Hilchenbach. Die Hilchenbacher kontern den „Tag der Heimattreue“ der Rechtsextremisten mit einem Fest für Vielfalt. So lief der Samstag ab.
Was für ein Kontrast: Auf der Gerichtswiese Menschen, die spielen und essen und der Musik zuhören. Kinder, die auf Dosen werfen und Zuckerwatte lecken. Leute, die auf der Wiese liegen oder die Füße im vorbeiplätschernden Langenfelder Bach kühlen. Und in der Dammstraße 5 ein mit Transparenten verhängtes Haus, ein blickdicht abgeschirmter Garten, in dem die rechtsextremistische Partei „Der 3. Weg“ ihren „Tag der Heimattreue“ begeht.
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Hilchenbach am Samstagmittag. Der Mühlenweg ist gesperrt, damit dort Busse und Einsatzfahrzeuge parken können. Am Bahnhof stehen die ersten Polizeitransporter, einer davon für die Verpflegung der Hundertschaften ausgerüstet – sogar Eis hat die fahrbare Kantine der Bereitschaftspolizei an diesem warmen Sommertag an Bord. Als Alternative hält sich der Eisenbahnwaggon mit seiner Dönerküche bereit. Auch hier ist Hilchenbach bunt, nicht nur heute. Die Stadt ist so gut bewacht wie wohl kaum eine andere weit und breit an diesem Tag. Es gibt keinen Parkplatz, keine Einfahrt, in dem nicht Polizeifahrzeuge geparkt und Polizistinnen und Polizisten sich bereithalten.
Demo mit Zwangspausen
Die Kurhessenbahn nach Marburg läuft pünktlich um halb zwei in Hilchenbach ein. Die beiden Waggons sind proppenvoll mit Menschen, die dem bundesweit verbreiten Aufruf des „Aktionsbündnisses Dammstraße dichtmachen“ folgen. Vor dem Bahnhof sammeln sich noch mehr Leute. Mehrere gecharterte Gelenkbusse fahren die Haltebucht an. Es dauert eine Weile, bis sich der Demonstrationszug mit dem traditionellen „Alerta!“-Ruf der Antifaschisten auf der B 508 in Bewegung setzt.
Der Aufzug dauert länger als geplant, sämtliche Zufahrtstraßen nach Hilchenbach sind nun eine ganze Weile gesperrt. Zwei Mal muss der Demonstrationszug mit – nach Schätzung der Polizei – 210 Teilnehmenden für lange Zeit anhalten. Zwischendurch hört es sich sogar danach an, als ob die Demonstration abgebrochen wird. Ein Sprecher des Aktionsbündnisses droht, so lange stehen zu bleiben, bis ein Verwaltungsgericht entschieden hat. „Wir wollen weitergehen, wir wollen weitergehen...“ Es geht um das Vermummungsverbot, an das sich einige Teilnehmende nicht halten. Die Polizei fotografiert die Personen. Sache der Staatsanwaltschaft wird es sein, über ein Ermittlungsverfahren zu entscheiden. Manches spricht allerdings für eine zulässige Schutzvermummung: Neonazis werden auch von der Polizei dabei beobachtet, wie sie Demonstrierende filmen und fotografieren.
Schauplatz Dammstraße 5
„Für die Freiheit, für das Leben, Nazis von der Straße fegen.“ Über den Herrenwiese-Kreisel erreicht der Demonstrationszug die Dammstraße und den den dahinter liegenden Parkplatz 4 an der Rothenberger Straße. Dort hat das Aktionsbündnis eine Bühne aufgebaut, es wird Musik gespielt, Reden werden gehalten. Vor allem aber beginnt nun eine Mahnwache, die die Dammstraße 5 von zwei Seiten mit Transparenten, Musik und Protestrufen belegt.
Um die 40 Personen zählt die Polizei auf dem Parkplatz 4, weitere 60 in der Dammstraße. Im vom „3. Weg“ genutzten Haus befinden sich nach Schätzung der Polizei 80 bis 100 Neonazis, die „Standkundgebung“ vor dem Haus verfolgen geschätzt bis zu 45 eigene Parteigänger. „Die angemeldeten Teilnehmerzahlen wurden im Ergebnis deutlich unterschritten“, teilt die Polizei am Samstagabend mit.
Auf dem Gelände Dammstraße 5 finden nach Angaben des „3. Wegs“ Erste-Hilfe-Kurse („Besonders gegen politisch aktive Deutsche, die sich im Sinne ihrer Heimat einsetzen, kann es zu Angriffen kommen“), Graffiti-Kurse, Werkkurse und ein Sportprogramm („Ausdauer, Disziplin, Kampfgeist und Gemeinschaftssinn sind die zu fördernden Eigenschaften“) statt. Medien haben keinen Zutritt.
