Siegen. Antisemitische Beschimpfung Thema: Verteidigerin versucht in Siegen, die Glaubwürdigkeit der Zeugen zu erschüttern. Das gelingt ihr eher mäßig.
Ende September 2020 schlug die Störung eines Stolperstein-Spaziergangs auf der Hammerhütte durch Vertreter der rechtsextremen Kleinstpartei „Der dritte Weg“ hohe Wellen. Vor dem Amtsgericht Siegen wird nun geklärt, ob der Vorfall auch juristische Konsequenzen hat: Wegen Volksverhetzung angeklagt ist ein 29-jähriger stadtbekannter Neonazi aus Olpe; am Freitag fand eine mehrstündige Verhandlung mit zahlreichen Zeugenbefragungen statt.
Rechtsextremer holt sich in Siegen Unterstützer zum Stolperstein-Spaziergang
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Beschuldigten vor, am 27. September 2020 den öffentlichen Frieden gestört und zu Hass aufgestachelt zu haben gegen die Menschenwürde anderer religiöser Gruppen. Im Rahmen der Veranstaltung von Volkshochschule und Aktivem Museum Südwestfalen hatte die Gruppe verschiedene Stationen auf der Hammerhütte besucht, mit Schwerpunkt zu den früher wohnhaften jüdischen Menschen, die vom NS-Regime deportiert und später ermordet wurden.
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Im Bereich des Spielplatzes an der Wiesenstraße – dort liegen fünf Stolpersteine – hatte laut Anklage dann der Beschuldigte, Leiter des „Parteibüros“ des „dritten Wegs“, das seinerzeit seit wenigen Monaten dort bestand, die Führung gestört und sich antisemitisch geäußert. Schnell kamen weitere Personen zu seiner Unterstützung dazu, bis die Polizei gerufen wurde und die Situation beendete. Der Spaziergang wurde fortgesetzt, weitere Führungen fanden seither unter Polizeischutz statt. Die Stadtgesellschaft organisierte in der Folge Demonstrationen und Aktionen gegen den „dritten Weg“, der bald sein Büro an der Schlachthausstraße räumen muss.
Sogenannter „dritter Weg“ versuchte „für Ordnung“ auf Siegener Hammerhütte sorgen
Im Wesentlichen ist der Vorfall so abgelaufen, berichten übereinstimmend die Zeugen: Der Angeklagte war mit seinem Hund unterwegs und begegnete der Gruppe, die ebenfalls Hunde dabei hatte. Zunächst habe der Angeklagte sich erkundigt, was es für eine Gruppe sei. Als er vom Stolpersteinspaziergang hörte, habe er sich in „Sheriff-Manier“ angemaßt, im Quartier für Ordnung sorgen zu wollen, die Legitimität der Führung in Frage gestellt, auf die Corona-Schutzverordnung verwiesen, weil keine Masken getragen und Abstände nicht eingehalten würden. Dann habe der Angeklagte den Leiter der Führung sinngemäß beschuldigt, Lügen zu verbreiten, sich mit erfundenen Geschichten über angeblich dort lebende Juden zu bereichern, was in antisemitischen Ausbrüchen gipfelte. Dazu machen die Zeugen, bis auf eine Ausnahme, allerdings unterschiedliche Angaben. Plötzlich seien auch die „Unterstützer“ vor Ort gewesen, die Rede ist von vier bis fünf Männern, die sich in einschüchternder Pose vor der Gruppe aufgebaut und teils mit ihren Handys das Geschehen gefilmt hätten.
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Der Angeklagte habe offenkundig sein Ziel erreicht, sagt der Leiter des Stolpersteinspaziergangs vor Gericht: Ein Ignorieren des Störers sei nicht möglich gewesen, er als Dozent habe irgendwann die Fassung verloren, sich schließlich aus dem Geschehen zurückgezogen, worauf der andere ihn mit Spott überzogen habe. Eine Frau aus der Gruppe berichtet von ihrem Versuch, mäßigend und mit Argumenten auf den Angeklagten einzuwirken, der habe aber die antisemitischen Beschimpfungen weiter wiederholt, die Anspannung sei gestiegen. Das Erscheinen seiner Unterstützer habe auf alle bedrohlich gewirkt, eine Zeugin beschreibt die Männer als „Schergen mit leeren Augen“, das „Gehirn“, sagt sie Richtung Anklagebank nickend, sitze dort. Die Störung wirkt auf die Zeugen geplant.
Parteimitglieder der Rechtsextremen berichten von angespannter Atmosphäre
Der Angeklagte selbst schweigt vor Gericht. Drei seiner Unterstützer geben im Zeugenstand an, erst am Ort des Geschehens eingetroffen zu sein, als weitgehend alles geschehen sei; an konkrete Äußerungen hätten sie keine Erinnerung mehr. Es habe zuvor eine Mitgliederversammlung gegeben, der Angeklagte sei mit seinem Hund gegangen, rief irgendwann an und bat um Unterstützung, wenige Meter weiter habe man dann eine Diskussion vorgefunden. Von „angespannter Atmosphäre“ berichtet einer, aber nicht von Aggression. Drohgebärden oder Gebrüll habe es nicht gegeben. Man habe vor Ort „Beistand geleistet“, sagt ein anderer, den der Richter Uwe Stark als nicht gerade furchteinflößend einschätzt, „wir waren halt da“, um zu zeigen, dass der „Parteikamerad“ nicht allein sei.
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Es geht sehr viel um Details in der mehrstündigen Hauptverhandlung. Wie so häufig, wenn sich Rechtsradikale vor Gericht verantworten müssen, versucht die Verteidigung eingehend, die Glaubwürdigkeit der Zeugen zu erschüttern und Widersprüche aufzutun; in diesem Fall mit Fragen nach dem Wetter, nach der Lautstärke von Äußerungen und wie sich diese im Verlauf der Situation entwickelt hat; nach Alter und Kleidung von Kindern oder Jugendlichen, die sich in etwas Entfernung auf dem Spielplatz befanden. Bei den eher unsicheren Zeugen gelingt der Anwältin das zum Teil auch. Die Selbstbewussteren lassen sie auflaufen; antworten ruhig und inhaltlich konsistent. Zwischenzeitlich wird es Richter Stark zu bunt und betont, sie möge nicht immer wieder nachhaken, wenn Zeugen bereits klare Aussagen getätigt haben oder über die Intention des Angeklagten spekulieren sollen. Sie wolle niemanden mit unnötigen Fragen quälen, sagt sie und stellt diese dann doch, es gehe ihr um das Erinnerungsvermögen der Zeugen.
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Zunehmend bestimmt dann der Angeklagte selbst die Verteidigung, flüstert seiner Anwältin immer neue Ansatzpunkte zu, wenn dieser die Ideen auszugehen scheinen oder nickt ab, wenn ihr keine Fragen mehr einfallen.