Meschede. Dr. Volker Verch, vom Unternehmensverband Westfalen-Mitte, neigt nicht zu Übertreibungen. Doch aktuell ist er sehr besorgt.

Dr. Volker Verch ist Geschäftsführer des Unternehmensverbandes Westfalen-Mitte mit Sitz in Arnsberg und in der Funktion auch in der Region Meschede gut vernetzt. Er sei keiner, der zu Übertreibung neigt, sagt er im Interview, aber die aktuelle wirtschaftliche Lage bereite ihm wirklich Sorgen.

Die jüngste Konjunkturumfrage des Unternehmensverbandes zeigt ein düsteres Bild. Gleichzeitig aber ist die Lage am Arbeitsmarkt für die Beschäftigten entspannt. Wie passt das zusammen

Tatsächlich ist der Fachkräftemangel weiterhin eines der größten Probleme der Unternehmen. Es scheint paradox: Wir haben eine schlechte wirtschaftliche Lage bei einem starken Arbeits- und Ausbildungsmarkt. Die konjunkturelle Lage ist besorgniserregend: Aufträge und Erträge sind rückläufig, Energiekosten sowie Steuer- und Abgabenlast sind höher als im europäischen Ausland und die seit letztem Jahr stark gestiegenen Zinsen verhindern Investitionsvorhaben. Und während die heimischen Unternehmen die Belastungen durch die Bürokratie früher noch bewältigen konnten, ist das heute oft der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben, wird in der Zukunft in einzelnen Fällen auch Personalabbau eine Rolle spielen.

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 Es scheint paradox: Wir haben eine schlechte wirtschaftliche Lage bei einem starken Arbeits- und Ausbildungsmarkt.
 Es scheint paradox: Wir haben eine schlechte wirtschaftliche Lage bei einem starken Arbeits- und Ausbildungsmarkt. © WP Meschede | Privat

Ist das ein Problem der Region?

Nein, das berichten auch die Nachbarverbände. Das Thema beschäftigt die Wirtschaft in NRW und ganz Deutschland. Während Unternehmer eigentlich grundsätzlich Optimisten sind, erwarten sie für die kommenden sechs Monate keine Besserung der Lage. Das ist ein strukturelles Problem - ähnlich schlimm wie zuletzt in der Finanzkrise.

Beschäftigt sich auch der heimische Mittelstand damit, Werke oder Werksteile zu verlagern?

Das wird durchaus diskutiert, was aber nicht heißt, dass es morgen auch passiert. Der heimische Mittelstand ist erstmal eher standorttreu. Aber die hohen Kosten kann man nicht unendlich kompensieren und spätestens in dem Moment, wenn es um Expansion geht, denkt man auch im Mittelstand über Verlagerung nach. Wir sprechen ja hier nicht von China oder Südamerika. Wir reden von der Verlagerung ins europäische Ausland, z.B. zu Nachbarn wie Polen, Rumänien oder Tschechien.

Die OG-Metall-Forderungen zur Vier-Tage-Woche halten die heimischen Unternehmen für nicht leistbar.
Die OG-Metall-Forderungen zur Vier-Tage-Woche halten die heimischen Unternehmen für nicht leistbar. © dpa | Nicolas Armer

Wo sehen Sie Lösungsansätze?

Infrastruktur, Energiekosten und -sicherheit, Bürokratieabbau, Senkung der Steuer- und Abgabenlast – das sind die entscheidenden Rahmenbedingungen. Hier sind die Bundes- und Landesregierung gefordert, nur sie können diese verbessern. Und es muss schnell gehandelt werden. Gerade beim Thema Energie fehlen eine klare Linie und Planungssicherheit für die Unternehmen. Der Bau neuer Gaskraftwerke ist zwingend und muss weiter vorangetrieben werden. Unsere energieintensiven Unternehmen haben beim Blick auf die Energiekosten große Sorgen.

Der Chiphersteller Infineon stärkt den Innovationsstandort in Warstein-Belecke. Dort wird in neue Labors und Büros zur Entwicklung von Hochleistungshalbleitern investiert.
Der Chiphersteller Infineon stärkt den Innovationsstandort in Warstein-Belecke. Dort wird in neue Labors und Büros zur Entwicklung von Hochleistungshalbleitern investiert. © Zentrale | Infineon Technologies AG

Aber es gibt Wirtschaftszweige, denen es weiterhin gut geht.

