Kreis Olpe. Astrid Wohlrab und Michaela Gangler sind Pflegemütter im Kreis Olpe von betroffenen Kindern mit fetalem Alkoholsyndrom. Das ist ihre Geschichte.

Ein Baby erblickt das Licht der Welt – winzig, klein und unschuldig. Und dann erhalten Eltern nicht immer, aber oftmals schon kurz nach der Entbindung die Diagnose: fetales Alkoholsyndrom. Die Babys werden mit der Entbindung zu trockenen Alkoholikern. Nach der Abnabelung von der leiblichen Mutter durchleben die kleinen Säuglinge einen Entzug. Und warum? Weil die Mamas während ihrer Schwangerschaft Alkohol konsumiert haben. Astrid Wohlrab und Michaela Gangler sind Pflegemütter aus dem Kreis OlpeLöwenmütter von Kindern, die am fetalen Alkoholsyndrom leiden, weil ihre leiblichen Mütter an einer Suchterkrankung litten. Jetzt wollen sie sensibilisieren und auf die Erkrankung ihrer Kinder aufmerksam machen: „Schon minimale Mengen an Alkohol sind schädlich für die Entwicklung eines Kindes.“

Weitere Themen im Kreis Olpe

Fetales Alkoholsyndrom: Astrid Wohlrab und Michaela Gangler kämpfen für ihre Pflegekinder
Die leiblichen Mütter ihrer Pflegekinder haben Alkohol in der Schwangerschaft konsumiert: Astrid Wohlrab (links) und Michaela Gangler (rechts) wollen aufklären und mit ihrer Selbsthilfegruppe Betroffenen mit fetalem Alkoholsyndrom unterstützen.  © WP | Nadine Niederschlag

Astrid Wohlrab (47) aus Gerlingen und Michaela Gangler (48) aus Attendorn leben mit einer besonderen Herausforderung. Ihre Pflegekinder leiden am fetalen Alkoholsyndrom. Eine Diagnose, die in den Köpfen vieler Menschen kaum präsent ist. Und doch gibt es sie. Die Kinder Tobias (20), Sarah (18), Joana (11) und Leo (6) eint das gleiche Schicksal. „Wir sind nicht wütend auf die Mütter oder darüber, was sie mit ihrem Alkoholkonsum angerichtet haben. Wir sind froh, dass uns die Kinder anvertraut wurden, damit wir sie so lange begleiten können, bis sie hoffentlich auf eigenen Beinen stehen können“, berichten die beiden.

Verschiedene Merkmale für das fetale Alkoholsyndrom

Der Weg bis zur Diagnosestellung war steinig und schwer. Ein Weg, den die beiden Mütter niemanden wünschen, gehen zu müssen. „Ich bin so oft an meine Grenzen gegangen und musste von sehr vielen Ärzten hören, dass ich dem Kind Zeit geben müsse und es nicht krank reden soll“, erinnert sich Michaela Gangler. Die Merkmale für das fetale Alkoholsyndrom sind enorm. Nicht nur optisch gesehen, sondern auch auf der Entwicklungsebene. So berichten die beiden Mütter neben den üblichen Symptomen (siehe Infobox) unter anderem von einem Kurzzeitgedächtnis, einem fehlenden Temperaturempfinden, dem Fehlen von alltäglichen Routinen und Fehlstellungen in der Wirbelsäule. Astrid Wohlrab und Michaela Gangler sind Kämpferinnen. Sie lieben ihre Pflegekinder und unterstützen sie auf dem Weg in eine selbstständige Zukunft.

„Die Kinder können nichts dafür, dass ihre Mütter in ihrer Schwangerschaft getrunken haben. Sie müssen aber ihr Leben lang damit leben.“

Michaela Gangler,
Pflegemutter von zwei Kindern mit fetalem Alkoholsyndrom

Beide haben ihre Pflegekinder im Alter von unter drei Jahren zu sich in die Familien aufgenommen und mussten in all den Jahren einen regelrechten Hürdenlauf bewältigen. „Die Kinder können nichts dafür, dass ihre Mütter in ihrer Schwangerschaft getrunken haben. Sie müssen aber ihr Leben lang damit leben“, sagt Michaela Gangler und beschreibt, dass in der heutigen Zeit immer noch Hebammen zum Gläschen Sekt raten und sich nicht bewusst über die Folgen sind. „Wir sind stolz auf unsere Kinder, wünschen uns in der Gesellschaft, gerade von Ärzten, Schulen und Kindergärten mehr Akzeptanz und Verständnis“, sagen die beiden Pflegemütter.

