Siegen-Wittgenstein. Volkmar Klein, Anke Fuchs-Dreisbach, Jens Kamieth und Johannes Remmel zum Corona-Check Siegen/Siegerland: Es gibt nicht nur schwarz und weiß.
Je länger die Pandemie andauert, desto stärker steht „die Politik“ in der Kritik. Einiges ist gut gelaufen in der bisherigen Krisenbewältigung, vieles auch nicht.
Im Rahmen des Corona-Checks hat die Lokalredaktion Siegen heimische Abgeordnete zum Thema Krisenpolitik, und -kommunikation befragt.
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Volkmar Klein, CDU, Bundestagsabgeordneter für Siegen Wittgenstein
1. Welche kommunikativen Versäumnisse sehen Sie bei den Regierungen – und welche eventuell auch bei sich selbst?
Die Corona-Pandemie hat uns alle vor vollkommen neue Herausforderungen gestellt. Vieles, was heute selbstverständlich erscheint, war im Februar 2020 noch undenkbar. Dass in dieser beispiellosen Problemlage im Umgang mit der Pandemie auch Fehler gemacht wurden, steht außer Frage. Viele Entscheidungen mussten aufgrund des sich schnell entwickelnden Infektionsgeschehens sehr kurzfristig getroffen werden. Auf der einen Seite empfand ich das als gutes Zeichen: Die Politik hat gezeigt, dass man auf Notsituationen schnell und gezielt reagieren kann. Auf der anderen Seite hat diese Schnelligkeit natürlich dazu geführt, dass nicht alle Regeln und Maßnahmen der Bevölkerung auf angemessene Art und Weise erläutert wurden. Darauf muss in Zukunft sicher mehr geachtet werden.
2. Wie sehen Sie Ihre Aufgabe als Bindeglied und „Erklärer“ zwischen Regierung/Parlament und den Menschen in Ihrem Wahlkreis, gerade in Sachen Corona?
Ich habe seit Beginn der Pandemie unzählige Zuschriften und Kommentare erhalten, in denen es um die beschlossenen Maßnahmen der Bundesregierung ging. In allen Gesprächen, Briefen und Mails habe ich die getroffenen Entscheidungen erklärt und die Position der Bundesregierung sowie unserer Bundestagsfraktion deutlich gemacht. Dass dies im vergangenen Jahr nicht immer auf Verständnis gestoßen ist, dürfte nicht überraschen und ist sicher auch ein Stück nachvollziehbar. Oftmals waren die Empfehlungen, die ich bekommen habe, aus jeweils guten Gründen total gegensätzlich. Einige wollen die komplette Schließung, andere gar keine. Dennoch galt und gilt für mich, stets offen und ehrlich im Umgang zu sein und notfalls auch mal eine weniger populäre Meinung zu vertreten, solange ich sie persönlich für richtig halte. Das gilt natürlich nicht nur für Corona. Auch bei allen anderen Themen stehe ich den Bürgern in Siegen-Wittgenstein seit vielen Jahren regelmäßig gerne Rede und Antwort.
3. Wie möchten Sie dazu beitragen, dass die Menschen der Politik wieder stärker vertrauen?
Durch gute und verlässliche Arbeit und einen vertrauensvollen Umgang miteinander. Die schönsten Worte bringen am Ende nichts, wenn die gelieferte Arbeit nicht das hält, was sie verspricht. Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Fleiß stärken das Miteinander und sind in meinen Augen wichtig, um verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Miteinander im Gespräch zu sein bedeutet für mich, dass die Politik auch einfach mal zuhört, was die Menschen zu sagen haben. Das ist für meine Arbeit in Berlin jedenfalls ziemlich wichtig.
4. Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern an der Art, Politik zu machen und diese den Menschen zu vermitteln?
Es ist nicht immer leicht, den Menschen politische Beschlüsse näher zu bringen. Viele der Entscheidungen sind deutlich komplexer, als man von außen den Eindruck hat. Es gibt nicht nur schwarz und weiß. Wichtig ist, stets für die Menschen ansprechbar zu sein, auch kritische Meinungen zuzulassen. Durch soziale Medien erhalten Menschen viel schneller Informationen. Leider werden gerade dort auch bewusst Falschmeldungen verbreitet, um Hass und Missstimmung zu erzeugen. Da muss die Politik viel aktiver sein und politische Entscheidungen angemessen darstellen und erklären.
