Siegen. . Astrid E. Schneider hat am Dienstag ihren letzten Arbeitstag als Seniorenbeauftragte. Die Stelle hatte sie zum 1. Dezember 1996 angetreten.
- Astrid E. Schneider hat morgen ihren letzten Arbeitstag als Seniorenbeauftragte
- Das reizvolle an der Stelle für sie damals: „Ich konnte etwas Neues aufbauen“
- Von ihr initiiertes Haus Herbstzeitlos ist noch immer ein Modellprojekt des Landes
Mit oder ohne Stirnband? Astrid E. Schneider überlegt kurz, dann streift sie fürs Foto eines über. Stirnbänder sind so etwas wie ein Markenzeichen der Seniorenbeauftragten. Am Dienstag wird sie in der Sitzung des Seniorenbeirats in den Ruhestand verabschiedet. Die Siegenerin, 1953 geboren, ist altersmäßig in ihrer eigenen berufsbedingten Zielgruppe angekommen. „Das ist schon der Knaller“, sagt sie fast erstaunt.
„Ich bin weggegangen vom Defizitmodell des Alters. Die Alten haben Ressourcen. Ich habe gesagt: ,Das, was Du kannst, will ich von Dir.’“
Astrid Schneider sitzt in ihrer Wohnung, erzählt in ihrer ruhigen, aber bestimmten Tonlage. Zum 1. Dezember 1996 hatte sie die Stelle als Siegens erste Seniorenbeauftragte überhaupt angetreten. Ihre Ausbildung nach der Schule machte sie zur Industriekauffrau, danach arbeitete sie sieben Jahre im Büro der SPD Siegen-Wittgenstein, studierte in Siegen soziale Arbeit, später noch Erziehungswissenschaft, war an der Gründung des Bildungswerks Siegerland-Westerwald (heute Bildungswerk Sieg-Lahn) beteiligt. „Ich hatte immer das Glück, in Bereichen arbeiten zu können, die mich wirklich interessierten.“ An der Stelle der Seniorenbeauftragten habe sie gereizt, „dass ich etwas Neues aufbauen konnte“. Grundlegend war ein verändertes Bild auf die Generation 60plus, der Gedanke des „selbstbestimmten Alterns“.
„Ich habe Leute unterstützt, das zu tun, was sie tun wollten. Sie haben sich ausprobieren dürfen.“ Vieles, was Schneider erzählt, klingt im ersten Moment eher nach Jugendarbeit. „Multioptionsgesellschaft“ ist das Stichwort, das sie nutzt: Ein Weltbild, in dem Menschen im Grunde alle Wege offenstehen. „Wir wollten weg davon, dass die Alten bespielt und bebastelt werden“, sagt Schneider. Walkinggruppen, Seniorenmodenschauen, Seniorentheater waren Ideen, die Menschen konnten sich und ihre Wünsche einbringen. Zu einer wichtigen Anlaufstelle wurde das Haus Herbstzeitlos, Ende der 90er-Jahre in der alten Hainer Schule eröffnet. „Ich wollte das Prinzip der autonomen Jugendhäuser auf Alte übertragen“, sagt Schneider. Das Herbstzeitlos ist noch immer ein Modellprojekt des Landes NRW.
„Altern ist lebenstilbezogen. Es gibt so viele unterschiedliche Menschen, wie es überhaupt Menschen gibt. In der Wahrnehmung der älteren Generation, sicherlich auch in deren Selbstverständnis, hat sich vieles verändert.“ Aber Pauschalisierungen äußert die Seniorenbeauftragte nicht. Klassische Angebote wie Kaffeetrinken und Handarbeitsgruppen hätten noch immer Publikum, und das sei völlig in Ordnung. Andererseits habe das Senecafé – der Internet-, Computer- und Neue Medien-Treff, den der Verein Alteraktiv Siegen-Wittgenstein im Haus Herbstzeitlos betreibt, enormen Zulauf. „Das boomt“, sagt Schneider, „das ist der Renner.“ Die Bandbreite sei mittlerweile sehr groß. Manche Leute nähmen an mehreren Gruppen teil, andere nur an einzelnen Projekten.
