Menden/Balve. „Tag der seltenen Krankheiten“ am Samstag: Mädchen mit seltenem Gen-Defekt namens „Angelman“ zur Reittherapie in Balve-Langenholthausen.

Charlotte freut sich, winkt ihren Eltern zu und strahlt übers ganze Gesicht, als es auf dem zotteligen Pferd „Jack“ durch den Parcours geht. Die 14-Jährige Mendenerin ist mit dem „Angelman-Syndrom“ auf die Welt gekommen und kann sich nicht mit Sprache verständlich machen. Aber das braucht‘s gerade auch gar nicht.

Am Samstagabend erstrahlte das Alte Rathaus in blauem Licht

Angelman, das ist ein sehr seltener Gen-Defekt, auf den der weltweit vernetzte, von Eltern gegründete Selbsthilfeverein am 15. Februar mit seiner Erkennungsfarbe Blau aufmerksam machen will. Auch Charlottes Eltern Michael und Alexandra Elbers haben erreicht, dass das Alte Rathaus in Menden am Samstagabend blau angestrahlt wurde. Und das ist weit mehr als Symbolik.

Charlotte Elbers (14) bei ihrer Reittherapie
Mit ihrer Therapeutin Kirsten Reppel-Böhmer und „Jack“ im Parcours: Die 14-jährige Mendenerin Charlotte Elbers, die am Angelman-Syndrom leidet, trainiert in Balve-Langenholthausen. © Westfalenpost | Thomas Hagemann

Medizin könnte den Gen-Defekt womöglich reparieren

Zum einen ist der 15. Februar der „Tag der seltenen Krankheiten“. Vor allem aber wollen Angelman-betroffene Familien an diesem Tag um Spenden werben für ein ganz konkretes Ziel: Die medizinische Forschung kann womöglich das mütterliche Chromosom 15, das bei Angelman-Kindern verändert ist, beim väterlichen Chromosom anknipsen. „Auch wenn es bis dahin noch Jahre dauert, könnten die Folgen durchschlagend sein, auch für Charlotte“, beschreibt Alexandra Elbers. „Das ist für alle Eltern eine Riesenhoffnung. Wir wollen deshalb die Forschung, die bei seltenen Krankheiten auch aus wirtschaftlichen Gründen meist weniger stark unterstützt wird, vorantreiben helfen, so gut es irgend geht.“

Das Angelman-Syndrom

Beim Angelman-Syndrom, benannt nach einem britischen Kinderarzt, handelt es sich um die Folge einer angeborenen seltenen genetischen Veränderung auf dem Chromosom 15. Charakteristisch für das Angelman-Syndrom ist eine starke Verzögerung der körperlichen und geistigen Entwicklung und einer stark reduzierten Lautsprachentwicklung.

Viele Betroffene zeigen einen glücklichen Gesichtsausdruck, lachen viel und strecken teils die Zunge vor. Sie bewegen sich oft steif und ruckartig und recken oft die Arme hoch, wodurch ihnen das Laufen schwerfällt.
Das Angelman-Syndrom tritt sowohl beim männlichen als auch beim weiblichen Geschlecht auf. Die Häufigkeit beträgt etwa 1 : 15.000.

Infos auch zu vielen Aktivitäten und die Möglichkeit zur Spenden gibt es auf der Internetseite Angelman.de.

Stadtverwaltung Menden unterstützt das Anliegen der Eltern

Bei diesem Anliegen will jetzt auch die Stadtverwaltung Menden helfen: Bürgermeister Roland Schröder gab das Alte Rathaus auf Anfrage der Familie Elbers zum Anleuchten am Samstag frei. Was Alexandra Elbers daran aber wichtig ist: „Auf keinen Fall wollen wir Mitleid erregen, wir wollen Mut machen. Wir empfinden unsere Charlotte nicht als Schicksalsschlag, der uns getroffen hat, und wir fragen auch nicht nach dem Warum.“

Charlotte Elbers: Mendener Kind mit Angelman-Gendefekt
Sie liebt nicht nur Pferde: Charlotte Elbers, die bald 15 wird, mit dem Familienhund. © Westfalenpost | Michael Elbers

Charlotte ist ein echtes Mendener Kirmeskind

Denn auch mit einem behinderten Kind könne man gut leben, man müsse aber besser organisiert sein als andere. „Charlotte zum Beispiel ist ein echtes Mendener Kirmeskind“, lacht die Mama. „Sie müssten sie mal erleben, wenn sie vor Pfingsten an der Westtangente die ersten Kirmeslaster sieht: Dann jauchzt sie und guckt uns herausfordernd an, damit wir dazu etwas sagen.“

