Olpe. Eine Glosse über die Wochen vor jeder Wahl, in der mitten in der Stadt Großplakate die freie Sicht auf attraktive Teile der Stadt verhindern.
„Freie Sichtachse“. Einer der Begriffe, die im Olper Rathaus seit einiger Zeit öfter zu hören sind: nämlich stets dann, wenn die kleineren Fraktionen im Rat die übermächtige CDU angreifen wollen. Denn mit besagter „freier Sichtachse“ wird seit einiger Zeit die Notwendigkeit eines Abbruchs des derzeitigen Rathauses begründet.
Zur Erinnerung: Erst sollte es viel zu wenig Platz zum Arbeiten bei viel zu großen „Verkehrsflächen“ bieten. Dann wurde es als energetisch unfassbar schlecht, dann als baufällig betitelt. Und als all diese Argumente nicht zogen, am Ende der Olper Architekt Axel Stracke anbot, das dann leere Rathaus zu übernehmen, um darin eine Vielzahl von Wohnungen unterzubringen, da kam besagter Wunsch nach der „freien Sichtachse“ auf, die nun dafür herhalten muss, den Abbruch zu begründen. Denn, so die Begründung, es sei enorm wichtig für die Neugestaltung des derzeitigen Bahnhofsareals, dass künftig der Blick aus Richtung Marktplatz/Westfälische Straße ungehindert auf das neue Areal fallen könne. Und da würde der Verwaltungsturm eben stören.
Dabei hat eine „freie Sichtachse“ tatsächlich etwas für sich, was jeder merkt, der derzeit sein Auto auf dem Kurkölner Platz abstellt oder zu Fuß diesen zentralen Punkt der Stadtmitte passiert. Da sind nämlich seit Donnerstag wieder die „Wesselmänner“ zu bewundern. Jene Großplakate, die vor jeder Wahl an vielen Stellen in Deutschland errichtet werden, um im Mega-Format DIN 18/1 (3,56 mal 2,52 Meter) die Botschaften der Parteien der Welt kundzutun. Nun gibt es genügend Stellen, wo das weitgehend störungsfrei möglich ist. Hier in Olpe aber sorgen diese „Wesselmänner“ wochenlang vor jeder Wahl dafür, dass einer der tatsächlich gelungenen Orte der Innenstadt-Neugestaltung dem Blick entzogen wird.
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Die Riesenplakate verdecken die Sicht auf Geschichtsbrunnen, Stadtmauer und Martinuskirche. Insbesondere die unbeklebten, kargen Rückseiten bieten einen gelinde gesagt scheußlichen Anblick, der genau dann ins Auge fällt, wenn der eigentlich so beschauliche Flanierweg durchs Weierhohl gegangen werden soll. Hier wünsche ich sie mir, die freie Sichtachse. Alternativ könnten die „Wesselmänner“ doch rund um den verfallenden Bahnhof aufgestellt werden, hier würden sie vielen Betrachtern die Trauer ersparen, die aufkommt, wenn man das vor wenigen Jahren noch ansehnliche Gebäude niedergehen sieht.