Attendorn. Jugendliche prügeln am Montag vor dem Attendorner Rathaus hemmungslos aufeinander ein unter anderem mit einem Schlagstock. Nun gibt es eine Verhaftung.

Update: Wie die Kreispolizeibehörde Olpe und die Staatsanwaltschaft Siegen am Freitagnachmittag mitteilten, hat die Schlägerei zwischen Jugendlichen in Attendorn nun zu einer Verhaftung geführt. Im Verlauf des Konfliktes sei ein 16-Jähriger durch einen Hieb mit einem Teleskopschlagstock heftig am Kopf getroffen worden. Ein von der Tat gefertigtes Video wurde nach der Tat unter anderem auf Social-Media-Kanälen verbreitet. Die beteiligten Jugendlichen seien durch umfangreiche Maßnahmen der Polizei ermittelt worden. Am Freitag wurden Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt, der Haupttatverdächtige vorläufig festgenommen und mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft Siegen, Haftbefehl zu erlassen, dem Ermittlungsrichter am Amtsgericht in Olpe vorgeführt. Dem Antrag wurde stattgegeben und Haftbefehl gegen den 15-jährigen Haupttatverdächtigen verkündet.

Es sind schreckliche Szenen, die sich am Montagnachmittag vor dem Attendorner Rathaus abspielen: Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren verabreden sich für eine Schlägerei am helllichten Tage mitten in der Stadt. Ohne Hemmungen prügeln sie im Innen-Hof des Rathauses aufeinander ein. Auf einem Video, das eine Augenzeugin im Rathaus aufnimmt, ist zu sehen, wie ein Beteiligter eine Schlagwaffe zieht - und sie einsetzt. Er verletzt einen anderen, der anschließend im Krankenhaus behandelt werden muss. Die Polizei spricht später von „leichten Verletzungen“. Gewiss hätte dieser Schlagstock-Einsatz noch viel schlimmere Konsequenzen für das Opfer haben können. Die Frage, die sich viele Bürger stellen und auf die die Polizei nun Antworten sucht, liegt auf der Hand: Was war Auslöser dieser Gewaltexplosion?

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Für die Polizei sind die genauen Hintergründe bislang unklar. Es habe einen Konflikt zwischen zwei Gruppen Jugendlicher gegeben, bestätigt Polizei-Sprecher Thorsten Scheen, um dann zu ergänzen: „Mehr können wir zum aktuellen Zeitpunkt nicht sagen.“ Nach unseren Informationen sollen Mädels aus Olpe und Attendorn untereinander Stress gehabt haben. Mit männlicher Verstärkung „im Gepäck“ trafen sie sich vor dem Attendorner Rathaus. Dann flogen die Fäuste. Natürlich ist auch Carmen Decker der Vorfall nicht entgangen. Sie arbeitet als „Streetworkerin“ in Attendorn, ist also mit ihrem Kollegen Ali Omeirat auf den Straßen der Hansestadt unterwegs, um mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Die beiden kennen das Klientel und wissen, dass es in der Vergangenheit immer wieder zu Prügeleien zwischen Jugendlichen gekommen ist.

„Viele Jugendliche lernen gar nicht mehr, wie man Probleme friedlich und kommunikativ löst. Da wird gar nicht mehr nachgefragt.“

Carmen Decker, Aufsuchende Jugendarbeit in Attendorn

Die ausufernde Gewaltbereitschaft erschreckt aber auch die erfahrene Mitarbeiterin von der Aufsuchenden Jugendarbeit. „Was mir wirklich Sorgen bereitet“, sagt Decker und holt kurz Luft, „ist diese Brutalität, das wird immer schlimmer. Dass die Jugendlichen mit Waffen herumlaufen, schockiert mich.“ Sie laufen nicht nur damit herum, sondern setzen sie auch ein. „Hier reden wir nicht mehr über irgendwelche Kinderscherze, hier muss sofort etwas passieren“, nimmt Decker kein Blatt vor den Mund und denkt beispielsweise an Sozialstunden, die der Täter in einer caritativen Einrichtung absolvieren könnte.

