. Ähnlich: „Es ist unfassbar, wie Hilchenbach mit seinen Aktionen alle provoziert. Durch solche Veranstaltungen werden linke Chaoten auf den Plan gerufen, und jedes Mal kostet das den Steuerzahler viel Geld. Der dritte Weg kann da nichts dafür.“
Menschen in Hilchenbach vom Gegenteil zu überzeugen, stellt Günter Stremmel fest, „bleibt eine große Herausforderung.“ Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis mahnt: „Am Ende muss sich jeder selbst die Frage stellen, ob er genug tut, die Demokratie zu schützen.“
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