Meschede. Heinz Krick chauffiert seit 38 Jahren Brieftauben, die Renner der Lüfte, aus dem Sauerland zu ihren Starts. Ein Geheimnis bleibt
Tauben, hunderte, tausend, sie flattern los, orientieren sich kurz und halten dann Kurs gen Norden, auf den heimischen Schlag zu - der liegt irgendwo im Sauerland. Heinz Krick blickt ihnen hinterher. Er hat sie im vereinseigenen 7,5-Tonner 600 Kilometer bis an die österreichische Grenze gefahren, ihnen zwischendurch Wasser und Futter gegeben. Wenn das Wetter zu schlecht ist, verbringt er auch schon mal eine Nacht im Lkw, bis sie - und er - wieder Richtung Heimat starten konnten.
Im Schnitt ist eine Brieftaube 80 km/h schnell
Im Schnitt ist so eine 500-Gramm-Taube dann 80 km/h schnell. In der Minute schafft sie 1200 bis 1300 Meter. Ein Chip zeichnet das alles auf, die schnellste Taube wird per GPS ermittelt und gewinnt. Weil die Tiere Luftlinie fliegen, keine Pause machen und keine Staus zu erwarten haben, sind sie meist schneller wieder im Sauerland als ihr Chauffeur. Krick findet: „Für so ein kleines Tier ist das eine ganz schöne Leistung.“ Er weiß: Gefahr droht den „Rennern der Lüfte“ vor allem von Greifvögeln - Sperber, Habicht oder Wanderfalken - und das nicht nur unterwegs. „Die lauern schon, wenn die Tauben zurück in den heimischen Schlag wollen. Ihre Zahl hat enorm zugenommen, das ist ein echtes Problem für die Züchter.“
„Ich freue mich, wenn’s losgeht und freue mich im September aber auch, wenn es wieder vorbei ist.“
Transport für die RV Sauerland
Der Mescheder übernimmt den Brieftauben-Transport für die Reisevereinigung Sauerland seit 38 Jahren, von April bis September, aktuell fast an jedem Wochenende. „Ich freue mich, wenn’s losgeht und freue mich im September aber auch, wenn es wieder vorbei ist.“ Eine Ausnahme macht er: zum Schützenfest im Mescheder Norden muss sich der Verein einen anderen Fahrer suchen.
Dabei ist er nicht mal selbst Taubenzüchter. „Mein Vater war der Vorsitzende des Mescheder Vereins. Wir hatten immer Tauben. Als ein Fahrer krank wurde, sollte ich einmal aus der Patsche helfen.“ Aus einmal wurden fast vier Jahrzehnte. „Die machen sich schon Sorgen, wenn ich mal aufhören“, sagt er und lacht. Er kennt viele Züchter und trifft alte Bekannte am Zielort. Eine Zeit lang hatte er auch eine Vertretung, „da konnten wir uns abwechseln. Aber suchen Sie mal jemand, der Spaß an einer solchen Aufgabe hat“, sagt er. Klar werde das auch vergütet, „aber reich wird man dabei nicht.“
Mit in die Ehe gebracht
Wenn man den 68-Jährigen fragt, was seine Frau davon hält, schmunzelt er nur: „Sie kennt das nicht anders. Die Aufgabe habe ich schon mit in die Ehe gebracht.“ Einmal - ganz am Anfang - sei sie auch mitgefahren - und habe ihn dann aber wieder allein losgeschickt. „Für sie ist das nichts.“
Brieftaubenzucht ist seit 2022 bundesweites immaterielles Kulturerbe, was auch zeigt: Die Tradition schwindet. „Da wurde man reingeboren“, beschreibt es Heinz Krick, „früher züchtete jeder Bergmann Tauben. Und auch wir hatten hier im Ort mal 20 Taubenzüchter, heute sind es nur noch drei.“ Rund 45 Männer und vereinzelte Frauen zwischen Finnentrop und Ramsbeck gehören zur Reisevereinigung Sauerland.
Geht es zum Wettkampf, sammelt der Brieftauben-Kutscher, wie er sich selbst nennt, die Sauerländer Tauben im Spezial-Lkw ein. Treffpunkt ist meist am Gelände des Vereins an der Waldstraße, manchmal auch - für größere Wettkämpfe - an anderen Orten in NRW. Von dort aus kutschiert er sie dann quer durch Deutschland.
Das letzte Geheimnis
Bevor man die Tiere jedoch an dem neuen Ort „auflassen“ kann, damit sie nach Hause zurückfliegen, müssen sie erst mal lernen, wo sie herkommen. Deshalb lassen Züchter die Jungtiere anfangs die Gegend um ihren Heimatschlag erkunden. Dabei bauen die Vögel auch Muskeln auf. Die Taubenfamilie und der sichere Futtertopf lassen sie stets zurückkehren - das passiert auch, wenn Heinz Krick sie vorher bis zu 600 Kilometer weit weg kutschiert hat. „Der Züchter erkennt sie dann schon, bevor ich sie überhaupt sehe.“ Ein bis ins letzte Detail ungelöstes Geheimnis bleibt, wie Brieftauben in den heimischen Schlag zurückfinden. „Das hat letztlich noch keiner herausgefunden“, freut sich Krick. Das ist allein ihr Instinkt.“
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HINTERGRUND
Warum Brieftauben zurückfliegen und wie sie nach Hause finden, erklärt ein Zoologe folgendermaßen: Brieftauben könnten mithilfe verschiedener Fähigkeiten ihre geografische Position bestimmen. Erstens verfügten sie in ihrem Schnabel über einen Sensor, der das Magnetfeld der Erde misst. Zweitens orientierten sie sich am Sonnenstand. Drittens würden sie sich hervorstechende Elemente in der Landschaft merken, etwa Flüsse. Auch könne es sein, dass sie Landschaften am Geruch erkennen.
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