Doch die Ursachen liegen tiefer, weiß die erfahrene Streetworkerin aus ihrer täglichen Arbeit: „Viele Jugendliche lernen gar nicht mehr, wie man Probleme friedlich und kommunikativ löst. Da wird gar nicht mehr nachgefragt.“ Sondern direkt körperliche Gewalt angewendet. So wie am Montagnachmittag vor dem Attendorner Rathaus. Natürlich würden Decker und Omeirat solche Vorfälle zum Anlass nehmen, um den Dialog mit den Jugendlichen zu suchen, um ihnen zu verdeutlichen, was passieren kann, wenn ein Konflikt gewaltsam „gelöst“ wird. Präventionsgespräche seien dabei ein wesentliches Element. Grundsätzlich verteidigt Decker „ihre“ Jugendlichen aber, die immer wieder Gesprächsthema in Attendorn sind und beispielsweise für Vandalismus- und Ruhestörungen nicht nur in der Kernstadt, sondern auch im Umfeld der Rundturnhalle im Schwalbenohl verantwortlich gemacht werden. Denn häufig würden diese jungen Menschen auch zu Unrecht an den Pranger gestellt. Was am Montag jedoch passiert ist, dafür fehlt auch Decker jegliches Verständnis.

Die schrecklichen Bilder dieser Prügelei wecken unweigerlich Erinnerungen an eine Auseinandersetzung in Attendorn, die es als „herausragenden Sachverhalt“ in die Kriminalstatistik der Olper Polizeibehörde für das Jahr 2023 geschafft hat: Während des Frühlingsmarktes im vorletzten Jahr treffen am Bahnhof ebenfalls Jugendliche aufeinander, auch hier fliegen zunächst die Fäuste, doch auch hier bleibt es nicht dabei: Ein junger Mann aus Werdohl zückt ein Messer und sticht gleich zwei Mal auf einen jungen Mann aus Attendorn ein. Dieser wird zwar nicht lebensbedrohlich, aber doch schwer verletzt. Vor dem Amtsgericht in Altena wird der Werdohler im Frühjahr vergangenen Jahres wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe nach Jugendstrafrecht verurteilt. Der Attendorner, der sich damals mit einem Sprung auf die Gleise vor seinen Angreifern retten kann, erleidet eine posttraumatische Störung. Auch damals soll es eine Vorgeschichte gegeben haben, es ging offenbar um ein Mädchen und um Eifersucht.

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Wer die Kriminalstatistik für das Jahr 2023 studiert - die Auswertung für 2024 liegt noch nicht vor -, der wird unschwer erkennen, dass auch im Kreis Olpe bei Gewaltdelikten die Zahl der Tatverdächtigen unter 21 Jahren ansteigt. Von 20,8 Prozent im Jahr 2020 auf 23,5 Prozent im Jahr 2023. In dieser Statistik ist ebenso aufgeführt, dass auch weibliche Täterinnen keine Ausnahme sind. Im Jahr 2020 wurden bei 2454 erfassten Gewalttaten 525 Frauen als Täterinnen identifiziert, im Jahr 2023 waren es bei 2674 Fällen insgesamt 637 Frauen. „Natürlich kommt es in allen Deliktsbereichen - also auch im Bereich der Gewaltkriminalität - zu Taten, die von weiblichen Tatverdächtigen begangen werden“, erklärt Scheen. Das sei kein neues Phänomen. „Allerdings gehört zur Wahrheit natürlich auch, dass seit eh und je die Zahl der männlichen Tatverdächtigen um ein Vielfaches höher lag und liegt.“ Auch dies lässt sich aus der Kriminalstatistik eindeutig ablesen. Es ist eine Statistik, die schwarz auf weiß verdeutlicht: Die Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen steigt kontinuierlich an. Jüngstes Beispiel: die heftige Schlägerei vor dem Attendorner Rathaus.