Herdecke. Schreie von Patienten Auslöser für Prüfung: Stadt Herdecke hat sich mit der Haltung „andere Nutzung, neuer Nutzungsantrag“ durchgesetzt.

Schreie von Bewohnern der ehemaligen Senioreneinrichtung am Herdecker Nacken sorgten im Sommer vorigen Jahres für Aufregung. Sie gehörten zum Krankheitsbild von Chorea-Huntington-Patienten, die in der von der Evangelischen Stiftung Volmarstein (ESV) übernommenen Einrichtung eingezogen waren. Die ESV sah keine Notwendigkeit für einen Nutzungsänderungsantrag. Die Stadt schon. Jetzt hat ESV-Alleinvorstand Markus Bachmann angekündigt: „Der Antrag wird gestellt.“

Damit hat ein Tauziehen ein Ende gefunden, das sich über Monate erstreckt hat. Verbunden war es mit massiven Angriffen gegen die Stadt Herdecke, aber auch Ängsten von Bewohnern des nun Vitus Höhe genannten Heims, sie müssten möglicherweise wieder ausziehen. Statt einer solchen Aufforderung der Stadt gibt sich zumindest die Verwaltung mit einer nachträglichen Korrektur zufrieden. Für Bürgermeisterin Dr. Katja Strauss-Köster ist klar: „Die ESV ist ein seriöser und guter Arbeitgeber.“

Retter nach Convivo-Aus

Die Stiftung war zum Retter nahezu aller Herdecker Senioreneinrichtungen geworden, als vor knapp zwei Jahren Convivo als Alleinanbieter von Betreuungsangeboten in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckte und schließlich die Segel streichen musste. Nur für das Altenzentrum in Kirchende fand sich kein neuer Betreiber, und den Convivo-Park an der Goethestraße übernahm der Vermieter. Das Seniorenhaus in der Ruhraue und zwei fast fertige Häuser an der Goethestraße betreibt jetzt die ESV, ebenso die ehemalige Parkanlage Nacken, hier nur mit anderen Bewohnern.

„Die ESV ist ein seriöser und guter Arbeitgeber.“

Dr. Katja Strauss-Köster
Bürgermeisterin in Herdecke, zur Erklärung, warum die Stadt nicht auf einen Konfrontationskurs mit der Stiftung setzt

Die Senioren vom Nacken sind geschlossen an die Goethestraße umgezogen. An den Nacken wechselten die Bewohner vom Haus Bethanien in Volmarstein, das saniert werden muss. Betreut werden schwerere Fälle, und nach dem Einzug am Nacken letzten Sommer verunsicherten laute Schreie von Patienten die Anwohner. Die Bürgermeisterin und Vertreter aus den Ratsparteien trafen sich mit verstörten Anwohnern vor Ort. Schnell kam die Frage auf, ob die ESV die andere Nutzung gegenüber der Stadt nicht habe anzeigen müssen. Bei der Heimaufsicht wurde das verneint: Die Genehmigung für Altenpflege decke auch die „Spezialpflege“ der ESV. Die Stadtverwaltung dagegen beharrte darauf, dass auch das Baurecht beachtet werden müsse.

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Die ESV wies das von sich. Christina Bösken, bei der Stiftung zuständig für die Spezialpflege, warf im Sozialausschuss der Verwaltung vor, sich völlig vergalopiert zu haben und äußerte den Eindruck, „dass Inklusion in Herdecke einfach kein Begriff ist.“ Markus Bachmann stellt nach Monaten der rechtlichen Klärung nun fest, „dass die Fomulierung mit dem Vergaloppieren nicht glücklich war.“ Beim Gespräch mit der Bürgermeisterin, dem Chef der Bauverwaltung und dem städtischen Rechtsexperten geht er noch einen Schritt weiter: „Dafür müssen wir uns entschuldigen.“

„Die Formulierung mit dem Vergaloppieren war nicht glücklich.“

Markus Bachmann,
Vorstand der ESV, über frühere Äußerungen im Herdecker Sozialausschuss

Bei der Übernahme gleich mehrerer Häuser von Convivo in Herdecke sei die ESV vielfach gefordert gewesen. Um Insolvenzrecht sei es gegangen, um fachliche Fragen bei der Betreuung und Unterbringen ebenso. Und das alles unter einem immensen zeitlichen Druck. Im Nachgang habe der Austausch rechtlicher Auffassungen zu der Erkenntnis geführt, „dass es eine Diskrepanz zwischen Leistungsrecht und Baurecht gibt.“ Wie eng dabei das Baurecht gefasst sei, habe man bei der Stiftung nicht gewusst.

Weitere Auflagen sind denkbar

Nun wartet die Stadt Herdecke, dass der Änderungsantrag für die Nutzung bei ihr eingeht. Schon für das zunächst vom GVS betriebene Seniorenheim am Nacken gab es eine Befreiung vom Bebauungsplan. So könnte es vom Verfahren her auch bei der Spezialpflege der ESV kommen. Die Stadt kann dabei zahlreiche Auflagen machen. Bisher schon hat die ESV Bewohner intern verlegt oder bei Veranstaltungen den Kontakt zu den Nachbarn gesucht. Aber noch mehr ist denkbar, „damit Wohnen neben der Einrichtung funktionieren kann“, so der städtische Rechtsexperte Dr. Lars Heismann.

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Seit Monaten habe es keine Beschwerden von Anwohnern gegeben, heißt es bei der Stadt wie bei der ESV. „Die Menschen sind angekommen“, stellt Astrid Nonn, Pressesprecherin der ESV fest. Nicht generell das Krankheitsbild der Chorea-Huntington-Patienten hatte vor einem Jahr die Schreie erklärt. Verstärkt wurde das Lautieren durch den besonderen Stress, der für die Kranken mit dem Umzug verbunden war. Mittlerweile scheint die neue Umgebung Gewohnheit geworden zu sein.

Für die Stadt bleibt das Nutzungsänderungsverfahren dennoch unabdingbar. Am Ende werde es „den Bewohnern mehr Sicherheit für ihr Bleiben geben“, zeigt sich die Bürgermeisterin überzeugt. Entscheiden muss über die wie auch immer ausgekleidete Befreiung die Politik.