Schauplatz Gerichtswiese
Günter Stremmel, Sprecher des Hilchenbacher Bündnisses für Toleranz und Zivilcourage, eröffnet die Kundgebung auf der Gerichtswiese. Er erwähnt die 26 Prozent Stimmenanteil der AfD bei der Europawahl in Hilchenbach-Nord, „eine durchweg bürgerliche Gegend“. Stremmel ruft dazu auf, „sich rechtzeitig dagegenzustellen. Der 3. Weg ist die noch hässlichere Fratze des hässlichen Gesichts der AfD. Lasst uns dafür kämpfen, dass das politische Klima in unserer Stadt, in unserem Land hell und klar bleibt.“
„Wir lassen uns nicht einschüchtern.“
Auf die Bühne tritt Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis. „Ich weiß, viele von euch haben genug“, sagt er. Womöglich ist es tatsächlich der Überdruss, scheinbar ergebnislos gegen die Gegenwart der Rechtsextremen in der Stadt anzukämpfen, dass die Besucherzahl mit rund 170 Menschen auf der Gerichtswiese überschaubar bleibt. Kaioglidis appelliert, „die Werte der Demokratie weiter friedlich hochzuhalten. Nie wieder ist jetzt.“ Die Ausstellung zum Neofaschismus in Deutschland, die die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes auf die Gerichtswiese gebracht hat, wird intensiv beachtet. Der Bürgermeister ermutigt, nicht aufzugeben. „Wir lassen uns nicht einschüchtern.“ Vertreter von Hilchenbacher Sportvereinen haben gerade vor einer Fernsehkamera berichtet, wie sie die neuen Nazis abwehren, die jugendliche Sportler für sich zu rekrutieren versuchen.
„Er braucht unsere Solidarität“, hat Günter Stremmel zur Begrüßung des Bürgermeisters gesagt – das Stadtoberhaupt wird von den Sprechern des 3. Wegs mittlerweile seit Jahren persönlich herabgewürdigt und beleidigt. Die Menschen auf der Gerichtswiese zollen Kaioglidis mit herzlichem Beifall Respekt. Auch die Vertreter der Kirchen sprechen, ebenso stellvertretende DGB-Kreisvorsitzende Tanja Krönert. „Wer die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu seinen Gunsten abschaffen will, dem steht es nicht zu, sich und sein Tun mit eben dieser freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu legitimieren.“
„Wir überlassen Extremisten nicht die Straße, auch nicht die Dammstraße.“
Landrat Andreas Müller ruft in seiner umjubelten Rede dazu auf, „nicht zuzulassen, dass die Ideologie des 3. Weges unsere Gesellschaft vergiftet. Wir überlassen Extremisten nicht die Straße, auch nicht die Dammstraße.“ Die von den Rechtsextremisten verbreitete Ideologie sei „ekelhaft“. Ereignisse in Großbritannien und den USA zeigten, dass die von ihnen ausgehende Gefahr real sei. In Deutschland seien Populisten auf dem Vormarsch. Das Hilchenbacher Fest für Vielfalt zeige, dass Menschen gemeinsam etwas verändern können. „Hilchenbach und Siegen-Wittgenstein sagen allen Extremisten klar und deutlich: Ihr werdet hier niemals zu Hause sein“
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Auf ihre eigene Weise zeigen das die „Bunten Funken gegen Halunken“. Die Lieder klingen nicht zufällig nach rheinischem Karneval: Seit 2007 laufen sie als „Pappnasen rot-schwarz“ dem Rosenmontagszug voraus. Die Hilchenbacher bleiben unverdrossen: Die „Omas gegen rechts“ haben sich gerade um eine „Opas“-Fraktion verstärkt. Und das Frauenbündnis „Alles außer rechts“ sammelt Unterschriften für einen neuen Anlauf, auch in Hilchenbach die Hindenburgstraße umzubenennen.
Die Polizei zieht ein positives Fazit. Polizeiführer Klaus Bunse: „ Wir als Polizei haben trotz aller Emotionalität und inhaltlicher Gegensätze der einzelnen Versammlungen einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Versammlungsrecht erlebt. Fast alle Teilnehmenden haben sich friedlich verhalten und so dafür gesorgt, dass die Versammlungen ohne große Vorkommnisse verlaufen konnten.“
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