Meschede. Zwei Erzieherinnen aus Meschede reden Klartext: Die großen Probleme im Beruf und wieso sie sich trotzdem dafür entschieden haben.
Sie lieben ihren Job als Erzieherin – auch wenn vieles falsch läuft. Klara Wüllner und Adelheid Hengesbach arbeiten in der katholischen Kita St. Jakobus in Remblinghausen. Mit 20 Jahren ist Wüllner gerade frisch mit der Ausbildung fertig. Ihre Kollegin Hengesbach hat dagegen schon viel Berufserfahrung sammeln können: Die 64-Jährige befindet sich in der Freistellungsphase der Altersteilzeit. Sie erzählen von ihrem Beruf – und den großen Problemen im System.
Was hat Sie motiviert, Erzieherin zu werden?
Klara Wüllner: Ich bin durch meine Cousinen auf den Beruf aufmerksam geworden. Ich wollte immer mit Menschen arbeiten. Mir gefällt der Austausch: Im Kindergarten gibt es so viele Charaktere. Die Kinder lernen von uns, aber wir lernen auch von ihnen.
Adelheid Hengesbach: Schon als junges Mädchen wollte ich Erzieherin werden. Die Arbeit mit Kindern hat mich gereizt und mir bis zum letzten Tag Spaß gemacht. Ich finde nach wie vor, dass es der schönste Beruf der Welt ist. Es vergeht kein Tag wie der andere. Es ist ein sehr lebendiger, emotionaler und handwerklicher Beruf. Leider rückt die Arbeit immer mehr in den Hintergrund, weil sie von anderen Dingen überlagert wird.
Welche Dinge meinen Sie?
Hengesbach: Die Rahmenbedingungen. Die Bedürfnisse der Kinder werden von den Erzieherinnen erkannt, sie können ihnen aber nicht mehr gerecht werden. Es werden viel mehr Anforderungen an uns gestellt. Manchmal bereue ich es, schon in der Altersteilzeit zu sein, weil ich den Beruf so gerne mache. Aber ich muss auch sagen: Zum Glück unterstütze ich dieses System nicht mehr, das war nicht der Grund, warum ich Erzieherin geworden bin.
Wüllner: Die Dokumentation nimmt einen großen Teil unserer Arbeit ein. Wir müssen viel hinter Unterschriften herlaufen. Es ist natürlich wichtig, aber es ist Zeit, die leider mit den Kindern verloren geht. Unser Arbeitstag beginnt zur Öffnungszeit um 7.15 Uhr. Das Problem ist, dass die höchste Betreuungszeit – auf die Eltern und Kinder auch ein Recht haben – bei 45 Stunden liegt. Unsere Arbeitszeit liegt aber bei 39 Stunden.
Wie hat sich der Job verändert?
Hengesbach: Wir merken den familiären Wandel. Den pflegerischen Aspekt gab es damals noch nicht. Erzieherinnen haben familienergänzend gearbeitet, heute sind wir in vielen Bereichen familienersetzend. Kinder sind das Beste, was wir haben und Partizipation ist sehr wichtig, doch oft werden Kinder mit in Entscheidungsprozesse einbezogen, die sie aufgrund ihres Alters noch nicht überschauen können. Es wird Kindern nur noch wenig Orientierung geboten. Das ist ein großer Unterschied.
Wüllner: Es wird alles offener. Das ist gut, ich freue mich, dass die Kinder Freiheiten entwickeln. Das macht es für uns jedoch schwieriger, die Grenzen zu erkennen. Ich frage mich oft, was darf ich als Erzieherin noch und was nicht?
Was sind Probleme im System und wie gehen Sie mit dem Druck um, der auf Ihnen lastet?
Hengesbach: Ich bin häufig mit Wut auf das System nach Hause gegangen. Ich musste oft zu den Kindern sagen: Warte, wir machen das gleich. Und am Ende des Tages fährt man mit einem schlechten Gewissen nach Hause, weil man wieder nicht die Zeit gefunden hat. Wir betreuen Kinder zwischen zwei bis sechs Jahren, das ist schwierig.
Oft kommen Kinder auch krank zu uns. Ein krankes Kind bräuchte zur Genesung viel mehr Ruhe und Zuwendung. In vielen Familien ist es schwierig, eine Erkrankung des Kindes aufzufangen. Eltern stehen unter Druck und die Großeltern, die früher Familien in so einer Situation unterstützen konnten, sind heute oftmals selbst berufstätig. Ich kann die gesellschaftliche Veränderung nicht werten, die wir aktuell mitbekommen, aber diese Rahmenbedingungen machen mich wütend und traurig. Ich habe manchmal das Gefühl, dass in dieser Welt kein Platz mehr für Kinder ist und sie sich dem Lebensrhythmus der Erwachsenen anpassen müssen.
Wüllner: Gerade in Phasen von hohen Krankheitswellen springt man für alles ein. In der Erkältungszeit weiß man: Ich habe es auch. Und doch macht man Überstunden. Jede Kollegin gibt 100 Prozent. Manchmal komme ich nach Hause und schlafe, weil mein Akku leer ist. Aber es gibt auch schöne Tage. Die Kinder geben einem sehr viel zurück. Ich versuche, mich an den positiven Dingen festzuhalten. Die sind entscheidend.
Was sind die schönen Momente Ihres Berufs?
Hengesbach: Es gibt so viele gute Momente. Erzieherin ist ein Beruf mit viel Freude und Witz. Die Lebendigkeit, die die Kinder mitbringen, ist schön. Wir schließen sie in unser Herz. Für mich ist es der schönste Beruf der Welt, er muss nur neu überdacht werden.
Wüllner: Was die Kinder zurückgeben, gibt einem so viel. Es ist schön zu sehen, welche Fortschritte sie in der Zeit machen. Ich habe mit einem Kind schreiben gelernt. Am Ende konnte sie ihren Namen, den ihrer Eltern und Geschwister schreiben. Ich habe das Bild noch vor mir: Wir sind durch den Raum getanzt, weil wir uns beide so gefreut haben.
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Welche Veränderungen würden Sie sich wünschen? Was fehlt Ihnen?
Wüllner: Es fehlt mir, mich wirklich auf ein Kind fokussieren zu können. Dafür wünsche ich mir mehr Zeit. Selbst wenn ich mit einem Kind ein Buch lese, habe ich gleichzeitig die Gruppe im Blick. Die Kinder merken auch, dass wir weniger Zeit für sie haben. Ich wünsche mir mehr Dankbarkeit, für die Arbeit, die wir leisten. Von uns wird immer mehr erwartet, dafür haben wir aber einfach nicht genug Zeit.
Hengesbach: Ich wünsche mir, dass die Politik das System neu durchdenkt. Der Rechtsanspruch nützt unter diesen Bedingungen niemanden. Wir brauchen einen geschützten Rahmen für die Kinder, aber auch für uns.
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