Johannes Remmel, Grüne, Landtagsabgeordneter für Siegen und das Siegerland
1. Welche kommunikativen Versäumnisse sehen Sie bei den Regierungen – und welche eventuell auch bei sich selbst?
Insbesondere in Krisen sind nur eindeutige Entscheidungen kommunizierbar. Eingebettet in vorsichtiges Erwartungsmanagement müssen die Maßnahmen mit der (prognostizierten) Entwicklung der Krisenlage übereinstimmen. Das ist bei der schwarz-gelben NRW-Regierung und teils auch bei der GroKo in Berlin nicht ausreichend gelungen, vor allem bei Inzidenzzahlen, Impfpolitik, Testungen und Schulbetrieb. Gerade das zu späte Handeln bei der zweiten Welle, das Hin und Her bei Lockerungen und die zu späte und nicht ausreichende Konsequenz bei der dritten Welle wurden den Ansprüchen nicht gerecht. Hier liegt die Verantwortung bei der Regierung. Auch die Opposition hat Verantwortung: Sie muss kritisch-konstruktive Einwände und Rückmeldungen aus der Region in die Parlamente einbringen. So verstehe ich meine Aufgabe.
2. Wie sehen Sie Ihre Aufgabe als Bindeglied und „Erklärer“ zwischen Regierung/Parlament und den Menschen in Ihrem Wahlkreis, gerade in Sachen Corona?
Die Kommunikationsaufgabe, Regierungshandeln zu erklären, ist Aufgabe der Regierung selbst. Ich als Abgeordneter sehe meine Aufgabe darin, mit den Menschen vor Ort zu sprechen und ihre Sichtweisen ins Parlament einzubringen sowie gegenüber der Landesregierung und den Verantwortlichen vor Ort, also in erster Linie gegenüber dem Landrat, zu vertreten. Das habe ich sehr intensiv getan, in Gesprächen mit Eltern, Lehrer*innen, heimischen Unternehmen, Handel, Busunternehmen, Fitnessstudios und Vereinen, Friseur*innen – um nur ein paar Beispiele zu nennen.
3. Wie möchten Sie dazu beitragen, dass die Menschen der Politik wieder stärker vertrauen?
Ich werbe dafür, nicht von „der“ Politik zu sprechen, sondern Kritik klar zu adressieren an bestimmte Personen oder Parteien. Ich sehe hier keine Kollektivverantwortung; wenn man etwas verändern oder verbessern will, muss man konkret werden bei der Benennung der Verantwortlichen. Im Übrigen gab es lange Zeit eine große Zustimmung zu einer restriktiveren Corona-Bekämpfungsstrategie. Das Vertrauen war also durchaus über weite Strecken vorhanden, nur die Regierungen haben nicht immer entsprechend gehandelt.
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4. Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern an der Art, Politik zu machen und diese den Menschen zu vermitteln?
Es gab lange keine Krise mit solchen Herausforderungen. Wir mussten und müssen alle viel dazulernen. Es braucht für alle Maßnahmen einheitliche, klare Entscheidungsebenen, an manchen Stellen auch mehr politische Führung. Man wird nie sicherstellen können, dass alle mit allem einverstanden sind. Aber es braucht mehr Resonanzräume, wo Kritik und Betroffenheit, jenseits von Hass und Wissenschaftsleugnung, außerhalb von Talkshows diskutiert werden. Hier fehlen erkennbar Plattformen und Diskussionsräume – gerade wenn Begegnungen und Versammlungen eingeschränkt sind.
Anke Fuchs-Dreisbach, CDU, Landtagsabgeordnete für Siegen-Wittgenstein
1. Welche kommunikativen Versäumnisse sehen Sie bei den Regierungen – und welche eventuell auch bei sich selbst?
Niemand bezweifelt, dass in dieser Pandemie Fehler gemacht worden sind. Man muss allerdings die Bedingungen sehen. Diese Pandemie, ihre Auswirkungen, ihre Bekämpfung, und alles Handeln zum Schutz der Menschen und zur Verhinderung der Ausbreitung ist in diesem Ausmaß für alle Beteiligten neu. Die Politik hat sich seit Beginn der Pandemie sehr deutlich an den Aussagen, Ratschlägen und Mahnungen der Virologen und Epidemiologen orientiert. Sie hatte auch gar keine andere Wahl. Aber auch die Experten waren und sind sich bis heute in vielen Fragen untereinander noch nicht einig.
2. Wie sehen Sie Ihre Aufgabe als Bindeglied und „Erklärer“ zwischen Regierung/Parlament und den Menschen in Ihrem Wahlkreis, gerade in Sachen Corona?
