Menden. Nach der jüngsten Jagd auf Fluchtauto: Anwohner am Brandbusch fragen nach Sinn und Unsinn von Verfolgungen. Die Polizei antwortet.
Kritische Fragen an die Polizei gibt es nach einer Verfolgungsjagd am Abend des 17. Juni quer durch Menden, bei der ein flüchtiger Mendener Autofahrer (19) gefasst werden konnte. Der Mann hatte gegen 20.10 Uhr bei einer Verkehrskontrolle am Grüner Weg Gas gegeben, weil er offenkundig seinen Alkohol- oder Drogenkonsum verbergen wollte. Acht Beamte in vier Streifenwagen verfolgen den VW Golf des Flüchtigen daraufhin mit Blaulicht und Sirene durch mehrere Straßen, darunter auch durch den sehr schmalen Brandbusch im Bereich Liethen. An der Siebengebirgsstraße will der Flüchtige schließlich zu Fuß entkommen, wird aber gefasst.
Jüngste Jagd weckt ungute Erinnerungen: Auto kracht in Mendener Hotel
Auf der Wache wird dem jungen Mann eine Blutprobe entnommen. Erst die labortechnische Untersuchung soll zeigen, ob der Autofahrer noch fahrtüchtig war oder unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stand. Verletzt wird bei der waghalsigen Flucht durch die Innenstadt niemand. Dennoch sorgt die spektakuläre Jagd für Aufsehen bei Anliegern und Passanten. Sie weckt Erinnerungen an die Verfolgung vom Juli 2022 auf der Unnaer Landstraße. Dort kracht der Daimler eines flüchtigen Pärchens in vollem Tempo in den Eingang des vormaligen Hotels Slamic, landet auf dem Dach landet und brennt aus. Die Beifahrerin wird dabei verletzt. Im März 2014 endet eine Flucht in Kevelaer in einem zuvor in Menden gestohlenen Ford Mondeo sogar tödlich. Die dortige Polizei hatte die begonnene Verfolgung wegen der rücksichtslosen Fahrweise des Flüchtenden kurz zuvor abgebrochen, dennoch rast er schließlich gegen einen Baum.
Anlieger fragen: Warum keinen anderen Ermittlungsmethoden?
In Menden schildern Anlieger vom Brandbusch das Erlebte und stellen die Frage nach dem Risiko: War das Vorgehen der Polizei, ja sind Verfolgungen dieser Art nicht grundsätzlich viel zu gefährlich für Flüchtende, für ihre Verfolger und womöglich unbeteiligte Passanten? Denn, so heißt es in einem Post auf Facebook weiter: Gerade auf dem schmalen, steilen, buckligen und dank einer 180-Grad-Kehre völlig unübersichtlichen Brandbusch hätte es schon mit Rücksicht auf mögliche Fußgänger gar keine Verfolgung mehr geben dürfen. Zumal Flüchtende, deren Kennzeichen bekannt ist, doch auch mit anderen Ermittlungsmethoden rasch aufgespürt werden könnten.
Polizeisprecher: Einzelfall-Abwägung mit vielen Komponenten
Die WP hat diese Frage jüngst an Lukas Borowski weitergegeben. Laut dem Sprecher der Kreispolizeibehörde in Iserlohn sind der Polizei Verfolgungen grundsätzlich erlaubt. Sie darf dabei auch Verkehrsregeln missachten, Autos rammen oder auf Autobahnen und Landstraße gegen eine Leitplanke drücken. „Im Wilden Westen sind wir aber nicht“, sagt Borowski. Die Polizei müsse vielmehr, juristisch gesprochen, in jedem Einzelfall eine Abwägung zwischen zwei Rechtsgütern vornehmen: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung.
„Ist jemand bei Rot über die Kreuzung gefahren oder hat keinen Blinker gesetzt, gibt es keine Verfolgungsfahrt.“
Wichtig für diese Einzelfall-Entscheidung sei zunächst das Delikt: „Ist jemand bei Rot über die Kreuzung gefahren oder hat keinen Blinker gesetzt, gibt es keine Verfolgungsfahrt“, sagt Borowski. Denn angesichts des sehr wohl bekannten Risikos gehe es um die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Dass Verfolgungen auch für die Polizei brenzlig werden können, zeigt ein Fall aus 2019 in Hagen, wo der Verfolgte urplötzlich den Rückwärtsgang einlegte, um den Streifenwagen zu rammen.
Tageszeit, Verkehrsaufkommen, Witterung: Vieles spielt eine Rolle
Liege bei der Kontrolle aber Einbruchswerkzeug oder eine halbleere Schnapsflasche auf dem Beifahrersitz, oder haut ein Fahrer wie in Hagen im April 2020 gar nach einer nächtlichen Automatensprengung ab, sieht die Sache laut Borowski anders aus. „Auch dann spielen immer noch Faktoren wie das aktuelle Verkehrsaufkommen oder die Witterung eine Rolle.“ Abends wie am Brandbusch oder nachts wie bei Slamic seien die Risiken der Verfolgung geringer. Während der Fahrt gäben die Streifen zudem ihre Standorte und das Tempo durch, sodass im Zweifel auch abgebrochen werden kann. „Der Flüchtende ist natürlich auch in einer psychischen Ausnahmesituation.“
+++ Auch interessant: Die schönsten Premiere-Bilder vom Mendener Sommer +++
Kein totaler Verzicht: Verfolgungen können schwere Straftaten verhindern
Tatsächlich, so räumt auch Borowski ein, gebe es zudem andere Ansätze, etwa die Halterfeststellung über das Kennzeichen und die anschließende Ermittlung am Wohnort. „Es auch so, dass man sich mitunter zweimal sieht, der Betreffende also bald darauf beim nächsten Delikt gefasst werden kann.“ Doch könnten Verfolgungen aber stärkere Gefahren durch alkoholisierte Fahrer oder die Begehung schwerer Straftaten verhindern. Daher müsse die heimische Polizei bei allen genannten Rücksichtnahmen auch künftig für Verfolgungsfahrten entscheiden können.