Menden. Dry January: Claude Sahlmen ist trockener Alkoholiker. Den Trend, einen Monat auf Alkohol zu verzichten, sieht er zwiegespalten.
„Ich weiß nicht, ob ich diesen Trend belächeln oder traurig finden soll“, sagt Claude Sahlmen aus Menden. Die Rede ist vom sogenannten „Dry January“. Bei diesem Trend, der besonders auf Social Media thematisiert wird, geht es darum, einen Monat lang auf Alkohol zu verzichten. Claude Sahlmen ist trockener Alkoholiker und Leiter einer Selbsthilfegruppe für Suchtkranke in Menden. „,Ich trinke mal einen Monat lang nicht.‘ Dieser Gedanke ist vielleicht ganz schön und vielleicht ist es auch hilfreich, vier Wochen zu entgiften, um fitter zu sein und gesünder auszusehen“, sagt der 43-Jährige. Aber Alkohol sei nicht nur im Januar ein Problem. „Ich sehe den Trend zwiegespalten als Alkoholkranker.“
„Ich sehe den Trend zwiegespalten als Alkoholkranker.“
Viele Alkohol-Tote, auch in Deutschland
Der „Dry January“ geht ursprünglich auf eine Initiative der Finnen zurück, die bereits 1942 den „Sober January“ einführten, als der Alkoholkonsum aufgrund des Kriegs drastisch zunahm. 2014 rief die gemeinnützige Organisation „Alcohol Change UK“ in Großbritannien dann eine Kampagne ins Leben und sicherte sich den Markennamen „Dry January“. „Es ist eigentlich ein trauriger Anlass, denn es gab in Großbritannien sehr viele Alkoholtote. Dadurch ist das entstanden“, sagt Claude Sahlmen. Auch in Deutschland sei die Zahl der Menschen, die aufgrund ihres übermäßigen Alkoholkonsums sterben, sehr hoch: Es sind laut des Deutschen Krebsforschungszentrums jedes Jahr schätzungsweise 40.000 Menschen. Darüber und über die Gefahren von Alkohol werde zu wenig geredet, findet der Mendener.
„,Ich trinke mal einen Monat lang nicht.‘ Dieser Gedanke ist vielleicht ganz schön und vielleicht ist es auch hilfreich, vier Wochen zu entgiften, um fitter zu sein und gesünder auszusehen.“
„7,9 Millionen Menschen der 18- bis 64-jährigen Bevölkerung in Deutschland konsumieren Alkohol in gesundheitlich riskanter Form“, sagt auch die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Kampagnen wie der „Dry January“ sollen Bewusstsein schaffen. Doch was heißt es eigentlich, wirklich gänzlich auf Alkohol zu verzichten?
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Früher selbst zwei bis drei Flaschen Schnaps pro Tag getrunken
„Alkohol ist ein Nervengift“, sagt Claude Sahlmen. „Ich habe zwei bis drei Flaschen Schnaps am Tag getrunken, um den Kopf frei zu bekommen“, sagt er über seine Hochzeiten als Suchtkranker. Auch mit einer Flasche Schnaps intus, habe er gearbeitet. Aufgefallen sei das nicht. Die Dröhnung sei er gewohnt gewesen, habe weder gelallt noch geschwankt. „Ich war Koch. Es ist mehr Wein in mich geflossen, als in die Sauce.“
„„Ich finde das schlimm. Wieso muss es ein Feierabendbier sein? Wieso kann es kein Wasser sein?“
Den Alkohol braucht er damals, um zu funktionieren. Erst Jahre später arbeitet Claude Sahlmen sein Trauma auf und versteht, wieso er zum Alkohol gegriffen hat. Mittlerweile ist er trocken und hilft mit seiner Selbsthilfegruppe „Brainworks“ anderen Menschen, sich mit ihrer Sucht auseinanderzusetzen. Es sei alles andere als einfach gewesen, sein Alkoholproblem überhaupt erst einmal zu erkennen. „Ich habe dafür sehr lange gebraucht“, erinnert er sich. „Ich habe mir jeden Tag gesagt: Ich kann jeden Tag aufhören. Aber das war natürlich absoluter Quatsch.“ In seiner Selbsthilfegruppe habe jüngst ein neues Mitglied berichtet, wie es schleichend von einem Glas Wein am Abend, über eine Flasche Wein mit Freunden in eine starke Abhängigkeit gerutscht sei. „Er hat das nicht gemerkt.“ Wie ihm gehe es vielen Menschen. Diesen Prozess zu erkennen und etwas zu ändern, sei jedoch schwer.
