Menden. Claude Sahlmen aus Menden will sein Trauma vergessen und wird süchtig nach Gras, Speed und Alkohol. Jetzt gründet er eine Selbsthilfegruppe.

„Ich habe zwei bis drei Flaschen Schnaps am Tag getrunken, um den Kopf frei zu bekommen“, sagt Claude Sahlmen. Auch mit einer Flasche Schnaps intus, habe er gearbeitet. Aufgefallen sei das nicht. Die Dröhnung sei er gewohnt gewesen, habe weder gelallt noch geschwankt. „Ich war Koch. Es ist mehr Wein in mich geflosse, als in die Sauce.“ Den Alkohol braucht er damals, um zu funktionieren. Für den Antrieb setzt er auf Amphetamine. Und wenn er sich entspannen will, raucht er einen Joint. All das zerstört sein Leben. Langsam und schleichend. Die Probleme, seine seelischen Narben, heilt er durch den Konsum nicht. „Meist wird es kurz besser und danach noch viel schlimmer“, erinnert er sich. Der Weckruf seiner Ärztin ist seine Rettung: „Machst du so weiter, bist du bald tot.“ Heute ist der Mendener los von dem Stoff und lebt ein anderes Leben. Suchtkrank bleibt er aber für immer. Das ist im bewusst. Nun gründet der 42-Jährige eine Selbsthilfegruppe in Menden, um sich mit anderen Menschen auszutauschen.

„Ich war Koch. Es ist mehr Wein in mich geflossen, als in die Sauce.“

Claude Sahlmen

Selbsthilfegruppen mit Menschen im Stuhlkreis: Bild im Kopf

Selbsthilfegruppen. Hm. Menschen sitzen vor einem Pult, einer steht auf und beginnt mit den immergleichen Worten „Hallo, mein Name ist... und ich bin Alkoholiker“. Die Gruppe antwortet im Gleichklang. So oder so ähnlich wird das Bild von Selbsthilfegruppen in Film und Fernsehen oft gezeichnet. Auch Claude Sahlmen hatte solche Bilder im Kopf, als eine Therapeutin vor einigen Jahren sagte, dass er - als Voraussetzung für eine weitere Therapie - zu einer solchen Gruppe gehen müsse. Lust hatte er nicht. Skeptisch war er ohne Ende. Aber er musste - und ging schließlich auch hin. „Beim ersten Mal war ich sturzbetrunken“, erinnert er sich. Die Gruppe habe nicht zu ihm gepasst. Mehrere Versuche brauchte es, bis er sich wohlfühlte.

„Wie wichtig das ist, sieht man auch daran: In sieben Jahren haben wir sechs Menschen verloren.“

Clauda Sahlmen

Sieben Jahre ist das her. Seitdem hat er viel gelernt und an sich gearbeitet. „Dieser eine Tag in der Woche, diese zwei Stunden nur für mich: Das ist extrem wichtig“, sagt Claude Sahlmen. „Reden hilft.“ In dieser Zeit gebe es keine Ablenkung. Es gehe nur um ihn, seine Gesundheit und den Erfahrungsaustausch. Alles beruhe auf Ehrlichkeit, Offenheit und Vertrauen. Natürlich anonym. „Ohne Selbsthilfegruppe würde ich hier heute nicht sitzen“, sagt er berührt und Blick zu seinem vierjährigen Sohn Cosmo. Die Gruppe sei ein Anker in schweren Zeiten gewesen. Genau wie seine Familie. „Wie wichtig das ist, sieht man auch daran: In sieben Jahren haben wir sechs Menschen verloren.“ Sie hätten den Kampf gegen die Sucht nicht überstanden - und aufgegeben. „Da will man einfach nicht hin.“

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„Die Selbstmordversuche meiner Mutter habe ich mitbekommen“

Es sei wichtig, zu verstehen, was das wirkliche Problem sei und mögliche Traumata aufzuarbeiten. Mit 15 Jahren ging die Drogensucht bei Claude Sahlmen los. Eine Droge folgt auf die nächste. Für jedes Bedürfnis das richtige Mittel. Alles ganz einfach zu besorgen, teilweise direkt über die Schule, erinnert er sich. Es ist sein Versuch zu vergessen. Schmerz zu verdrängen. Er ist ein introvertiertes, ruhiges Kind. Zuhause geht es gewaltvoll zu. „Ich wurde zweimal missbraucht als Kind“, sagt er. Seine Mutter habe mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen. „Die Selbstmordversuche meiner Mutter habe ich mitbekommen.“ All das hinterlässt massive Spuren. Angstzustände. Depressionen.

„Ich wurde zweimal missbraucht als Kind.“

Claude Sahlmen über sein Trauma

17 Entgiftungen, Aufenthalte in Tageskliniken, Reha, drei Langzeittherapien: Die Liste ist lang, der Weg steinig. Erst mit Anfang 30 wird sein Trauma aufgedeckt. „Jetzt habe ich die größten Baustellen bewältigt.“ Doch klar sei auch: Das Suchtgedächtnis bleibt. Es kann immer wieder zu Rückfällen kommen. So triggert ihn aktuell beispielsweise der Geruch von Cannabis in der Luft sehr. „Ich liebe den Geruch. Ich mochte diese Droge sehr“, sagt er. Seit der Legalisierung muss er sich diesem Trigger noch häufiger stellen und auf seinen Handwerkskoffer voller Tricks und Kniffe zurückgreifen, um nicht rückfällig zu werden. „Zuhause gibt es bei uns klare Regeln. Kein Alkohol!“, sagt Claude Sahlmen und seine Frau Melanie Teichmann-Sahlmen nickt. Sie unterstützt ihren Mann, wo sie nur kann und steht ihm zur Seite - auch dann, wenn es schwer wird.

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Neue Gruppe für Süchte aller Art und psychische Erkrankungen

Und nun also eine eigene Selbsthilfegruppe. Nach sieben Jahren wünscht sich Claude Sahlmen eine Veränderung. „Brainworks“ soll sie heißen. „Für mich ist vieles Kopfarbeit, und so ist auch der Name der Gruppe entstanden“, so Claude Sahlmen. „Brainworks“ startet am 16. September. Es geht um Süchte aller Art und psychische Erkrankungen. Von 17 bis 19 Uhr treffen sich Interessierte im Jugendtreff Platte Heide, Hermann-Löns-Straße 61. Willkommen sind Menschen ab 18, die bereit sind, an sich zu arbeiten. Menschen, die gerne Freundschaften entwickeln möchten. Menschen, die ihr Wissen weitergeben möchten oder die Gruppe als Hilfesystem sehen. Wichtig: „Wenn möglich ohne Einfluss von Suchtmitteln kommen“, sagt Melanie Teichmann-Sahlmen. Es handelt sich um einen suchtmittelfreien Raum. Auch Freunde und Angehörige sind willkommen. Eine Anmeldung ist nicht nötig.

Kontakt über die Selbsthilfe-Kontaktstelle Märkischer Kreis unter: selbsthilfe-mk@paritaet-nrw.org mit dem Betreff „Brainworks“ oder telefonisch unter 02351- 39 05 26. Hier gibt es weitere Informationen und Interessierte können sich bei Bedarf bereits auf die Teilnehmerliste setzen lassen.

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