Charlotte Elbers: Mendener Kind mit Angelman-Gendefekt
Charlotte Elbers, hier mit ihrer Mama Alexandra, ist ein echtes Mendener Kirmeskind. © Westfalenpost | Michael Elbers

Zum Familienleben mit Charlotte, die mit Max (21) noch einen großen Bruder hat, gehören auch die regelmäßigen Besuche auf dem Hof des „Fördervereins Reiten Balve“. Und bei aller Freude, die Charlotte in Langenholthausen zeigt: Auch hier geht es nicht allein um den Spaß, sondern um Therapie. „Mit Angelman sind auch Schwierigkeiten mit dem Gleichgewichtssinn und Probleme beim Laufen verbunden“, sagt Alexandra Elbers. Die Familie komme mit Charlotte deshalb schon seit 2016 hierher, „weil ihr das unglaublich hilft“.

„Auf keinen Fall wollen wir Mitleid erregen, wir wollen Mut machen. Wir empfinden unsere Charlotte nicht als Schicksalsschlag, der uns getroffen hat, und wir fragen auch nicht nach dem Warum.“

Alexandra Elbers
Mutter von Charlotte

Reittherapie in Balve lässt Kinder wieder Treppen laufen

Was genau bewirkt denn die Hippotherapie mit „Jack“ oder einem seiner neun Kolleginnen und Kollegen unterschiedlichster Rassen und Größen im Stall? „Es gibt nichts, was den Gang eines Menschen so exakt nachahmt wie der Schritt des Pferdes“, erklärt Therapeutin Kirsten Reppel-Böhmer, während sie Charlotte und Jack beim Rundlauf keinen Meter von der Seite weicht. Aufsteigen können hier auch Rollstuhlfahrer auf einer eigens angelegten Rampe, neben der die Pferde regelrecht parken. „Das müssen sie hier immer als allererstes lernen“, sagt Reppel-Böhmer. Araberhengst „Senegal“ kann das locker: Er steht an der Rampe wie in Stein gemeißelt.

Charlotte Elbers (14) bei ihrer Reittherapie
Kirsten Reppel-Böhmer zeigt es mit Hengst "Senegal": Von dieser Rampe aus können auch Rollifahrer aufs Pferd kommen. © Westfalenpost | Thomas Hagemann

Unglaublicher Gewinn fürs Selbstwertgefühl

Die sanft schaukelnde Bewegung auf dem Pferderücken trainiere den Gleichgewichtssinn so effizient, dass Kinder zum Beispiel nicht mehr breitbeinig gehen müssten und sogar Treppen laufen könnten. „Was allein das schon für die Lebensqualität bedeutet, für das Selbstwertgefühl, für die Akzeptanz und für ihre Freundschaften, das kann man sich kaum vorstellen“, sagt Kirsten Reppel-Böhmer.

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Nach Balve kommen Eltern und Angehörige aus dem ganzen Kreis

Umso trauriger findet Alexandra Elbers, dass selbst die Kosten dieser nachgewiesen wirksamen Therapie nicht von der Krankenkasse getragen werden. Die Mendener Eltern zahlen das selbst, ebenso die meisten anderen Familien aus dem gesamten Märkischen Kreis, die ihre Kinder oder andere Familienmitglieder mit Handicaps nach Balve bringen. „Zu uns kommen ja auch Erwachsene, wir haben also sehr große und sehr kleine Menschen mit MS oder Parkinson oder Asperger“, beschreibt die Balver Therapeutin.

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Teure Therapieform nicht von den Kassen bezahlt

Daher brauche es auch Pferde unterschiedlicher Größe und mit unterschiedlichen Eigenschaften. Nicht nur deren Haltung, auch die Ausbildung für die Hippotherapie sei folglich vergleichsweise teuer. Folge: Die Therapieform, die schon im Heilmittelkatalog stand, flog vor Jahren wieder raus.

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Viele Angelman-Kinder können nachts nicht schlafen

Doch das ist für Michael und Alexandra Elbers längst nicht das größte Problem: „Was tatsächlich kaum in den Griff zu bekommen ist, ist die bei Charlotte beständig vorhandene Neigung zu epileptischen Anfällen“, berichtet die Mutter. Sie erzählt von zahllosen Klinikaufenthalten und davon, dass viele Angelman-Kinder nachts kaum schlafen. „Charlotte zum Glück schon.“

Doch würde die Medizin diese Krankheit besiegen: Es wäre ein einziger Segen.