Die Heinzelwerker seien dafür ein gutes Beispiel: Wer sich einbringen möchte, könne dies auch unverbindlich tun, das Maß seines Einsatzes genau nach seinen Bedürfnissen dosieren. Generell sei zu beobachten, das viele Menschen sich nicht mehr so sehr über ihr Alter determiniert fühlten. Das Bildungsniveau sei hoch, gesundheitliche Möglichkeiten blieben länger stabil. „Man definiert sich heute eher über eine Aufgabe oder ein Projekt. Jeder kann selbst wählen, was er oder sie machen will – und wie.“
„Ich fühle mich nicht alt, ich fühle mich nur älter. Ich habe viel Kontakt zu früheren Klassenkameraden. Wir verändern uns äußerlich. Aber im Kopf nicht.“ Schubladen mag Astrid Schneider nicht, es gibt für sich nicht „den alten Menschen“. Gleichwohl seien Senioren in einigen Belangen eine benachteiligte Gruppe, „und darum muss jemand hingucken und Probleme ins Bewusstsein bringen, damit es später auf Augenhöhe gehen kann.“ Dies sei auch eine wesentliche Funktion des Seniorenbeirats, der seit 1997 als beratendes Gremium auf politische Prozesse in Siegen Einfluss nimmt. Es müsse Strukturen geben, „denn irgendwann sind wir alle weniger fit – und dann brauchen wir jemanden, der uns hilft“, sagt Schneider. Mit „großer Sorge“ sehe sie Probleme wie Alterseinsamkeit und Altersarmut: „Das macht mich zornig.“
„Ich freue mich auf die Ruhe; einfach das Gefühl haben, dass ich nichts tun muss.“ Der Gedanke an den Ruhestand beunruhigt die scheidende Seniorenbeauftragte nicht – trotz ihrer Umtriebigkeit, vielleicht aber auch gerade deswegen. Pläne gibt es aber: Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie einen Wohnwagen gekauft, außerdem wollen sie auf dem Nachbargrundstück einen Bouleplatz anlegen. Und Astrid Schneider möchte noch etwas lernen – Socken stricken: „Die Ferse kriege ich bisher nie hin.“
Aus dem Leben und der Arbeit von Astrid E. Schneider
Das „E“ in Astrid E. Schneider steht für Ellen. Im Telefonverzeichnis der Stadtverwaltung steht sie als „Frau Schneider-Mareski“ – vor wenigen Jahren hat sie noch einmal geheiratet.
Sie hat eine Tochter, die in Köln lebt.
Auf ihr Engagement hin wurden die Berücksichtigung der Belange von älteren Schwulen und Lesben in den Altenplan der Stadt Siegen aufgenommen – als erste Kommune in NRW. Im Haus Herbstzeitlos gibt es für diese Zielgruppe außerdem den Treff „anders altern“.
Astrid Schneider wollte 1996 den – vor kurzem gestorbenen – Schauspieler Manfred Krug als Werbegesicht für die Wahl des ersten Siegener Seniorenbeirats gewinnen. Die Idee kam ihr, da Krug in diesem Jahr Werbung für die T-Aktie machte. Er sagte in einem persönlichen Brief respektvoll und pointiert ab: Er halte die Initiative „für etwas Großartiges und Wichtiges“ aber „wir Alten... müssen aus eigenem Antrieb etwas mit uns und unserer Umgebung anfangen und uns nicht von alten Schauspielern überreden lassen.“
Die Angebote im Haus Herbstzeitlos will sie – zunächst – nicht besuchen. Einerseits „käme ich dann nie aus meiner Rolle raus“ und andererseits „wäre das sicher auch für meinen Nachfolger nicht so schön, wenn ich da rumhänge“.