Herdecke. Beim Blick auf den aktuellen Abriss des Cuno-Schornsteins kommen Erinnerungen hoch. 1984 gab es eine laute Demonstration und heftige Diskussionen.
Mit Emotionen verfolgen manche den derzeit laufenden Abriss der Landmarke Cuno-Schornstein. Hoch her ging es in diesem Zusammenhang auch vor 40 Jahren. Im Herbst 1984 folgte auf eine turbulente Ratssitzung die bis dato größte Demonstration in Herdecke. Nach einem Protestzug mit mehr als 300 Teilnehmenden durch die Innenstadt zum Kraftwerk der damaligen Elektromark (heute Mark-E) stand dann am 30. September auch noch die Kommunalwahl an. Karin Striepen und Peter Gerigk erinnern sich an diese aufgewühlten Zeiten.
Ein Riss durch Herdecke
„Das war damals eines der größten Streitthemen, die es jemals in Herdecke gab“, meint Peter Gerigk, der 1984 in führender Position Stellung bezog. Bis 1982 war der Lehrer und Lokalpolitiker Mitglied der FDP, ehe er zu den Grünen wechselte. Die zogen zwei Jahre später erstmals in den Rat ein. Dort regierte die SPD um Bürgermeister Knauer lange mit absoluter Mehrheit. „Wir haben dann einige Wähler an die Grünen verloren, Umweltschutz-Themen standen bei uns in den 1980-er Jahren noch nicht so im Fokus“, sagt Karin Striepen, die seit 1981 der sozialdemokratischen Fraktion angehört.
„Das geschah ja zu einer Zeit, als man die Wäsche nicht nach draußen hängen konnte.“
Angesichts von rund 40 Jahren Abstand gilt es, den damaligen Zeitgeist mit Schlagworten zu erfassen: Ölkrise, Waldsterben und Gesundheitssorgen auf der einen Seite, andererseits befürchteten manche womöglich einen Abbau von Arbeitsplätzen im Kraftwerk der Elektromark. Das Versorgungsunternehmen wiederum beschäftigte die Herdecker Politik damals mit dem Vorhaben, die Anlage am Harkortsee auf eine Kohlebefeuerung umzustellen. Größtes Streitthema damals: Angesichts der Angst vor CO2-Ausstößen und vermehrtem Dreck in der Luft sollten sich die Verantwortlichen zugleich um eine Entschwefelung an der Wetterstraße kümmern. „Im Rat haben wir uns damals schon intensiv mit der Genehmigung beschäftigt und haben uns vergleichbare Anlagen in anderen Städten angeschaut“, erinnert sich Striepen und holt alte Unterlagen hervor.
Entschwefelungsanlage als Zankapfel
Die Elektromark wollte eine sogenannte Rauchgasentschwefelungsanlage (REA) erst nach der Kohle-Umstellung am Cuno-Kraftwerk installieren. Der Kompromiss: Die Beteiligten einigten sich im Laufe der Gespräche auch nach Absprache mit dem Gewerbeaufsichtsamt auf ein gleichzeitiges Vorgehen. „Das geschah ja zu einer Zeit, als man die Wäsche nicht nach draußen hängen konnte, weil die wegen der schlechten Luft gleich wieder dreckig wurde“, so die SPD-Ratsfrau. Peter Gerigk wiederum stellte sich an die Spitze der Protestbewegung, die auf das Versorgungsunternehmen Druck ausüben wollte.
„Es ging damals heiß her, sowohl in der Politik als auch in der Bürgerschaft.“
Als politischer Einzelkämpfer im damaligen Rat der Stadt Herdecke musste Gerigk „viele persönliche Angriffe einstecken, es gab einige Bedrohungen und Kontakt mit der Polizeit“. Dennoch interessierten sich beispielsweise auch die Grünen aus Dortmund und Hagen für die Vorgänge in der benachbarten Kleinstadt. Sie warben mit Schlagwörtern wie „Cuno muss nicht stinken“ auf Flugblättern. „Das lag an der Sorge vor dem Dreck aus dem Kraftwerk am Harkortsee.“ Auf der anderen Seite traten die Angestellten der Elektromark für die Interessen ihres Arbeitgebers ein und kamen zahlreich am 13. September 1984 in den Ratssaal. „Da ging es heiß her, es gab unglaublich viele Zwischenrufe, Bürgermeister Knauer hatte das Geschehen als Sitzungsleiter nicht unter Kontrolle“, so Peter Gerigk.
Knapp eine Woche später sollte sich dann an einem Samstag ein Demonstrationszug am Bleichstein formieren, um lautstark für eine Entschwefelungsanlage am Cuno-Kraftwerk zu protestieren. Herdecke ließ sich in jenem Herbst in zwei Lager trennen. Hier die meist jungen Protestierenden als Umweltschützer, dem gegenüber jene, die bei dieser Kundgebung Krawall und Chaos befürchteten. Mit Sprüchen wie „Nicht schwafeln, entschwefeln!“ oder „Hugo Knauer, die Wälder werden sauer“ zogen dann etwas mehr als 300 Leute (einige mit dunkel angemalten Gesichtern als Sorge vor dem Industrie-Dreck) durch die Innenstadt bis zur Anlage am Harkortsee. Dort ertönte dann das Steigerlied, alles blieb trotz mancher Befürchtungen friedlich. Zur Gruppe, die Peter Gerigk per Lautsprecher anführte, gehörte unter anderem auch Matthias Mellinghaus, der 1988 in Seoul Ruder-Olympiasieger werden sollte. Im Nachgang stand aber ein Auszubildender der Elektromark im Fokus, der an der Demo teilnahm und dann die Kündigung von seinem Arbeitgeber erhielt.
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Die SPD wiederum machte im Wahlkampf Stimmung gegen die Grünen als vermeintliche Chaoten und fragte auf Flugblättern mit Fotos der dunkel geschminkten Demonstranten: „Wollen Sie denen das Schicksal unserer Stadt anvertrauen?“ Gleichwohl zog die Umwelt-Partei, die bei dem Protestzug zuvor auch Unterstützung von der damaligen Unabhängigen Wählergemeinschaft (UWG) erhalten hatte, in jenem Herbst in den Rat ein. Während die Rauchgasentschwefelungsanlage 1987 in Betrieb ging, entstand zuvor daneben der Cuno-Schornstein. Der geriet weniger in den Blickpunkt. „Den haben wir eher positiv gesehen, weil sich die Elektromark durch den Bau ja offenbar um den entstehenden Dreck im Kraftwerk kümmerte“, so Karin Striepen.
Weiterer Ärger 1987
Nach diesen turbulenten Tagen im Herbst vor 40 Jahren kehrte wieder Ruhe ins beschauliche Herdecke ein. 1987 erfuhr die Lokalpolitik jedoch aus Unterlagen der Elektromark, dass diese ihr Versprechen aus 1984 nicht gehalten hatte und es zu keiner Halbierung der Emissionen am Cuno-Kraftwerk gekommen war.