Menden. Hat ein Vater aus Menden seinen Kindern Amphetamin verabreicht? Oder war es doch die Mutter? Der Prozess in Menden wirft viele Fragen auf.

  • Ein Vater aus Menden soll seinen Kindern (2) Drogen verabreicht haben
  • Prozess in Menden dauert viele Stunden: Die Wahrheitsfindung ist schwierig
  • Lügt die Mutter, um sich einen Vorteil zu verschaffen im Trennungsstreit?

Es ist ein Familiendrama, das sich am Mendener Amtsgericht abspielt. Die Fronten sind verhärtet, es fließen viele Tränen. Während die Ehefrau (32) gekrümmt und mit gesenktem Kopf ins Leere starrt, weint sie immer wieder. Ihr gegenüber, auf der Anklagebank, sitzt ihr Noch-Ehemann (34). Er wirkt fassungslos, sucht vergeblich den Blickkontakt und schüttelt immer wieder den Kopf. „Dass ihr euch nicht schämt“, ruft er im Mendener Amtsgericht dazwischen. Sein Anwalt beruhigt ihn. „Lass gut sein“, sagt Rechtsanwalt Christopher Tausch. Mittendrin sitzen Richter Martin Jung und seine beiden Schöffen. Sie versuchen herauszufinden, was Ende 2023 wirklich innerhalb der Familie passiert ist. Doch letztlich steht nur eins nach stundenlanger Verhandlung mit absoluter Sicherheit fest: Wenn Eltern sich gegenseitig fertig machen, gibt es nur einen Verlierer - die Kinder.

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Kinder mit Drogen vergiftet

Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Der Familienvater (34) aus Menden soll nicht nur Amphetamin besessen, sondern auch seinen damals zweieinhalb Jahre alten Söhnen verabreicht haben. Die beiden Jungs sollen infolgedessen auffällig gewesen sein, Ausschlag und Magen-Darm-Probleme bekommen haben. Und auch seiner Ehefrau, die ihn angezeigt hat und als Nebenklägerin auftritt, soll der Mendener am 26. November 2023 die aufputschende Droge unter gemogelt haben - mithilfe einer gepanschten Fassbrause.

„Plötzlich hat alles Sinn ergeben.“

Mutter der Kinder

Soweit die Anklageschrift. Vor Gericht offenbart die Mutter der Zwillinge später weitere Vorwürfe. Sie sei sich sicher, dass ihr Mann ihr und den Kindern immer wieder Drogen untergejubelt habe. Als sie vom Drogenkonsum des Mannes erfahren habe und die Wirkung von Amphetamin recherchiert habe, sei es ihr nach dem ersten Schock wie Schuppen von den Augen gefallen: Ihr Mann müsse ihr und den Kindern Drogen verabreicht haben. „Plötzlich hat alles Sinn ergeben“, sagt sie unter Tränen im Zeugenstand. Ihre Kinder seien unterentwickelt, hätten immer wieder unerklärliche Durchfälle und Ausschläge gehabt. Auch mit mittlerweile dreieinhalb Jahren würden Lars* und Jan* nicht sprechen, hätten Pflegestufe zwei. „Ich hatte lange starke Herzschmerzen, habe geschwitzt und gezittert und ein unerklärliches Jucken“, erzählt sie weiter.

„Ich hatte lange starke Herzschmerzen, habe geschwitzt und gezittert und ein unerklärliches Jucken.“

Mutter, die als Nebenklägerin auftritt

Fassbrause immer wieder mit Drogen versetzt?

Fast täglich habe ihr Ehemann ihr eine offene Fassbrause aus der Garage mitgebracht. Ihr Verdacht: Das Getränk könnte mit der Droge versetzt sein. Also machte sie am 26. November den Test und bat ihn bewusst um eine Brause. Sie habe die Fassbrause probiert und später bemerkt, dass ihre Pupillen geweitet waren. Dann habe sie im Bad einen Urintest gemacht, der positiv gewesen sei. Als Beweismittel füllte sie den Rest der Brause um und packt die Flasche ein. „Dann dachte ich: Ich muss hier sofort weg!“, sagt sie und ihre Stimme bricht. Unter einem Vorwand habe sie das Haus verlassen, Familienmitglieder und Freunde getroffen und sich einen Plan überlegt, um den Mann aus dem Haus zu bekommen. Doch unter anderem dieser Plan wird ihr später vor Gericht zum Verhängnis: Denn er fußt auf einer Lüge und lässt an ihrer generellen Glaubwürdigkeit zweifeln.

„Die Kinder haben zum Beispiel mit dem Kopf gegen eine Scheibe geschlagen. Sie waren nicht ansprechbar.“

Zeugin, Freundin der Familie

Später, so erzählt sie im Zeugenstand, sei sie mit den Kindern ins Krankenhaus gefahren für vier Tage. Ihr Urintest ist positiv, die Polizei kommt und sie erstattet Anzeige gegen ihren Mann. Sie ist emotional am Ende. Und die Kinder? „Die Kinder waren sehr auffällig und haben ein ungewohntes Verhalten gezeigt“, sagt eine Freundin, die mit im Krankenhaus war, als Zeugin aus. „Die Kinder haben mit dem Kopf gegen eine Scheibe geschlagen. Sie waren nicht ansprechbar.“ Nach dem Klinikaufenthalt, so erzählt die Frau, habe sie Zuhause plötzlich entsetzliche Entzugssymptome entwickelt, nur noch erbrochen, geschwitzt und gezittert. Rund zwei Tage habe ihre Familie sie gepflegt, bis es ihr wieder gut gegangen sei. Anschließend hätten auch die Kinder Durchfall bekommen.

