Menden/Arnsberg. Am zweiten Prozesstag sollten weitere Zeugenaussagen Licht ins Dunkel bringen. Doch daraus wird am Ende nicht viel. Viele Beteiligte schweigen.
Als sich am Abend des 22. Dezember 2023 in Menden mutmaßlich die Bluttat ereignete, waren Täter und Opfer wohl alleine in der Wohnung. Der heute 46-jährige Mann soll in Tötungsabsicht auf seine Ex-Frau losgegangen sein, mit einem Messer auf sie eingestochen und mit einem Nudelholz auf den Kopf geschlagen haben. Unmittelbare Tatzeugen gibt es also nicht, das Opfer selber hatte vor dem Arnsberger Landgericht die Aussage verweigert, was auch einem geschiedenen Partner eines Angeklagten zusteht. Da der Beschuldigte selber auch schweigt, blieb an substanziellen Aussagen zunächst nur die Schilderung einer Nachbarin, die das heute 45 Jahre alte Opfer blutüberströmt und mit Messerstichen verletzt auf der Wiese vor dem Haus aufgefunden hatte. Am zweiten Tag mit Zeugenvernehmungen vor dem Arnsberger Landgericht sollte weiteres Licht ins Dunkel kommen über familiäre Hintergründe und Zusammenhänge. Doch das gestaltete sich schwierig.
Ein Bekannter als unwissender Fluchthelfer?
Die Mutter, der Vater und eine Schwester des Opfers waren als Zeugen geladen. Aber alle drei verweigerten die Aussage, verwiesen teilweise darauf, dass sie schon nach der Tat bei der Polizei ausgesagt hätten und es dabei bewenden lassen wollten. Nur der Vater der in der Horlecke schwer verletzten Frau gestattete dem Gericht ausdrücklich, seine Aussage bei der Polizei nun auch hier vor Gericht auswerten zu lassen.
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Weitere Informationen zum familiären Umfeld und möglichen Hintergründen gab es deshalb an diesem Tag nur von Zeugen, die kein Aussageverweigerungsrecht haben, weil sie nicht oder nicht nah genug mit dem Angeklagten verwandt sind. So kamen mehrere Bekannte des 46-Jährigen zu Wort, die den Mendener mit türkischen Wurzeln etwa zwischenzeitlich auch als Mitarbeiter beschäftigt hatten. Was bei diesen Zeugen zum Ausdruck kam: Der Angeklagte sei eigentlich ein netter, höflicher Mensch. „Er hat mir viel geholfen“, sagte einer der Zeugen. Und ein anderer: „Ich kann nichts Negatives sagen über ihn und seine Familie.“ Von Ehestreit wollen alle durchaus gehört haben, aber sich dann nicht intensiver mit den privaten Problemen der beiden beschäftigt haben. Ein 50-jähriger Bekannter sagte auch wertschätzend: „Er hat sich zerrissen für seine Familie.“ Deshalb auch seine Schlussfolgerung in Bezug auf die massiven Anklagevorwürfe: „Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass er so etwas begangen haben soll.“
Andererseits: Der hier zitierte gute Bekannte habe für den Angeklagten ein Flugticket in die Türkei organisiert. Für den 23. Dezember, angeblich, um die schwer kranke Mutter zu besuchen. Tags zuvor aber, am Abend der Bluttat, rief der Beschuldigte den Zeugen nach dessen Aussage an und bat dringend und nervös am Telefon darum, einen früheren Flug zu bekommen. Das sei auf die Schnelle nicht mehr realisierbar und bezahlbar, und man könne höchsten ein paar Stunden damit gewinnen, habe der Bekannte daraufhin erklärt und das Ansinnen abgewiegelt. Wollte der Beschuldigte hier womöglich die übereilte Flucht aus Deutschland organisieren? Er reiste ja schließlich dann wirklich aus und wurde erst nach Wochen mit internationalem Haftbefehl nach der Rückkehr auf einem niederländischen Flughafen festgenommen.
Verteidiger hält an Verzögerungstaktik fest
Was womöglich noch für ein außergewöhnliches Ereignis an dem Abend in der Wohnung der Familie in der Horlecke spricht: Der 14-jährige Sohn der beiden habe nach Aussage eines anderen Bekannten bei ihm übernachtet, nachdem ihn der Vater dorthin gebracht hatte. Das sei zuvor noch nie vorgekommen. Der Junge sei aufgeregt gewesen und habe von einer Auseinandersetzung seiner Eltern berichtet. Bei der Polizei soll der 14-Jährige später gesagt haben, dass seine Mutter womöglich sterben werde, was glücklicherweise ja nicht passierte. Vor Gericht nun am ersten Verhandlungstag hatte dieser Sohn aber genauso wie sein großer Bruder und wie die Mutter die Aussage verweigert.
„Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass er so etwas begangen haben soll.“
Geladen war auch noch ein Arzt, der die Verletzungen der Frau im Krankenhaus behandelt hatte. Er konnte aber keine Entbindung von der Schweigepflicht vorweisen, war sich daraufhin nicht sicher, was er überhaupt sagen darf, und schwieg dann lieber. Der Verteidiger des 46-jährigen Angeklagten hatte sehr deutlich darauf verwiesen, man könne sich strafbar machen bei Aussagen, die eigentlich unter die Schweigepflicht fallen, wenn sie von einem Patienten nicht ausdrücklich aufgehoben ist. Und auch sonst hatte der Jurist wie schon am ersten Termin mehrfach auf das Gericht eingewirkt: Er hatte eine Besetzungsrüge eingereicht gegen das Schöffengericht und monierte die Arbeit der Übersetzerin, die nicht jedes Wort wiedergebe. Sein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens wegen mutmaßlich zu geringer Vorbereitungszeit auf eine Vernehmung von Zeugen wiederum wurde vom Gericht abgeschmettert. Es folgen weitere Verhandlungstage, unter anderem mit den beteiligten Polizeibeamten vom Tatort.