Menden. Schon als kleines Kind hat sich Mailin „anders“ gefühlt. Erst vor zwei Jahren bekommt sie endlich die Diagnose: Sie ist Autistin.

„War is over” – der Krieg ist vorbei. Das sagt Mailin in einem TikTok über den Tag, an dem sie ihre Diagnose bekommt. Endlich! Vorausgegangen sind 17 Jahre, in denen sie wusste, dass sie irgendwie „anders“ ist. Dann endlich bekommt das Anderssein einen Namen: Autismus.

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Schon als kleines Mädchen im Kindergarten spürt Mailin Mautsch, dass sie „auffällig“ ist. Dieses Gefühl zieht sich durch ihre ganze Kindheit, ihre Jugend. „Als kleines Kind habe ich nicht gesprochen und mich vor Fremden versteckt“, erinnert sich die 19-jährige Mendenerin. Angststörung, lautete irgendwann nach einem Klinikaufenthalt die Diagnose. Klar, sagt Mailin, sie habe manchmal Angst, habe auch Panikattacken, doch dem Ganzen liege – was damals keiner ahnte – der Autismus zugrunde. „Die Angststörung ist nur eine Nebendiagnose.“

„Ich wurde oft gemobbt.“

Mailin Mautsch

Auf ihre Schulzeit bis zur Mittleren Reife blickt sie mit vielen negativen Gefühlen zurück: „Ich wurde oft gemobbt.“ Bei ihrem Autismus sei sie unterstützt worden, allerdings nicht bei den Mobbing-Angriffen durch Mitschüler. Hier habe sie von niemandem Hilfe bekommen. Bauchschmerzen und Übelkeit wurden zum Begleiter, wenn sie an die Schule dachte. Zeitweilig habe sie eine so starke Angst entwickelt, dass sie gar nicht mehr zur Schule gehen mochte. Erst in der zehnten Klasse sei es langsam besser geworden.

Kommunikation und soziales Miteinander

Autismus oder Autismus-Spektrum-Störungen sind Entwicklungsstörungen, „die die Fähigkeiten zur Kommunikation und im sozialen Miteinander beeinträchtigen. Verhaltensorientierte Therapiemaßnahmen können die Selbstständigkeit von Menschen mit Autismus unterstützen und fördern“, heißt es auf der Seite gesund.bund.de, einem Service des Bundesgesundheitsministeriums. Autismus sei gekennzeichnet „durch Schwierigkeiten im sozialen Miteinander (soziale Interaktion) und in der Ausdrucksfähigkeit (Kommunikation)“.

Typisch seien außerdem Verhaltensweisen, die von Wiederholungen und Mustern geprägt sind. Es gebe bislang keine medizinischen Therapien, um Autismus zu heilen: „Es gibt aber verschiedene Maßnahmen, die die sozialen und kommunikativen Fähigkeiten von Menschen mit Autismus verbessern können.“

Bei den Autismus-Spektrum-Störungen gibt es den frühkindlichen Autismus, den atypischen Autismus sowie das Asperger-Syndrom.

Ihr Gefühl des Andersseins indes blieb. „Ich habe dann gegoogelt“, erzählt Mailin. „Und bin immer wieder bei Autismus gelandet. Da passte einfach alles.“ Gemeinsam mit ihrer Mutter suchte sie einen Psychiater auf, der nach mehreren Tests und eingehender Untersuchung zum selben Ergebnis kam: Mailin ist Autistin. „Das war so eine große Erleichterung. Man fühlt sich wieder wie eine Person.“

Sie habe die Unterform „Asperger Autismus“, erklärt Mailin: „Das ist eine mildere Form.“ Darüber hinaus habe sie auch Depressionen und ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung).

Mailin hat mittlerweile aufgrund ihrer Diagnose einen Schwerbehindertenausweis

Mittlerweile hat Mailin aufgrund ihrer Diagnose einen Schwerbehindertenausweis, berichtet sie. Sie besucht zurzeit eine Berufsschule, will das Fachabitur mit dem Schwerpunkt Gesundheit machen und später im gesundheitlichen Bereich arbeiten: „Früher – in meiner alten Klasse – gab es oft auch Beleidigungen, aber jetzt behandeln die mich wie einen ganz normalen Menschen.“ Im Rahmen ihrer Ausbildung arbeitet Mailin auch in einer Ergotherapie-Praxis. Hier ist sie von Anfang an offen mit ihrer Diagnose umgegangen: „Es fällt mir manchmal schwer, mit Patienten zu agieren. Aber ich bin jetzt schon viel selbstbewusster geworden.“ Ihr Chef habe „gut reagiert“, habe Verständnis, wenn sie öfter mal eine Pause brauche, weil ihr alles zu viel werde.

