Siegen. „Haus Herbstzeitlos“ ist ein Seniorenzentrum, aber wie ein Jugendzentrum organisiert. Seit 25 Jahren machen die „jungen Alten“ hier Einiges los.

In vielerlei Hinsicht ähnelt „Haus Herbstzeitlos“ eher einem Jugendzentrum, als gängigen Vorstellungen eines Seniorenzentrums zu entsprechen. Das kommt nicht von ungefähr. Das Konzept selbstverwalteter Jugendzentren stand Pate und prägt seit inzwischen 25 Jahren das Geschehen im Haus. Am 24. Juni wird an der Marienborner Straße 151 groß gefeiert. Die Besucherinnen und Besucher können sich dabei ein Bild verschaffen, was das Herbstzeitlos so besonders macht.

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„Die Genialität ist, dass die Menschen selbst entscheiden können, was sie tun möchten“, sagt Michael Reitz von der im Haus ansässigen Gruppe „anders altern“. Auch im Alter „wollen Menschen weiter ein selbstbestimmtes Leben führen“ und folglich die Themen und Dinge, mit denen sie sich befassen, selbst festlegen. Auf einem ruhigen Plätzchen auf dem Abstellgleis sieht sich ein Großteil der Generation 60plus schon lange nicht mehr, das Bild der „Alten“ hat sich in der Gesellschaft deutlich gewandelt. Haus Herbstzeitlos markiert in diesem Prozess einen entscheidenden Punkt, weil sowohl seine Entstehungsgeschichte als auch seine Entwicklung und seine heutige Form illustrieren, was sich (zum Besseren) verändert hat.

In den 1990er Jahren machten mehrere Gruppen klar, dass sie den ehemaligen Schulpavillon in der Marienborner Straße 151 gerne als Standort für ein selbstverwaltetes Seniorenzentrum nutzen möchten. Mit Erfolg.
In den 1990er Jahren machten mehrere Gruppen klar, dass sie den ehemaligen Schulpavillon in der Marienborner Straße 151 gerne als Standort für ein selbstverwaltetes Seniorenzentrum nutzen möchten. Mit Erfolg. © Unbekannt | durchblick

Siegen: Mit dem Strukturwandel suchten plötzlich viele „junge Alte“ neue Aufgaben

Mit dem Strukturwandel und dem Einbruch der Eisen- und Stahlindustrie in den 1980er Jahren standen plötzlich auch in Siegen viele Menschen im Alter von Anfang bis Mitte 50 vor dem beruflichen Aus. Manche gingen in den vorgezogenen Ruhestand, manche in die Arbeitslosigkeit. Sie waren qualifiziert, sie hatten Energie – auf Untätigkeit hatten viele noch längst keine Lust. Studierende entwickelten in Dortmund ein Konzept, aus dem sich die ZWAR-Gruppen (ZWischen Arbeit und Ruhestand) entwickelten, um diesen Leuten Möglichkeiten für sinnvolle Beschäftigungen zu eröffnen. „Das ist von Dortmund nach Siegen rübergeschwappt“, erzählt Elfriede Holz, die bei der Gründung von Haus Herbstzeitlos dabei war.

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Die Stadt schrieb Betroffene an, Mitte der 1990er Jahre gründeten sich ZWAR-Gruppen in Siegen-Mitte, Geisweid und Eiserfeld. Der Paritätische, berichtet Elfriede Holz, stellte einen Raum an der Sandstraße zur Verfügung für Spiele, Treffen, Aktivitäten. Doch schnell zeigte sich, dass es mehr Platz brauchte, um der Nachfrage und den Bedürfnissen gerecht zu werden. 1995 trat dann mit Astrid Ellen Schneider Siegens erste Seniorenbeauftragte ihre Stelle an und brachte sich in die Bemühungen ein. Die ZWAR-Gruppen, die Seniorenzeitschrift „Durchblick“, die Seniorenhilfe und der Seniorenbeirat der Stadt bekamen schließlich Wind von einem leerstehenden ehemaligen Schulpavillon an der Marienborner Straße. Mit Malerutensilien, Schrubbern, Werkzeugen „bewaffnet“ rückten sie auf dem Gelände an – eine Art symbolischer Besetzung, wie sich Elfriede Holz erinnert –, um ihrem Wunsch nach diesem Domizil Ausdruck zu verschaffen. Mit Erfolg.

