Siegen. Der Fingerhut folgt auf das Fichtensterben, breitet sich explosionsartig auf gerodeten Waldflächen in Siegen-Wittgenstein aus. Das hat Konsequenzen.
Ein purpurroter Teppich legt sich vielerorts über die Landschaft des Siegerlandes. Dieser idyllische Anblick ist dem Roten Fingerhut (Digitalis purpurea) zu verdanken, der sich vor allem auf Kahlschlagflächen ausbreitet. Ein optisch auffälliges Phänomen.
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Der Rote Fingerhut sieht schön aus, ist aber hochgiftig. Schon der Verzehr weniger Blätter der Pflanze kann tödlich sein. Dass sich der Fingerhut gerade auf den Kahlflächen im Siegerland so rasant ausbreitet, ist nicht verwunderlich. Durch das Roden der ehemaligen Fichtenwälder und das Rücken der gefällten Stämme wird die Vegetation in weiten Teilen zerstört. Dass kaum noch Pflanzen am Waldboden wachsen, nutzt dem Fingerhut: „Der Rote Fingerhut ist ein Lichtkeimer, der auf den entfichteten Flächen jetzt beste Bedingungen vorfindet“, erklärt Dr. Martin Wiedemann, Biologe in der Umweltabteilung der Stadt Siegen. Denn hier gibt es jede Menge Sonnenschein, hinzu kommen im Siegerland die sauren Böden - die Art meidet nach Auskunft des Fachmanns kalkhaltige Standorte. „Da er auch die Feuchtigkeit benötigt, ist dieses nasse Frühjahr besonders vorteilhaft für den Fingerhut gewesen.“
Siegen: Der Fingerhut erobert sehr schnell auch große Kahlschlagflächen
Durch die Vielzahl an Blüten an einer Pflanze könne die Art quasi explosionsartig auch große Flächen besiedeln. Allerdings nicht auf Dauer: „Sobald sich Sträucher und junge Bäume in ein paar Jahren auf den Flächen wieder durchgesetzt haben und für eine Beschattung sorgen werden, bleibt für den Roten Fingerhut nur noch der Platz am Waldrand, auf Lichtungen oder entlang von Waldwegen“, so Dr. Wiedemann. Im Gegensatz zu den üblichen Waldpflanzen benötigt der Fingerhut mehr als andere Pflanzen Nährstoffe aus dem Waldboden, was sein eigenes Wachstum einschränkt. So können sich Bäume und Sträucher wieder durchsetzen. „Andere Pflanzen werden durch den Fingerhut nicht verdrängt. Er ist, genauso wie das Weidenröschen, typisch für das Waldstadium ‚Kahlschlag‘ und fehlt dann, wenn der Wald durch einen geschlossenen Baumbestand für viele Jahrzehnte keine Sonne mehr auf den Waldboden lässt.“
„Dieses nasse Frühjahr ist besonders vorteilhaft für den Fingerhut gewesen.“
Der Rote Fingerhut ist nicht nur für Menschen ein schöner Anblick, sondern auch für die Insektenwelt. „Der große Blütenreichtum dieser Flächen ist natürlich von Vorteil für die heimischen Insekten“, so der Biologie. Besonders Hummeln aber auch Bienen können sehr gut durch die großen Blütenöffnungen an den Nektar im Inneren gelangen und durch die Übertragung von Pollen die Pflanzen bestäuben, erklärt Wiedemann. Die besondere Blütenform erleichtert es den Insekten, auf der breiten Fläche am unteren Blütenrand zu landen, in die Pflanze hineinzukriechen, den Pollen aufzunehmen und so die Pflanze zu bestäuben. Eine weitere Besonderheit ist, dass in diesem Jahr der Fingerhut und das Weidenröschen fast gleichzeitig blühen. Denn weil es so lange kalt war, habe sich die Blütezeit des Fingerhuts, der normalerweise nur wenige Tage blüht, verschoben.
Siegen: Bis sich der Lebensraum für Tiere und Pflanzen erholt hat, dauert es Jahrzehnte
So schön dieses Naturschauspiel auch ist: Der Kahlschlag stellte einen Eingriff in das bislang bestehende Ökosystem Wald dar, was den Lebensraum für Tiere und Pflanzen auf diesen Flächen vorübergehend beeinflusst. Es sei auch möglich, dass der Lebensraum in dieser Form ganz verschwindet. Schließlich dauert es mehrere Jahrzehnte, bis sich die Flächen erholt, Pflanzen wieder eine gewisse Höhe erreicht haben. Zumal auf den ehemaligen Fichtenschonungen im Zuge des Waldumbaus künftig andere Bäume angepflanzt werden.
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