Menden. . Die DRK-„Kinderwelt“ hat eine Autismus-Ambulanz in der historischen Villa am Lenzenplatz eröffnet. Die Initiatorinnen im WP-Interview.

Die DRK-Kinderwelt Altena-Lüdenscheid gGmbH hat im September in der alten Villa Unnaer Straße 50 eine Autismus-Ambulanz eröffnet. Die Einrichtung ist ein Angebot zur dezentralen, ambulanten Versorgung dieser Zielgruppe in der Stadt und im Märkischen Kreis. Die WP fragte die Mendener Sozialarbeiterin Sarah Hallerberg, vor Ort Leiterin und vorläufig einzige Mitarbeiterin, und Kinderwelt-Geschäftsführerin Kathrin Weichert, nach den hier gesteckten Zielen.

Frau Hallerberg, können Sie auf Deutsch erklären, was Autismus bedeutet?

Sarah Hallerberg: Das ist eine individuelle und komplexe Form einer Wahrnehmungsstörung, die eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschwert. Sie besteht ein Leben lang und ist nicht heilbar, jedoch lernt man durch Therapien mit ihr umzugehen.

Warum gibt es für eine unheilbare Krankheit eine Ambulanz?

Kathrin Weichert: Zuerst einmal verstehen wir Autismus nicht als eine Krankheit! Das Wort Ambulanz steht in unserem Konzept dafür, dass wir mit unseren Klienten vor Ort in unseren Räumen arbeiten, aber sie auch in ihrem Lebensumfeld aufsuchen. Gerade unserer Zielgruppe gibt das gewohnte Umfeld Halt und Sicherheit.

Wie sieht das im Verhältnis aus?

Weichert: Zu etwa 30 Prozent suchen wir die Klienten auf. Das muss übrigens nicht immer das eigene Zuhause sein, das kann auch die Kita, die Schule oder die Werkstatt sein.

In Filmen wie „Rain Man“ oder der Erfolgsserie „The good Doctor“ werden Autisten als Genies dargestellt, die mit Inselbegabungen verblüffen. Gibt es das tatsächlich?

Hallerberg: Ja, es gibt Autisten mit Inselbegabungen, jedoch umfassen sie nur einen geringen Anteil. Da das Störungsbild bei jedem Betroffenen unterschiedlich ist, gibt es neben Inselbegabungen auch Betroffene, die zum Beispiel keine verbale Sprache entwickelt haben.

Wie viele Klienten, die Sie ja nicht Patienten nennen...

Weichert: ...wir betrachten Autismus ja auch nicht als Krankheit, sondern als eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die für die Betroffenen in der Regel ein Handicap darstellt, am alltäglichen Leben teilzunehmen.

Ok. Also, wie viele Klienten gibt es potenziell in Menden? Lohnt sich so eine Ambulanz hier überhaupt?

Weichert: Eine genaue Zahl liegt uns nicht vor, jedoch wissen wir um den Bedarf und wollen ein neues Angebot in der Stadt und im Kreis machen. Wir haben mit Plettenberg und Menden Standorte ausgewählt, in deren Umgebung es für Betroffene kaum Anlaufstellen gibt. Bisher mussten Klienten meist weite Wege in Kauf nehmen. Durch wohnortnahe Betreuung lässt sich die Therapie aber besser in den Alltag integrieren. Wir haben seitens der Stadt große Offenheit und Unterstützung für unser Vorhaben erfahren, die Ambulanz Menden wird eng mit den Fachbehörden von Stadt und Kreis zusammenarbeiten. Unsere Zielgruppe sind Menschen jeden Alters mit Autismus-Spektrum-Störungen jeder Ausprägung in Menden und den angrenzenden Kommunen. Die „Aktion Mensch“ unterstützt unsere Einrichtung finanziell – sonst wäre die neue Ambulanz nicht realisierbar gewesen. Die Nähe der Therapieeinrichtung zum sozialen Umfeld des Klienten ist wichtig, weil wir nach einem ganzheitlichen Konzept arbeiten und das gesamte Umfeld unserer Klienten einbeziehen.

DRK-Kinderwelt: 240 Kräfte für 2400 Kinder im MK

In der Trägerschaft der DRK-Kinderwelt Altena-Lüdenscheid gGmbH stehen derzeit sieben DRK-Kitas, sechs Familienzentren (darunter Obsthof und Salzweg), sechs Angebote im Schulganztag und zwei Autismus-Ambulanzen.

Mehr als 240 Kräfte betreuen etwa 2400 Kinder und ihre Familien an 18 MK-Standorten.

Kontakt: 02373/3972747, E-Mail: autismusambulanz.menden@drk-kinderwelt.de

Sie wollen also nicht nur den Klienten zeigen, wie man mit Autismus umgehen kann?

Hallerberg: Ganz genau! Der ganzheitliche Ansatz bezieht das gesamte System ein: das familiäre Umfeld, Erzieher, Lehrer, Arbeitskollegen. Wir wollen das Umfeld unserer Klienten und die Gesellschaft für das Thema Autismus sensibilisieren und bieten Schulungsangebote für Fachkräfte an. Wir möchten, dass die Gesellschaft ein besseres Verständnis von Autismus-Spektrum-Störungen bekommt und Betroffene besser integriert werden.

Wer kann jetzt zu Ihnen kommen?

Hallerberg: Erstmal kann sich jeder an uns wenden, der sich – auch anonym – beraten lassen möchte oder Fragen zur Antragstellung für eine Therapie hat. Zur Durchführung der Therapien benötigen wir die feststehende Diagnose eines Sozialpädiatrischen Zentrums oder eines Kinderpsychologen. Wir selber führen keine Diagnostik durch, haben jedoch eine alphabetisch geordnete Liste mit Stellen, an die man sich wenden kann.