Meschede. Ist der Tarifabschluss der GDL ein Vorbild im Sauerland? Was Handwerker, Unternehmer und Arbeitgeber davon halten.

35 Stunden pro Woche zu arbeiten - die GDL-Eisenbahner haben das mit ihrem jüngsten Streik durchgesetzt. Wer will, kann mehr arbeiten, erhält dann aber auch mehr Geld. Ist das ein Vorbild für Firmen in der Region? Wir haben bei den Handwerkern, bei der Mescheder Wirtschaft, beim Unternehmensverband und bei der IG Metall nachgefragt.

Carmen Schwarz
Carmen Schwarz, Erste Bevollmächtigte der IG Metall Arnsberg © Funke Medien NRW | FOTOGRAFIE ANNESER

IG Metall

35-Stunden-Woche - für die IG Metall ist das nichts Neues. So arbeiten tarifgebundene Betriebe in der Metall- und Elektro-Industrie schon seit 1996. Und auch das Optionsmodell der GDL ist in Teilen bei der IG Metall abgeschaut. Wer dort im Schichtdienst arbeitet, Kinder unter acht Jahren betreuen oder Familienmitglieder pflegen muss, kann acht Tage pro Jahr zusätzlich frei machen. Die anderen Arbeitnehmer erhalten tarifliches Zusatzentgelt. Das sei sensationell gut angekommen, erklärt Carmen Schwarz, Erste Bevollmächtigte der IG Metall in Arnsberg und zeige, worum es Arbeitnehmern letztlich vor allem gehe: um Flexibilität und Selbstbestimmung. Die ganze Nervosität angesichts des GDL-Tarifabschlusses verstehe sie nicht. Für weitere, von den Arbeitgebern verlangte Mehrarbeit habe sie aber auch kein Verständnis.


Dr. Volker Verch, Geschäftsführer des Unternehmensverbandes Westfalen-Mitte aus Arnsberg.



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Dr. Volker Verch, Geschäftsführer des Unternehmensverbandes Westfalen-Mitte aus Arnsberg. Gesendet von Outlook für iOS © WP | Privat

Unternehmensverband Westfalen-Mitte

Doch genau das ist es, was die Unternehmer sich wünschen. Denn reduzierte Arbeitszeit bei reduziertem Verdienst - das lasse sich meistens organisieren, sagt Dr. Volker Verch, Geschäftsführer des Unternehmensverbandes Westfalen-Mitte aus Arnsberg, „aber uns fehlen einfach die Leute.“ Weniger zu arbeiten, sei deshalb keine Option. „Wir müssen mehr arbeiten! Auch für den Erhalt unseres Wohlstandes.“ Deutschland habe die höchsten Produktions- und mit die höchsten Energiekosten in Europa. Die Streichung eines Arbeitstages bei vollem Lohnausgleich bedeutet eine Lohnerhöhung von 20 Prozent. Die Beschäftigten müssten also in der kürzeren Zeit ihre Produktivität um 25 Prozent steigern, damit die Unternehmen die gleiche Wertschöpfung hätten. Verch formuliert es drastisch: „Das ist das Ende der Industrie in Deutschland. Völlig unrealistisch.“

Ingomar Schennen, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft in Meschede.
Ingomar Schennen, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft in Meschede. © WP | Ute Tolksdorf

Kreishandwerkerschaft

Auch Ingomar Schennen, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, fürchtet mit Blick auf die Handwerksbetriebe vor allem eins: die Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. „Das löst das Fachkräfteproblem nicht. Wenn Betriebe ihre Wochenarbeitszeit auf vier Tage reduzieren,“ so Schennen, „werben sie allenfalls Arbeitskräfte beim Mitbewerber ab, aber es werden keine zusätzlichen Fachkräfte für das Handwerk gewonnen.“

Eine Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich, das sei in handwerklich strukturierten Kleinstbetrieben organisatorisch schlicht nicht darstellbar und letztlich nur über eine Erhöhung der Preise zu finanzieren. Kunden hätten dafür kaum Verständnis, auch nicht, wenn der Bäcker montags schließe oder der Installateur freitags nicht erreichbar sei. Letztlich aber müsse das jeder Betrieb individuell entscheiden. „Das Handwerk in seiner ganzen Vielfalt ist, anders als die Deutsche Bahn, kein homogener Betrieb.“

Frank Hohmann,  Vorstand der Interessengemeinschaft Mescheder Wirtschaft und geschäftsführender Gesellschafter der ITH Schraubtechnik in Meschede.
Frank Hohmann,  Vorstand der Interessengemeinschaft Mescheder Wirtschaft und geschäftsführender Gesellschafter der ITH Schraubtechnik in Meschede. © WP | ITH

Interessengemeinschaft Mescheder Wirtschaft - IMW

Für nicht zeitgemäß hält Frank Hohmann, Vorstand der Interessengemeinschaft Mescheder Wirtschaft und geschäftsführender Gesellschafter der ITH Schraubtechnik in Meschede, die Debatte um die Verkürzung der Wochenarbeitszeit. „Wir sollten uns viel mehr um unsere strukturellen Probleme wie den Bürokratieabbau und die hohen Energiekosten kümmern.“ Bei der gesamten Debatte werde völlig ausgeblendet, dass deutsche Unternehmen im internationalen Wettbewerb stehen. „Leider sind die Lohnkosten bei uns am höchsten und die Arbeitsstunden am geringsten. Eine Folge ist, dass die Wettbewerbsfähigkeit von Deutschland in den vergangenen zehn Jahren im internationalen Vergleich von Position 6 auf Position 22 zurückgefallen ist.“ Unter Berücksichtigung des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels sowie der Rentenproblematik sehe er keinen Spielraum, die Arbeitszeit zu verringern.

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Hintergrund

Der wichtigste Inhalt im Tarifabschluss zwischen GDL und Deutscher Bahn war die schrittweise Absenkung der wöchentlichen Regelarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden bis 2029 bei vollem Lohnausgleich. Die erste Absenkung erfolgt zum 1. Januar 2026 auf 37 Stunden, am 1. Januar 2027 auf 36 Stunden, am 1. Januar 2028 auf 35,5 Stunden und am 1. Januar 2029 auf 35 Stunden.

Doch die vereinbarte „Referenzarbeitszeit“ ist nicht zwingend: Wer möchte, kann auch bis zu 40 Stunden arbeiten und erhält pro zusätzlicher Wochenstunde 2,7 Prozent mehr Lohn.

Daneben erhalten die Lokführer 2024 eine Inflationsausgleichsprämie von 2850 Euro. Zweitens wird der Lohn in zwei Schritten um 420 Euro pro Monat erhöht, jeweils um 210 Euro zum 1. August 2024 und zum 1. April 2025.

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