„Früher – in meiner alten Klasse – gab es oft auch Beleidigungen, aber jetzt behandeln die mich wie einen ganz normalen Menschen.“

Mailin Mautsch

Freude macht ihr auch ihr Nebenjob bei der Lebenshilfe: „Ich arbeite da mit behinderten Kindern“, erzählt Mailin, die in ihrer Freizeit gerne Ballett tanzt und zwei Geschwister hat. Bei den Kindern müsse sie sich nicht verstellen, „und wenn ein Kind Autismus hat, kann ich aufgrund meiner eigenen Erfahrungen gut drauf eingehen. Da fühle ich mich wohl.“

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Viele Reize sind Gift für Mailin: „Ich fühle mich dann spätestens am nächsten Tag wie vom Lkw überfahren“, beschreibt sie. Viele Menschen, laute Geräusche – etwa auf der Kirmes – das ist Mailin schnell zu viel. Sitzt sie mit ihren Eltern beim Abendessen, ist ihr manchmal vieles zu laut: „Die Essensgeräusche stören mich enorm. Wenn eine Gabel aus Versehen runterfällt, dann ist das extrem laut in meinem Kopf. Und wenn ich zu viele Reize habe, dann ist das wie ein Shutdown im Kopf. Dann bin ich gar nicht mehr ansprechbar.“

Kopfhörer schotten Mailin vom Lärm der Außenwelt ab

Geht die Mendenerin durch die Stadt oder fährt mit dem Bus, trägt sie deshalb gerne Kopfhörer oder Ohr-Stöpsel. So kann sie sich vom Lärm der Außenwelt abschotten und in ihre Welt zurückziehen. Mailins Schutz vor dem Fluss der stetig murmelnden, lärmenden Umgebung. Wird ihr mal alles viel zu viel, ist das einzige, was hilft: Ruhe, Licht ausschalten, Rückzug in ihr Zimmer, in ihre „Komfortzone“, wie Mailin sagt.

Mailin hat sich schon ihr Leben lang anders gefühlt

Sie habe sich, so blickt sie zurück, „schon mein Leben lang anders gefühlt. Das ist wie eine Achterbahnfahrt in meinem Kopf.“ Kommentierungen wie „Du bist komisch“, seien noch die freundliche Variante. Um zu funktionieren, um nicht immer abgelehnt und zurückgewiesen zu werden, setzt Mailin, wenn sie nicht alleine ist, seit vielen Jahren in der Regel sprichwörtlich eine Maske auf: „Ich weiß gar nicht genau, wer ich ohne diese Maske wirklich bin.“

„Ich habe als Autistin nicht viel Empathie.“

Mailin Mautsch

Um ihre Maske vielleicht nach und nach ein bisschen ablegen zu können, geht Mailin seit einiger Zeit in die Autismus-Ambulanz in Menden: „Da kann ich mich mit anderen, die Autismus haben, austauschen“, erzählt sie. „Es geht oft einfach um Alltagsbewältigung. Und die Therapeuten da sind sehr gut.“ So lerne sie, „mehr Empathie“ zu zeigen, auf die Mimik des Gegenübers zu achten: „Ich habe als Autistin nicht viel Empathie.“

Sie tut sich schwer damit, Ironie zu verstehen

Darüber hinaus nehme sie viele Sätze wörtlich, tue sich schwer damit, Ironie zu verstehen. Als ihre Mutter mal zu ihr gesagt habe, sie solle nicht alles auf die Goldwaage legen, habe sie diese Redewendung und was ihre Mutter gemeint habe, erst viel später verstanden, als sie in der Autismus-Ambulanz nachfragte.

Wunsch nach Akzeptanz

Und wo sieht sich Mailin, wenn sie zehn Jahre in die Zukunft blickt? „Ich wünsche mir, dass mich dann alle so akzeptieren, wie ich bin – mit meinem Autismus und ohne, dass ich eine Maske aufsetzen muss“, sagt die junge Frau. Um dazu beizutragen, informiert sie auf Instagram und auf TikTok über Autismus. Viele ihrer TikTok-Reels haben Aufrufe im fünfstelligen oder sechsstelligen Bereich: „Da kommen viele sehr gute Fragen“, erzählt sie. „Und anders als im echten Leben bekomme ich da keinen Hate.“

Erleichtert, endlich eine Diagnose zu haben

Eines der erfolgreichsten Mini-Videos haben mehr als eine halbe Million Menschen gesehen: „Wenn man nach 17 Jahren endlich mit Autismus diagnostiziert wird“, steht oben links im Reel. Die Worte „War is over“ werden daraufhin eingeblendet. Dazu eine lächelnde Mailin – einfach erleichtert, die Diagnose zu haben und endlich, endlich zu wissen, warum sie manchmal anders tickt und zu wissen, dass sie trotzdem gut so ist, wie sie ist.

Mailin Mautsch auf TikTok: @mailin.m3 und @livewithautism