Ja, es gibt Industrien, in denen es weiterhin gut läuft. Nehmen Sie die Medizin- und Halbleiterindustrie. Aber das ist nicht der Durchschnitt der Unternehmen. Das zeigt sowohl unsere Konjunkturumfrage, als auch die Umfragen anderer Institutionen: Der Durchschnitt der Unternehmer sieht schwarz für die Zukunft des Industriestandortes. Dazu kommen aktuelle Forderungen, wie z.B. die Vier-Tage-Woche und die Diskussion um das Lieferkettengesetz.

Personal fehlt ja jetzt schon?

Eine Vier-Tage-Woche können wir uns in der Metall- und Elektroindustrie definitiv nicht leisten. Das muss auch der IG Metall klar sein. Fragen Sie die heimischen Unternehmer, die sagen ganz klar: „Wie viel weniger sollen wir noch arbeiten, und das auch noch bei vollem Lohnausgleich.“

Siyam (10) sortiert in Dhaka (Bangladesch) Plastikflaschen in einer Recyclingfabrik. Das Sortieren von Plastikflaschen ist ein wachsendes Geschäft in Ländern, in denen Kinder arbeiten, um ihre Familie zu unterstützen.
Siyam (10) sortiert in Dhaka (Bangladesch) Plastikflaschen in einer Recyclingfabrik. Das Sortieren von Plastikflaschen ist ein wachsendes Geschäft in Ländern, in denen Kinder arbeiten, um ihre Familie zu unterstützen. © picture alliance / Md Mehedi Hasan/ZUMA Wire/dpa | Md Mehedi Hasan

Aber was kann ein Sauerländer Unternehmer gegen das Lieferkettengesetz haben, das ethische Standards wie ein Verbot von Kinderarbeit, das Recht auf faire Löhne und den Schutz der Umwelt in globalen Lieferketten einfordert. Das gilt doch erst für Unternehmen ab 3000 Mitarbeiter?

Selbstverständlich sind faire Arbeitsbedingungen unseren mittelständischen Unternehmen wichtig. Aber es kann nicht sein, dass die großen Unternehmen dann auch von ihren mittelständischen Zulieferern Nachweise zur Lieferkette verlangen müssen. Das hat einen enormen bürokratischen Aufwand mit entsprechenden Kosten zur Folge, was von den kleineren Unternehmen einfach nicht zu leisten ist.

Die Firma M.Busch forderte 2023 einen wettbewerbsfähigen Industriestrompreis.
Die Firma M.Busch forderte 2023 einen wettbewerbsfähigen Industriestrompreis. © WP | Privat

Was halten Sie von einer Freihandelszone, so wie sie Carl-Julius Cronenberg gefordert hat? Also eine Region Südwestfalen, in der - wie einem Wirtschaftslabor - bürokratische Auflagen reduziert werden. Und man schaut dann, ob und wie es funktioniert und überträgt es auf größere Gebiete?

Beim Bürokratieabbau kann es nicht um einzelne Wirtschaftsregionen gehen. Die Notwendigkeit schnellerer Genehmigungen und weniger bürokratischer Hindernisse gilt für jede Region. Alles andere wäre eine Wettbewerbsverzerrung. Wir brauchen diese Entlastungen für alle, und zwar schnell.

HINTERGRUND

Die nordrhein-westfälische Wirtschaft hat im Jahr 2023 Waren im Wert von 226,0 Milliarden Euro exportiert. Wie Information und Technik Nordrhein-Westfalen als Statistisches Landesamt anhand vorläufiger Ergebnisse mitteilt, waren das 4,7 Prozent weniger als im Vorjahr (damals: 237,3 Milliarden Euro).

Auch der Importwert war mit 285,6 Milliarden Euro niedriger (−9,3 Prozent) als ein Jahr zuvor (damals: 315,0 Milliarden Euro).

Im Dezember 2023 erreichte der Exportwert 15,8 Milliarden Euro und der Wert der Importe 21,6 Milliarden Euro. Dies entspricht im Vergleich zum Vorjahr einem Rückgang von 13,8 Prozent beim Warenexport (damals: 18,3 Milliarden Euro) und einem Rückgang von 5,4 Prozent beim Importwert (damals: 22,8 Milliarden Euro).