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Alkohol steckt auch in Zahnpasta oder Süßigkeiten
Auf Alkohol gänzlich zu verzichten, sei auch nicht so einfach, weiß der Familienvater. In sehr vielen Lebensmitteln befinde sich Alkohol. „Alkohol steck in fast allem...zum Beispiel in Zahnpasta, Mundspülung, Pflegeprodukten oder in Süßigkeiten - auch in Süßigkeiten für Kinder übrigens“, sagt er. Da helfe nur eine lange und intensive Recherche. Auch alkoholfreies Bier sei nicht zwingend alkoholfrei. Zumal allein das Öffnen der Flasche und der Geruch und Geschmack des Bieres ein Trigger sein können. Und die kleinen Schnapsflaschen in beinahe jedem Supermarkt-Kassenbereich? „Das ist der größte Trigger überhaupt. Die nimmst du schnell mal mit, obwohl du eigentlich gar nicht willst.“
„Wer wirklich ein Alkoholproblem hat, muss sehr aufpassen. Trockenwerden hat so viele Facetten“, sagt Claude Sahlmen. Auch gesellschaftliche Anlässe, Partys oder Treffen mit Freunden können zur Herausforderung werden. Sein Tipp: Offen kommunizieren, dass man keinen Alkohol trinken will oder sich wenigstens eine Person mitnehmen, die eingeweiht ist und vor Ort eine Stütze sein kann. Immer wieder Ausreden erfinden zu müssen, wieso man heute nicht „nur ein Bier“ trinken wolle, sei kontraproduktiv.
Übermäßigen Alkoholkonsum rechtzeitig erkennen
Wer das Gefühl habe, es sei für sie oder ihn sinnvoll, aufgrund des eigenen Konsums einen Monat lang auf Alkohol verzichten zu wollen, der solle sich fragen, wieso Alkohol überhaupt eine so große Rolle im Leben spiele. „Was fehlt mir? Geht es mir gut?“, sagt er. Es helfe, sich selbst, die Beweggründe und das Ausmaß des Konsums auch über eine Januar-Aktion wie den „Dry January“ hinaus regelmäßig zu hinterfragen. „Die meisten Menschen machen sich einfach keine Gedanken.“ Es sei gesellschaftlich akzeptiert, ja sogar normal, beim Grillen ein Bier oder zum Anstoßen bei Feierlichkeiten einen Sekt zu trinken. „Ich finde das schlimm. Wieso muss es ein Feierabendbier sein? Wieso kann es kein Wasser sein?“
Grundlegend gebe es fünf Punkte, an denen man recht gut erkennen könne, ob man ein Alkoholiker ist:
- Ständige Gedanken an Alkohol und den Konsum
- Toleranzentwicklung: Immer mehr trinken, um einen Effekt zu spüren
- Zunehmender Kontrollverlust, immer häufiger im Vollrausch enden
- Entzugserscheinungen, wenn nicht konsumiert wird - wie zittern oder schwitzen
- Weitertrinken, obwohl Schäden an Körper und Geist erkennbar sind und man sich bereits schlecht fühlt
Alkohol gelangt vor allem über die Schleimhaut des Dünndarms ins Blut. Dort verteilt er sich innerhalb weniger Minuten im Blutkreislauf und schließlich im gesamten Körperwasser. Organe wie Herz, Gehirn oder Muskeln werden beeinträchtigt. Doch mehr als 90 Prozent des Alkohols baut die Leber ab, die damit die Hauptlast trägt. 17 Entgiftungen, Aufenthalte in Tageskliniken, Reha, drei Langzeittherapien: Der Weg von Claude Sahlmen war lang. Suchtkrank wird er immer bleiben. „Das Suchtgedächtnis bleibt immer. Es bedeutet ein Leben lang Arbeit.“
„Das Suchtgedächtnis bleibt immer. Es bedeutet ein Leben lang Arbeit.“
Selbsthilfegruppe wird gut angenommen und hat Platz für weitere Interessierte
Seit September 2024 gibt es die Selbsthilfegruppe „Brainworks“ bereits, die sich jeden Montag von 17 bis 19 Uhr trifft. Treffpunkt ist der Jugendtreff Platte Heide, Hermann-Löns-Straße 61. Zehn bis 15 Menschen kommen jede Woche vorbei und tauschen sich im geschützten Rahmen aus. „Es war direkt am ersten Tag schon proppevoll“, sagt Claude Sahlmen, der über die Resonanz überrascht, aber vor allem erfreut ist.
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Willkommen sind Menschen ab 18, die bereit sind, an sich zu arbeiten. Die Tür steht offen, für Menschen mit Suchterkrankungen jeder Art. „Die Sucht verläuft immer gleich im Kopf“, sagt Claude Sahlmen. Willkommen sind Menschen, die gerne Freundschaften entwickeln möchten. Menschen, die ihr Wissen weitergeben möchten oder die Gruppe als Hilfesystem sehen. Wichtig: „Wenn möglich ohne Einfluss von Suchtmitteln kommen.“ Es handelt sich um einen suchtmittelfreien Raum. Auch Freunde und Angehörige sind willkommen.
Kontakt über die Selbsthilfe-Kontaktstelle Märkischer Kreis unter: selbsthilfe-mk@paritaet-nrw.org mit dem Betreff „Brainworks“ oder telefonisch unter 02351- 39 05 26. Hier gibt es weitere Informationen. Eine Anmeldung ist nicht nötig.