Herdecke. Seit der Übernahme des ehemaligen Seniorenheims herrscht Uneinigkeit. Die Stadt Herdecke bezweifelt, dass das Baurecht eingehalten wurde.

Als im Sommer vorigen Jahres Anwohner wegen Patienten-Schreien aus der ehemaligen Parkanlage Nacken nicht mehr ruhig schlafen konnten und auch sonst immer wieder aufgeschreckt wurden, brachte die Stadt Herdecke formale Überlegungen ins Spiel: Die Evangelische Stiftung Volmarstein hatte Bewohner mit erhöhtem Betreuungsbedarf in der ehemaligen Senioreneinrichtung von Convivo untergebracht. Hätte die ESV eine Umnutzung anzeigen oder gar beantragen müssen? Seit August ist die Stadt mit der Prüfung dieser Frage beschäftigt. Mittlerweile hat sie ein Anhörungsverfahren auf den Weg gebracht: „Verfahrenszweck“, so die Aussage aus dem Rathaus, „ist es, festzustellen, ob die momentan durchgeführten Nutzungen mit der bestehenden Baugenehmigung übereinstimmen.“

Für den Kreis ist alles rechtens

Aus Sicht der zuständigen Heimaufsicht war das von Anfang an keine Frage. Bei der Einrichtung am Nacken, die seit der Übernahme durch die ESV Vitus-Höhe heißt, handelt es sich aus Sicht des Ennepe-Ruhr-Kreises um eine „Einrichtung mit umfassendem Leistungsangebot.“ Solche Einrichtungen hätten den Zweck, ältere oder pflegebedürftige Menschen oder Menschen mit Behinderungen aufzunehmen. Hierunter falle auch das Krankheitsbild Chorea-Huntington. Zahlreiche Bewohner mit dieser Erkrankung, zu der phasenweise auch hilflose Schreie gehören, hat die ESV am Nacken untergebracht. „Einer besonderen Zustimmung durch die Aufsichtsbehörden bedarf es nicht“, so der Kreis im Sommer auf Anfrage der Redaktion.

Die ESV selbst spricht von einer Spezialpflegeeinrichtung. Mit ihr ist sie komplett vom Haus Bethanien in Volmarstein, das umfassend saniert werden muss, zum Nacken gezogen. Auch dieser Begriff macht aus Sicht der Heimaufsicht kein Problem: Nach dem Wohn- und Teilhabegesetz gebe es zwischen der klassischen Senioreneinrichtung und einer Spezialpflegeeinrichtung keinen Unterschied: „Die gesetzlichen Anforderungen werden in der Vitus-Höhe erfüllt.“ Die Stadt Herdecke hat aber dennoch schon beim ersten Gespräch vor Ort mit aufgebrachten Anwohnern baurechtliche Zweifel an der Umnutzung durch die ESV angemeldet. Im Herbst erläuterte Rechtsdezernent Dr. Lars Heismann die Bedenken. Einen Zwischenstand der Prüfung gab es damals noch nicht, und auch jetzt ist er bei der Stadtverwaltung nicht zu erfahren. Sie verweist auf die fortlaufende fachanwältliche Beratung und das eingeleitete Verfahren.

Spezialpflege am Nacken als Dauerlösung

Von Seiten der Verwaltung und auch aus der Politik war nicht nur infrage gestellt worden, ob die ESV möglicherweise am Baurecht vorbei ihre Spezialpflege von Volmarstein nach Herdecke verpflanzt hatte. Weder die Dimension der Erkrankungen bei den neuen Bewohnern sei deutlich gemacht worden noch die Absicht, die Wohngruppe dauerhaft am Nacken anzusiedeln. Zumindest in den Informationen für die Presse hatte die ESV aber bereits Monate vor dem Ärger wegen der Schreie erklärt, dass 48 Menschen mit Chorea Huntington, 36 Senioren mit schwersten Behinderungen und zwölf Personen mit extremer Adipositas zum Nacken umziehen würden. Bereits im April hatte die ESV der Redaktion gegenüber erklärt: Der Umzug „ist keine Übergangslösung, sondern eine Dauerlösung für die Spezialpflege.“

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Die Stiftung bestätigt den Eingang des städtischen Schreibens beim Vermieter. Ansonsten bleibt sie bei ihrer Sicht der Dinge. Bereits im September im Sozialausschuss hatte Christina Bösken, bei der ESV verantwortlich für die Spezialpflege, kämpferisch erklärt: „Ich kann nicht verstehen, wie die Stadt Herdecke sich mit einem Prüfauftrag bei klarer Gesetzgebung so vergaloppieren kann.“