Im Haus Herbstzeitlos gibt es für die Generation 60plus ein breitgefächertes Angebot an Beratungs-, Freizeit- und Bildungsangeboten, um am gesellschaftlichen Leben auf allen Ebenen teilzuhaben.
Im Haus Herbstzeitlos gibt es für die Generation 60plus ein breitgefächertes Angebot an Beratungs-, Freizeit- und Bildungsangeboten, um am gesellschaftlichen Leben auf allen Ebenen teilzuhaben. © WP | Florian Adam

Haus Herbstzeitlos Siegen: Gesellschaft wird älter – darum braucht es Angebote für Ü60

Fördermittel mussten akquiriert werden. 100.000 D-Mark stellte das Land zur Verfügung, stockte den Betrag noch einmal um 20.000 D-Mark auf, außerdem gab es Spenden, sogar welche im fünfstelligen Bereich. „Wir haben aber auch sehr viel selber gemacht“, sagt Elfriede Holz – Bäder gefliest, Innenräume gestrichen, zu tun gab es reichlich. Am 20. Juni 1998 wurde Eröffnung gefeiert. „Das war schon eine Nummer, so etwas auf die Beine zu stellen“, betont der heutige städtische Seniorenbeauftragte Volker Reichmann rückblickend.

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Nicht alles, was mit Feuereifer beginnt, brennt bekanntlich auch mit ebensolchem Enthusiasmus weiter. Das Herbstzeitlos schon. „Ein Erfolgsprojekt, das nachhaltig ist“, sagt Bürgermeister Steffen Mues. Das Engagement aller Beteiligter sei enorm gewesen und sei es noch immer – und der Bedarf wird größer. Rund 29.000 Menschen in Siegen seien heute 60 Jahre und älter, und der Anteil der Seniorinnen und Senioren an der Gesamtbevölkerung werden zunehmen. Im Haus Herbstzeitlos laufen Projekte, „die ermöglichen, dass ältere Menschen etwas für sich, für andere und mit anderen tun können“, sagt der Bürgermeister.

Das Logo von Haus Herbstzeitlos ziert die Außenfassade des Gebäudes in der Marienborner Straße 151.
Das Logo von Haus Herbstzeitlos ziert die Außenfassade des Gebäudes in der Marienborner Straße 151. © WP | Florian Adam

Siegen: Haus Herbstzeitlos lädt alle Altersgruppen zur großen Jubiläumsfeier ein

Die Ideen werden nicht von Außenstehenden vorgekaut (oder schlimmstenfalls sogar übergestülpt), sondern entstehen aus dem Haus heraus. Mehr als 20 Gruppen sind dort derzeit angesiedelt. Es gibt die Heinzelwerker, die bei der Reparatur von Dingen helfen, den „Durchblick“, das „Senec@fe“ des Vereins Alteraktiv, das Menschen bei der Nutzung Neuer Medien unterstützt und dessen Team so ziemlich jede Frage beantworten kann. Es gibt einen Singkreis, eine Bibliothek, Selbstverteidigungskurse, die Gruppe „anders altern“ für ältere Schwule und Lesben, Tai Chi, Selbsthilfegruppen…. Außerdem hat der Seniorenbeirat seinen Sitz im Gebäude, ebenso eine der Senioren-Service-Stellen der Stadt. Freizeitangebote und Beratung zu existenziellen Themen finden unter einem Dach statt, die gesamte Bandbreite des Lebens (im Alter) wird abgedeckt.

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Wichtige Entscheidungen obliegen bei all dem dem Haus-Rat, der mit Vertreterinnen und Vertretern aller im Haus aktiven Gruppen besetzt ist. Das basisdemokratische Prinzip aus den Anfangszeiten ist geblieben und bestimmt den Geist des Hauses. Alles ist sehr offen: Wer eine Idee hat, die er oder sie gerne umsetzen würde, kann vorbeikommen. Und wer sich unverbindlich einfach mal anschauen mag, was im Haus so läuft und ob etwas für den eigenen Geschmack dabei ist, kann das ebenfalls tun. Eine ideale Gelegenheit ist das Jubiläumsfest am Samstag, 24. Juni, von 11 bis 16 Uhr – zu dem natürlich alle Altersgruppen eingeladen sind.

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