Lennestadt/Attendorn. Mit schusssicheren Westen im Gepäck sind Helfer aus dem Kreis Olpe in die Ukraine gestartet: „Wir wissen, worauf wir uns einlassen.“
Das große Kribbeln vor lauter Anspannung hat schon vor einigen Tagen begonnen. Am Samstag, 25. Januar, sind zehn Freiwillige des Vereins „Viele Hände für die Hoffnung“ nach Charkiw im Nordosten der Ukraine gestartet, um die Menschen in der Region mit Hilfsgütern zu versorgen
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Mittlerweile ist es der 20. humanitäre Hilfstransport, der sich auf die 2500 Kilometer lange Reise macht. „Der Größte, den wir je hatten“, sagt Michael Bock aus Attendorn, der den Verein und die Mission zusammen mit Matthäus Wanzek, ehemaliger Lennestädter und jetzt in Trier zuhause, leitet. Mit acht Fahrzeugen, darunter zwei große Lkw und mehrere Transporter mit 60 Euro-Paletten voller Sachgüter an Bord, macht sich das Team auf die 14-tägige Reise, opfert Urlaub für eine Reise voller Strapazen, um mit Schutzwesten und Helmen ausgestattet nahe der Front die Not der Menschen im Kriegsgebiet ein wenig zu lindern. Seit den ersten, spontanen Hilfstransporten 2022 von Kirchveischede, Altenhundem und später Attendorn aus, damals noch unter dem Namen „Lennestadt hilft“, hat sich viel geändert. „Wir bekommen heute nur noch Sachen über die Grenze, die vorher angefordert wurden. Man kann nicht mehr mit einem vollen Wagen einfach losfahren“, so Bock.
Ziel des Konvois ist die Universität in Charkiw, genauer gesagt der Luftschutzkeller der Uni, wo die Sauerländer ihr Lager aufschlagen werden. Denn in der Stadt, nur 30 Kilometer hinter der Front, gibt es Luftalarm in Dauerschleife. Mit der Uni in Charkiw und zwei Hilfsorganisationen arbeitet der Verein vor Ort eng zusammen.
„Vor jeder Fahrt fragen wir, was den Menschen vor Ort am meisten fehlt und wie wir helfen können“, so Matthäus Wanzek. Der Verein unterstützt so zielgerichtet die Kliniken, das Waisenheim, die Universität, Polizei, Feuerwehr, Kindergärten etc. Diesmal sind primär Medizintechnik und Medizin, Verbandsmaterial, Rollstühle, Rollatoren, Orthesen, neue Kettensägen, 120 neue Gasmasken für die Feuerwehr, Winterkleidung und vier große Generatoren an Bord, weil die russische Armee immer wieder die Stromversorgung bombardiert. Alles wurde gespendet. „Wir haben gute Spender, die uns unterstützen“, so Michael Bock. Sogar einige Paletten Tierfutter für eine Hundestaffel der Polizei sind dabei. Die Einheit sucht mit den Hunden nachts auf dem Schlachtfeld nach Leichen.
Viele Hände für die Hoffnung
„Viele Hände für die Hoffnung“ ist ein eingetragener Verein, der aus der Initiative „Lennestadt hilft“ hervorgegangen ist. Das Freiwilligen- und Unterstützernetzwerk erstreckt sich heute über Rheinland-Pfalz, NRW, Niedersachsen und Bayern. „Wir sind Rettungssanitäter, Journalisten, Fotografen und Krankenpfleger, Ärzte und Sozialarbeiterinnen und vieles mehr“, berichtet Mitgründer Michael Bock. Seit dem ersten Hilfseinsatz im März 2022 hat der Verein viele Tonnen an Medizintechnik, Medikamenten, Kleidung, Hygieneprodukten und Lebensmitteln in die Ukraine gebracht und beim Wiederaufbau geholfen. Beim 20. Transport gehören neben Michael Bock aus Attendorn zwei Personen aus Lennestadt zum zehnköpfigen Helferteam.