Es gibt seit Monaten kaum noch andere Themen als Corona, Inzidenz-Zahlen, Pandemie, Impfen, Lockerungen,... Ich überschätze mich nicht und ich präsentiere mich nicht, nur weil ich Mitglied des Landtags sein darf, als allwissende Abgeordnete. Ich bin, wie jede andere Person in unserem Land, auf beste, vertrauenswürdige und fachlich gute Informationen angewiesen. In den zahlreichen, zur Zeit meist virtuellen Kontakten mit Menschen aus meinem Wahlkreis geht es mir immer darum, deutlich zu machen, dass ich mich kümmere. Es gibt so viele, unterschiedliche Schicksale: Sehr viele Menschen, die von Todesfällen belastet sind; sehr viele, die einen erkrankten Menschen nicht einmal besuchen können. Es gibt viele, die einfach Angst haben, die – auch wirtschaftlich – riesige Probleme haben. Es sind tagtäglich viele kleine Schritte, bei denen ich helfen, beraten und vermitteln kann. Aber auch ich bin keine Pandemie-Expertin. Nur auf eines lege ich großen Wert: Ich kümmere mich. Und das tue ich auch gerne.
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3. Wie möchten Sie dazu beitragen, dass die Menschen der Politik wieder stärker vertrauen?
Das gelingt nur durch überzeugenden Einsatz, eindeutige, klare, miteinander abgestimmte Kommunikation und beste Kooperation von und mit all den Experten, Wissenschaftlern und Politikern. Es ist das Wirrwarr an Informationen, die vielfältigen Widersprüche, die die Menschen verunsichern. Die Medien können ebenfalls bei sinnvoller, klarer und verständlicher Informationen einen sehr wichtigen Beitrag leisten.
4. Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern an der Art, Politik zu machen und diese den Menschen zu vermitteln?
Ändern muss sich das Bewusstsein – und das ist in den letzten Monaten überdeutlich klar geworden – dass auch Politik, schon gar nicht in Ausnahmesituationen, mal eben so funktioniert. Unsere Gesellschaft, unser Zusammenleben und vor allem ein gesundes, krisenfreies Zusammenleben sind nicht so einfach zu organisieren, wie es oft dargestellt wird. Wir haben in allen Bereichen im letzten Jahr so viel dazugelernt. So muss es in einer Demokratie sein: ein ständiger Lernprozess für alle Beteiligten.
Jens Kamieth, CDU, Landtagsabgeordneter für Siegen und das Siegerland
1. Welche kommunikativen Versäumnisse sehen Sie bei den Regierungen – und welche eventuell auch bei sich selbst?
Die Corona-Pandemie betrifft alle Lebensbereiche. Ihre sehr dynamische Entwicklung hat uns in den vergangenen Monaten vor große Herausforderungen gestellt und es erforderlich gemacht, die jeweiligen Maßnahmen fortlaufend zu überprüfen und bei Bedarf – kurzfristig – anzupassen. Dabei haben wir den Rat von Expertinnen und Experten angehört und in politische Entscheidungen auf Bundes- und Landesebene einbezogen. Ein gemeinsames Verständnis dafür zu schaffen, dass Forschung ein Prozess ist und ihre Ergebnisse jederzeit revidiert werden können, sowie gerade den Kommunen mehr Zeit für die Umsetzung der Maßnahmen einzuräumen, sind für mich zwei wichtige Punkte, bei denen wir kommunikativ besser werden müssen.
2. Wie sehen Sie Ihre Aufgabe als Bindeglied und „Erklärer“ zwischen Regierung/Parlament und den Menschen in Ihrem Wahlkreis, gerade in Sachen Corona?
Miteinander im Gespräch zu bleiben, den Bürgerinnen und Bürgern bei uns im Siegerland zuzuhören, ihre Sorgen aufzunehmen und ihnen in Düsseldorf, bis in die Ministerien hinein, eine Stimme zu geben, auch wenn die persönliche Begegnung aufgrund von Corona nicht möglich ist. Mein Team und ich haben im vergangenen Jahr neue Formate gefunden und zum Beispiel viele Videokonferenzen mit Betroffenen geführt, telefonische Bürgersprechstunden angeboten und noch mehr als sonst über E-Mail und Social Media kommuniziert.
3. Wie möchten Sie dazu beitragen, dass die Menschen der Politik wieder stärker vertrauen?
Eine Maxime für eine/n gute/n Politiker/in ist: „Sage, was Du tust, und tue, was Du sagst.“ Das ist ein Zitat von Johannes Rau und bringt es für mich auf den Punkt: Transparenz und Verlässlichkeit, gerade in Krisenzeiten, aber nicht nur dann. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie werden noch länger spürbar sein. Das gilt insbesondere für unsere heimische Wirtschaft und für unsere Kinder und Jugendlichen. Mit ganzer Kraft will ich sie auch in Zukunft weiter unterstützen.
4. Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern an der Art, Politik zu machen und diese den Menschen zu vermitteln?
Demokratie ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die nur gelingen kann, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger aktiv einbringen, sie sich an den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen beteiligen. In diesem Zusammenhang Angebote gerade für Kinder und Jugendliche zu stärken, ist mir ein Herzensanliegen.