Menden. Wenn die Mutter plötzlich ein Pflegefall wird: Wie geht es weiter? Eva und ihre Schwester wünschen sich dringend Unterstützung.
Über mehrere Monate spürt die Familie, dass die 82-jährige Mutter immer weiter abbaute. Sie aß nur noch wenig, zeigte Anzeichen von Demenz, hatte Wahnvorstellungen und zog sich immer weiter in ihre eigene Welt zurück. Als die Töchter der Mendener Seniorin auf professionelle Hilfe hofften, folgte eine Odyssee durch bürokratische Vorschriften, Nicht-Zuständigkeiten und mehr. Zurück bleibt das Gefühl, allein gelassen zu werden in dieser herausfordernden Phase.
Hausärztin weist Mutter sofort ins Krankenhaus ein
Ende April dieses Jahres gelang es Eva (60, Name von der Redaktion zum Schutz aller Betroffenen geändert) und ihrer 55-jährigen Schwester endlich, ihre Mutter zum Arztbesuch zu bewegen. Die beiden machten sich angesichts des Zustands der Mendenerin große Sorgen. Die Hausärztin riet nach der Untersuchung zur sofortigen Einweisung in ein Krankenhaus. Dort folgten mehrere Untersuchungen inklusive zweier Narkosen, einige Tage später wurde sie in eine geriatrische Abteilung verlegt. Die geistige Verfassung der Mutter sei immer schlechter geworden, eine fortgeschrittene Demenz wurde diagnostiziert, berichtet Eva. „Sie hat eine vaskuläre Demenz. Sie muss in der Vergangenheit mehrere kleine unbemerkte Schlaganfälle gehabt haben.“
„Der Jahresurlaub ist allmählich hinfällig, die Geduld des Arbeitgebers überstrapaziert.“
Erschwerend für alle kam hinzu: Die Seniorin büxte aus – nicht nur einmal, sondern immer wieder. Das Krankenhaus konnte verständlicherweise nicht gewährleisten, dass die Patientin immer unter Aufsicht war. Die Sorge wuchs, dass der Seniorin bei einem ihrer „Ausflüge“ etwas Schlimmes passieren könnte. Die Familie machte sich teilweise mehrmals am Tag auf die Suche nach ihr. „Trotz Berufstätigkeit“, erzählt Eva. „Der Jahresurlaub ist allmählich hinfällig, die Geduld des Arbeitgebers überstrapaziert.“ Die Mutter sei „mehrfach im Keller oder auf offener Straße aufgefunden“ worden. Sie selbst und ihre Schwester hätten „ständig unter Strom“ gestanden: „Jedes Mal, wenn das Telefon klingelte, hatte ich Angst, dass sie wieder weg ist.“
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Einweisung in die geschlossene Psychiatrie
Eva und ihre Schwester beantragten schließlich als Betreuer der Mutter die Einweisung in die geschlossene Psychiatrie per Eilbeschluss, berichtet sie. Nach gerichtlicher Zustimmung sei die Mutter in die geschlossene Einrichtung einer Klinik gekommen.
„Was ist, wenn sie vergisst, den Herd auszuschalten?“
Nach wenigen Wochen sollte die Seniorin entlassen werden. Und Eva und ihre Schwester standen vor der Frage, was mit ihrer Mutter nun passieren sollte. Die Mutter in ihrer Wohnung alleine lassen? Undenkbar, viel zu gefährlich, waren die beiden sich sofort einig: „Was ist, wenn sie vergisst, den Herd auszuschalten?“ Die Mutter ihres Mannes habe einst – in vergleichbarem gesundheitlichem Zustand – die Wasserhähne aufgedreht: „Sie hat dann die Wohnung geflutet.“
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Und die Mutter zu sich in die Wohnung holen? Zum einen ein Platzproblem, zum anderen stelle sich aber auch hier die Frage, wer sich um die Mutter kümmere, wenn keiner zu Hause ist. Sie und ihre Schwester seien berufstätig: „Ohne Aufsicht geht es nicht. Ob ein ambulanter Pflegedienst ausreicht, erscheint uns sehr fraglich. Sollen meine Schwester und ich von nun an unseren Arbeitsplatz aufgeben und auf Staatskosten leben?“
Eva fühlt sich von der Krankenkasse alleine gelassen
Zudem sei ihrer Mutter zunächst nur Pflegegrad 1 bewilligt worden, mittlerweile habe sie vorläufig den Pflegegrad 2. Von der Krankenkasse ihrer Mutter fühlt sich Eva alleine gelassen. Sie sei als „gute Frau ohne Ahnung von unserem deutschen Pflegegesetz“ tituliert worden. Ihr gegenüber seien widersprüchliche Aussagen getätigt worden. Es sei „erschreckend, wie wenig Unterstützung man als Angehöriger erfährt“, sagt Eva. „Wir haben den Eindruck, dass man vor Wände läuft. Mir kommt da die Galle hoch.“
„Möchten Sie das für Ihre Eltern oder sich selbst?“
Nach all ihren Erfahrungen reichte es Eva und ihrer Schwester. Sie verfassten eine Wut-Mail an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und schildern das Erlebte. „Möchten Sie das für Ihre Eltern oder sich selbst?“, schreiben die beiden. „Sollten Sie dieses dennoch vielleicht lesen, bitte verraten Sie mir, wie sich der weitere Fortgang gestalten soll. Sollen wir die alte Dame ,entsorgen‘? Denn so kommt uns die heutige Gesetzgebung vor.“
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Die beiden Schwestern wünschen dem Gesundheitsminister, „dass Sie sich dieser Situation nicht stellen müssen. Denn mit der heutigen Gesetzgebung haben Sie keine Chance.“ Auf Wunsch könnte die Patientenakte der Mutter zur Verfügung gestellt werden. Eine Antwort des Gesundheitsministers haben Eva und ihre Schwester indes auch nach mehreren Wochen nicht bekommen.
Foto der Mutter für eine mögliche Suche
Mittlerweile lebt die 82-jährige Mutter in einem Seniorenheim. Auch dort büxt sie immer wieder aus. Trotz aller Sorgfalt durch das Heim: „Sie ist da sehr erfinderisch und findet sämtliche Ausgänge“, weiß Eva. Vorsorglich sei die Seniorin kürzlich im Heim fotografiert worden – für eine mögliche Suchmeldung durch die Polizei.
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Eva und ihre Schwester kümmern sich gerade darum, dass ihre Mutter einen Berufsbetreuer bekommt. Sie wollen einen Teil der Verantwortung, die schwer auf ihnen lastet, abgeben an jemanden, der sich beruflich mit all diesen Fragen beschäftigt: „Wir wollen das Beste für unsere Mutter. Aber wir haben den Eindruck, dass man kaum Unterstützung bekommt. Da geht man sonst irgendwann am Stock und kann nicht mehr.“