Die Hilfe ist nur durch die Unterstützung von Unternehmen und Kommunen, u. a. die Städte Attendorn und Lennestadt sowie vieler Privatspender möglich. Für seine Arbeit vor Ort benötigt der Verein weitere finanzielle Mittel. Das Spendenkonto lautet: Viele Hände für die Hoffnung e.V., VZ: Humanitärer Hilfstransport Charkiv 2025, IBAN: DE67 5855 0130 0001 1444 50 1, BIC: TRISDE55XXX
Wenn die Hilfsgüter verteilt sind, beginnt der zweite, gefährlichere Teil der Mission. In Charkiw kauft das Team palettenweise Grundnahrungsmittel und Hygieneartikel ein, verpackt diese in mehr als 3000 Tüten und verteilt sie zwischen Charkiw und der Front an rund 4000 Überlebende in den vielen Dörfern. „Viele Orte im Osten der Ukraine haben keine funktionierende Infrastruktur mehr. Der russische Angriff und die Besatzung haben eine Spur der Zerstörung hinterlassen. Viele Menschen können sich nicht selbst versorgen und brauchen Unterstützung“, so Wanzek. Die nächsten Geschäfte sind ca. 30 bis 40 km entfernt und die Sammelbusse, mit denen die Bewohner zum Einkaufen fahren könnten, werden regelmäßig unter Beschuss genommen oder von Drohnen angegriffen. Michael Bock: „Sich dort Milch und Eier zu besorgen, das ist lebensgefährlich.“
Für die Dorfbevölkerung sind diese Hilfspakete ein Segen, für die Helfer eine gefährliche Aktion. „Wenn wir aus Charkiw in Richtung Front fahren, dann sind vier Sachen Pflicht: Schutzweste, Helm, Rettungspack am Gürtel und das Handy auszuschalten.“ Denn die Russen versuchten, Handys mit ausländischen Nummern zu orten, so Bock. Jeden Morgen gibt es eine Lagebesprechung mit den Sicherheitskräften vor Ort, ob Gefahr durch Drohnen drohe, welche Route besonders gefährlich ist. Manchmal begleitet die Nationalgarde mit gepanzerten Fahrzeugen die Helfer. „Wenn wir ankommen, stellen wir die älteste Dorfbewohnerin vor den Transporter. Vor der haben alle Respekt und sie weiß genau, wie viele Menschen in welchem Haushalt wohnen. Das hat sich bewährt. Solange die alte Frau neben mir bei der Auslieferung nicht nervös wird, werde ich es auch nicht. Das ist die goldene Regel“, so Michael Bock. In den Dörfern schlägt den Helfern riesige Dankbarkeit entgegen – nicht nur wegen der Sachspenden. Michael Bock: „Es geht nicht nur um Hilfsgüter, sondern auch um die Menschlichkeit. Die Leute dort registrieren, dass überhaupt noch jemand an sie denkt.“
Die Lebensmittel und Hilfsgüter, die die Helfer vor Ort kaufen, werden aus der Vereinskasse finanziert. Deshalb ist der Verein vor allem auf finanzielle Spenden angewiesen. Das Geld für den Ankauf der Lebensmittel vor Ort sei gesichert. Auch ein Rettungswagen, den der Verein für 17.000 Euro in Frankreich gekauft hat und der nun nach Lyman überführt wird, wo er dringend benötigt wird und verbleibt, ist schon bezahlt. Aber immer wieder gibt es neue Bedürfnisse und Mängel vor Ort, zum Beispiel weitere Generatoren, Gehstützen oder Rollstühle – oder ganz andere Sachen. Beim letzten Transport habe man für die Musikgruppe eines Waisenheims neue Instrumente gekauft, nachdem ihr Musikraum von einer Granate getroffen wurde. Michael Bock: „Jeder Euro zählt. Wir können jeden Kauf mit Rechnungen und Fotos nachweisen. 9 von 10 Euro kommen bei den Menschen an.“ Mit dem Rest werden der Sprit für die Fahrzeuge und die Übernachtungen auf der Hin- und Rückreise finanziert. Vor Ort schlafen die Helfer auf Luftmatratzen in der Uni. „Die Professorinnen kochen dort jeden Tag für uns“, so Michael Bock.
Die große Effizienz der Spendenaktion ist für den 54-jährigen Attendorner ein Grund, warum er auch nach zweieinhalb Jahren immer noch dabei ist. Aber es gibt auch noch andere Gründe: „Wir sind ein Team und keine Drei-Mann-Show. Alle wollen Menschen helfen und retten und sich diesen Krieg nicht gefallen lassen.“ Und: „Wenn die Ukraine fällt, haben wir in zwei Jahren den Nato-Fall und Deutschland ist mittendrin“, sagt Bock. Deshalb müsse man die Ukrainer auf allen Ebenen unterstützen. Viele würden das verkennen.
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14 Tage dauert der insgesamt 6500 Kilometer lange Trip in die Ukraine und zurück. Trotz der vielen emotionalen Momente bei der Spendenausgabe oder mit ukrainischen Freunden lässt die Anspannung wegen der Gefahr und großen Ungewissheit nie nach. Wie gehen die Helfer damit um? Jeder hat ein anderes Rezept. Michael Bock: „Wir alle wissen, worauf wir uns einlassen. Vor Ort funktioniert man. Aber wenn wir am Samstag, 8. Februar, zurück sind, dann bin ich bis Mittwoch nicht zu gebrauchen, man muss das erst einmal alles verarbeiten und runterkommen. Das ist bei allen so.“ Zum Glück, sagt er, habe es bei den bisherigen Transporten keine Unfälle oder Verletzte gegeben..