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Frau beschuldigt Ehemann, sie gewürgt zu haben

Der Angeklagte räumt derweil den Eigenkonsum von Amphetamin ein. „Allem anderen widerspreche ich vehement. Ich habe in der Vergangenheit konsumiert. Dass das eine ganz doofe Sache ist, das weiß ich“, sagt er und erzählt, wie der 26. November aus seiner Sicht abgelaufen ist. Seine Frau habe zunächst das Haus mit den Kindern verlassen. Zwei Stunden später seien dann mehrere Polizisten aufgetaucht. „Ich wusste nicht, was los ist. Sie haben mir dann gesagt, meine Frau hätte gesagt, dass ich sie gewürgt habe.“ Dass das eine Lüge war, bestätigt die Frau nun auch selbst vor Gericht. Dennoch sei er damals dem Haus für zehn Tage verwiesen worden.

„Ich wusste nicht, was los ist. Sie haben mir dann gesagt, meine Frau hätte gesagt, dass ich sie gewürgt habe.“

Vater

Sein Drogenkonsum sei Thema gewesen. Wenige Wochen zuvor hatte seine Frau es herausgefunden und ihn damit konfrontiert. Sie hätten sich ausgesprochen. Der Mendener habe ihr zugesagt, keine Drogen mehr zu nehmen. Er könne nachvollziehen, dass seine Frau sich diesbezüglich hintergangen gefühlt habe. „Ich dachte, das Thema sei vom Tisch.“ Bis zum 26. November. Da änderte sich alles. Er habe den Beamten bei der Durchsuchung eine leere Dose, in der er zuvor in der Garage Amphetamin aufbewahrt hatte, übergeben und einen freiwilligen Drogentest auf der Wache gemacht, der negativ ausfiel. „Wenn ich etwas mache, dann stehe ich auch dazu“, erzählt er. Sein Job sei stressig gewesen, die Arbeitstage lang und auch der Bau des Hauses hätte geschlaucht. Deshalb habe er gelegentlich konsumiert, um dem „Leistungsdruck standhalten zu können“. Doch seit der Aussprache sei damit Schluss.

Weiße Krümel habe die Frau auf einem Glastisch in der Garage gefunden (Symbolfoto).
Weiße Krümel habe die Frau auf einem Glastisch in der Garage gefunden (Symbolfoto). © dpa | Christian Charisius

Nun steht er vor den Trümmern seines Lebens. „Das war ein Albtraum für ihn. Er wurde wie eine Sau durchs Dorf getrieben“, sagt Anwalt Christopher Tausch. Der Mendener habe nie an seiner Ehe gezweifelt, es habe in all den Jahren - abgesehen von normalen Streitereien - keinen Ärger gegeben. Nun würden zig Verfahren laufen. Seine Kinder habe er innerhalb des vergangenen Jahres nur 14 Mal sehen dürfen. Er sei erkrankt, habe nur noch 15 Prozent Herzleistung. Und dass seine Frau rund zehn Monate nach dem Vorfall noch einmal in einem Badmülleimer weitere Drogen gefunden haben soll, die angeblich ihm gehören, findet er abstrus.

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Gutachten weist Drogen in Kinderkörpern nach

Ein Gutachten zeigt: Amphetamin konnte in einer Fassbrause sowie in Haarproben der Kinder nachgewiesen werden. Auch ein Urintest der Frau im Krankenhaus soll positiv gewesen sein. „Das Gericht muss feststellen, wer dafür ursächlich ist, dass die Kinder Amphetamin im Körper hatten und die Mutter Amphetamin im Urin hatte im Krankenhaus“, sagt Richter Martin Jung. Gehört werden nach und nach weitere Zeugen. Martin Jung zweifelt arg an der Glaubwürdigkeit der Mutter. „Was erreicht man damit, den Kindern Amphetamin zu geben?“, fragt er sich in Bezug auf das mögliche Motiv des Vaters. „Zwillingen ein Aufputschmittel zu geben, das wäre ungewöhnlich.“ Andererseits sei es für die Mutter „im Zuge des Trennungsstreits nützlich, ihn als unbrauchbaren Rabenvater hinzustellen“.

„Ich glaube ihr alles. Für meine Mandantin ist das alles wie ein schlechter Traum.“

Anwältin der Nebenklägerin

Während Staatsanwaltschaft und der Anwalt des Mannes in Bezug auf alle Vorwürfe jenseits des Drogenbesitzes auf Freispruch plädieren, fordert die Anwältin der Mutter zwei Jahre Haft für den Mann. „Ich glaube ihr alles. Für meine Mandantin ist das alles wie ein schlechter Traum.“

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Richter appelliert an Vernunft der Eltern

„Das Gericht weiß nicht, wer Lars* und Jan* das angetan hat. War es der Vater? Oder war es die Mutter, die den Boden unter den Füßen verloren hat?“, sagt Richter Martin Jung. Er spricht den Vater letztlich in fast allen Anklagepunkten frei. Lediglich für den Besitz der Drogen wird er zu einer Geldstrafe von insgesamt 1200 Euro verurteilt. Aufatmen beim Mendener, der den Blick seiner Ex sucht. Doch sie schaut ihn nicht an, blickt nur auf den Tisch vor ihr. Sie wirkt gefasst, aber traurig. Dann richtet sich der Richter noch einmal direkt an das Ehepaar: „Ich wünsche den Eltern, dass sie ihre Sicht auf ihre Kinder konzentrieren, die mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Das ist alles andere als förderlich für die Kinder.“

*Die Namen der Kinder wurden zum Schutz der Zwillinge von der Redaktion geändert. Gegen das Urteil können binnen einer Woche Rechtsmittel eingelegt werden.

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