Meschede. Wendung im Prozess um die Massenschlägerei in Meschede: Jetzt sagen Kurden gegen Türken aus - und schildern, welches Ausmaß der Konflikt hat.
Der Prozess um die Massenschlägerei zwischen Kurden und Türken in Meschede nimmt eine völlig unerwartete Wendung. Denn erstmals sagen jetzt die kurdischen Angeklagten öffentlich aus – und sie erheben schwere Vorwürfe gegen die bislang als Opfer der Schlägerei geltenden Türken. Sie offenbaren eine solch heftige Auseinandersetzung zwischen beiden Seiten in Meschede, die in diesem Ausmaß nicht bekannt ist.
Die Schlägerei an der Aral-Tankstelle an der Briloner Straße endete im Juli 2017 mit mehreren Schwerverletzten auf beiden Seiten. Wie berichtet, finden sich jetzt drei türkische Kurden (alles Brüder) und zwei syrische Kurden wegen gefährlicher Körperverletzung auf der Anklagebank wieder. Der Prozess findet, aus Platzgründen und zur Einhaltung der Coronaregeln, in der St.-Georgs-Schützenhalle statt, gesichert durch Polizei und durch viele Wachtmeister der Justiz.
Absprachen unter den Zeugen?
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Zunächst schildern auch am zweiten Prozesstag wieder fünf weitere Mescheder Türken, wie sie von den Kurden frühmorgens plötzlich angegriffen worden seien – als sie an der Tankstelle gemeinsam etwas gegessen und getrunken haben. Zwei Autos seien plötzlich vorgefahren, zwei Gruppen der Kurden seien daraus gestürmt – und die Schlägerei habe sofort begonnen. Übereinstimmend werden die fünf Angeklagten als Teilnehmer identifiziert. Einem 32-jährigen Türken wird zum Beispiel die Hand gebrochen, er sagt, auch heute leide er noch unter Panikattacken.
Einer der Verteidiger der Kurden, Friedrich von Weichs (Schmallenberg), deutet es an, wie auffallend ähnlich die Aussagen der Opfer seien – ob man sich abgesprochen oder ausgetauscht habe, will er wissen. Das wird stets verneint von den türkischen Opfern, die nicht nur Zeugen sind, sondern auch als Nebenkläger auf Schmerzensgeld klagen. „Aber das wird doch ein Riesenthema in Meschede gewesen sein“, meint von Weichs. Vier Jahre lang haben die Kurden zur Sache geschwiegen. Jetzt überrascht es alle, dass sie aus ihrer Sicht auspacken – denn von ihrer Seite waren bisher nicht einmal Entlastungszeugen geladen worden. Auch Oberstaatsanwalt Thomas Poggel kennt diese bislang nicht. Jetzt liefern die Kurden plötzlich im Prozess Namen und Anschriften, die nun erst einmal angeschrieben werden müssen. Glaubt man den Kurden, würde sich hinter den Aussagen der Opfer eine türkische Verschwörung verbergen.
Die Anfänge der Auseinandersetzung, die in der Massenschlägerei endet, liegen demnach tiefer – und gründen nicht etwa, wie bisher angenommen, nur im Streit um Fußballrivalitäten, sondern in der politischen Auseinandersetzung in der Türkei, die sich bis nach Meschede auswirkt. Einer der drei Kurden-Brüder schildert sie. 2017 hatte es Meschede eine Demonstration von Kurden gegeben, die sich unter anderem für die Freiheit des in der Türkei inhaftierten PKK-Gründers Abdullah Öcalan einsetzten.
Gibt es einen „türkischen Spion“ in Meschede?
Danach soll ein Mescheder Türke dazu aufgerufen haben, Namen der Mescheder Kurden an das türkische Konsulat in Essen weiterzugeben – die Brüder nennen ihn vor Gericht einen „türkischen Spion“ und „rechtsradikal“, er soll auch schon mehrmals Kurden geschlagen haben soll. Die drei Brüder sagen, seitdem die Namen weitergegeben worden seien, könnten sie aus Sorge vor Verhaftungen nicht ausreisen. „Das ist das Schlimmste bei der ganzen Sache: Wir können nicht mehr in die Türkei, um unsere Familien zu besuchen“, sagt der älteste der Brüder (39). Brisant ist: Dieser Türke ist derselbe 27-Jährige, der eigentlich als Hauptopfer bei der Massenschlägerei gilt.
Nach der Demo verschärfte sich demnach das Klima in Meschede. Türkische Frauen, behaupten die Brüder, seien angewiesen worden, nicht mehr bei Kurden einzukaufen. Die Brüder hätten ihre Geschäfte in Meschede, ein Wettbüro und eine Shisha-Bar, aufgegeben und seien aus Sorge um ihre Sicherheit vorsorglich aus Meschede fortgezogen: „Den Türken passte unser Erfolg nicht“, sagt einer der Brüder (33) aus – „obwohl wir doch gemeinsam in Meschede aufgewachsen sind. Man kennt sich doch von klein auf“. Dann aber sei die große Politik ins Spiel gekommen.
>>>HINTERGRUND<<<
Rechtsanwalt Michael Babilon (Arnsberg) verteidigt einen der drei kurdischen Brüder. Er hatte ihnen im Vorfeld des Prozesses geraten, mit den Türken klärende Gespräche zu führen, um für einen dauerhaften Frieden zu sorgen. Das sei von kurdischer Seite auch versucht worden, sagt er: „Aber die Gegenseite will partout nicht.“