Die WESTFALENPOST im Kreis Olpe ist auch bei WhatsApp. Jetzt hier abonnieren.

Folgen Sie uns auch auf Facebook.

Bestellen Sie hier unseren Newsletter aus dem Kreis Olpe.

Alle News aufs Handy? Jetzt die neue WP-App testen.

Die WP im Kreis Olpe ist jetzt auch bei Instagram.

Das Leben mit einem fetalen Alkoholsyndrom sei wie ein Kampf mit einer unsichtbaren Erkrankung oder Behinderung und bringt die Familien an ihre Grenzen. „Wir haben bitterlich geweint, als wir die Diagnose unseres Sohnes schwarz auf weiß in den Händen hielten. Aber es war auch eine Erleichterung, Anspruch auf eine entsprechende Förderung zu erhalten“, erzählt Michaela Gangler, die gemeinsam mit Astrid Wohlrab an einer Weiterbildung zur FASD-Fachkraft teilgenommen hat, um wie sie es beschreiben „sich selbst zu helfen“. Und nicht nur das: Mit der Gründung der neuen Selbsthilfegruppe wollen sie Betroffene und deren Angehörige unterstützen.

Fetales Alkoholsyndrom

Joachim Füllenbach, Kinderarzt in der Gemeinschaftspraxis Olpe für Kinder und Jugendliche erklärt, dass die Diagnose anhand verschiedener Kriterien erfolgt: Dazu zählen: 1. Alkoholkonsum während der Schwangerschaft, 2. Auffälligkeiten im Gesicht (wie zum Beispiel eine auffällige Augenachse, eingefallene Nasenwurzel, ein kleiner Kopf, schmales Lippenrot, ein hoher Gaumen oder tief sitzende Ohren), 3. Störung des Wachstums, 4. Störungen des Zentralen Nervensystems (ADS, ADHS, Konzentrationsprobleme, Störung des Sozialverhaltens und Weitere). Als Therapie gibt es verschiedene Ansätze: Förderung der betroffenen Kinder, die teilweise unterschiedliche Probleme haben, mit Ergotherapie, Logopädie oder Physiotherapie.

Gründung der Selbsthilfegruppe Fetales Alkoholsyndrom

Schon kleine Mengen an Alkohol in der Schwangerschaft haben große Auswirkungen auf das ganze Leben. Mit der Neugründung der Selbsthilfegruppe „Fetales Alkoholsyndrom“ wollen die Mütter Astrid Wohlrab und Michaela Gangler aufklären, unterstützen, einen Austausch bieten und mit ihren Erfahrungen helfen. Denn sie sind Pflegemütter von betroffenen Kindern mit FASD. Beide haben sich weitergebildet zur FASD-Fachkraft, um mehr Informationen über die Erkrankung ihrer Pflegekinder zu erhalten und sie besser zu verstehen. Die Selbsthilfegruppe richtet sich an Betroffene und Angehörige und startet mit einer Lesung aus dem gemeinsamen Buch „Tim – ein Leben mit dem fetalen Alkoholsyndrom“, in dem er und seine Adoptivmutter Monika über die Höhen und Tiefen und über das Erwachsenwerden sprechen. Die Lesung soll der Auftakt der neuen Selbsthilfegruppe sein und findet statt am Donnerstag, 29. August, um 18 Uhr, im DRK-Mehrgenerationenhaus in Olpe. Nachfolgend trifft sich die Gruppe am Montag, 9. September, um 18.30 Uhr, ebenfalls im DRK-Mehrgenerationenhaus zum gemeinsamen Austausch. Weitere Informationen über die DRK-Selbsthilfe-Kontaktstelle 02761/2643 oder fasd-shg-olpe@web.de.