Herdecke. Schreie von Chorea-Huntington-Patienten waren der Auslöser: Seit über einem Jahr prüft die Stadt Herdecke mögliche Formfehler der ESV.
Im Sommer vor einem Jahr sahen sich Nachbarn der früheren Seniorenanlage am Nacken von Schreien der Patienten verfolgt. Von einer unzumutbaren Belastung war im Gespräch der Politiker mit Anwohnern die Rede, und bei der politischen Beratung griff die Verwaltung die Frage auf, ob die Evangelische Stiftung Volmarstein (ESV) als neuer Betreiber eine Nutzungsänderung hätte mitteilen müssen. Zum Stand oder Ausgang des Prüfverfahrens aber hält sich die Stadt weiterhin bedeckt.
Die ESV hatte aus der Insolvenzmasse des Convivo-Konzerns die ehemalige Senioreneinrichtung übernommen. Die Bewohner vom Nacken zogen geschlossen ins frisch fertiggestellte Seniorenheim an der Goethestraße 20 um. Die ESV benannte die Einrichtung in Vitus-Höhe um und siedelte die Bewohner aus dem Haus Bethanien in Volmarstein dauerhaft am Nacken an. Alle Bewohner haben einen besonderen Pflegebedarf, viele von ihnen leiden an Chorea Huntington. Die Krankheit kann in ihrem Verlauf mit einer Schrei-Phase verbunden sein.
Nutzungsänderung oder nicht?
Im Herdecker Rathaus wurde kritisiert, dass die ESV nicht frühzeitig klar gemacht habe, was unter der beabsichtigten „Spezialpflege“ zu verstehen sei. Auch sei nicht klar gesagt worden, dass es sich bei dem Umzug der schweren Pflegefälle um eine Dauerlösung handele. Christina Bösken, bei der ESV für die Spezialpflege verantwortlich, stellte in einer Sitzung mit Politikerinnen und Politikern für die Stiftung klar: Arglistige Täuschung liege ebenso wenig vor wie ein Verstoß gegen Recht. Dabei geht es um die neue Nutzung und nötige Genehmigungen dafür.
„Uns haben keine weiteren Beschwerden aus der Bürgerschaft erreicht.“
Die Heimaufsicht beim Kreis hatte auf Nachfrage der Lokalredaktion zwar schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt erklärt, dass die neue Nutzung weiter durch die vorigen Genehmigungen gedeckt sei. Wörtlich hieß es aus dem Kreishaus: „Nach dem Wohn- und Teilhabegesetz NRW gibt es zwischen der klassischen Senioreneinrichtung und einer Spezialpflegeeinrichtung keinen Unterschied.“ Die Verwaltung meldete dennoch Bedenken aus baurechtlicher Sicht an. Hier müsse geprüft werden, ob womöglich Änderungen unzulässigerweise nicht angezeigt worden seien.
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Christina Bösken teilte im Sozialausschuss kräftig aus. Bei Bewohnern und Betreuern sei der Eindruck entstanden, „dass die Stadt uns wieder verjagen wollte und die Inklusion in Herdecke einfach kein Begriff ist“, so Bösken im September letzten Jahres. Der Stadt warf sie vor, nur „an einer einseitigen Darstellung interessiert“ zu sein. Auch könne sie nicht verstehen, wie „die Stadt Herdecke sich mit einem Prüfauftrag bei klarer Gesetzgebung so vergaloppieren kann.“
Begegnungen mit den Bewohnern
Mittlerweile scheinen die Wogen in vielfacher Hinsicht geglättet. Bewohner, von denen die krankheitsbedingten Schreie ausgehen könnten, zogen innerhalb der Vitus-Höhe um. Bei Veranstaltungen konnten sich Politiker und Anwohner ein Bild von der Einrichtung und ihren Bewohnern machen. „Uns haben keine weiteren Beschwerden aus der Bürgerschaft erreicht“, heißt es in einer aktuellen Antwort der Evangelischen Stiftung Volmarstein auf eine Nachfrage der Redaktion.
Zu Jahresbeginn hatte die Stadt Herdecke erklärt, dass es nun ein Anhörungsverfahren gebe. Die ESV als Betreiber der Vitus-Höhe sei um Stellungnahme gebeten. Zum aktuellen Verfahrensstand heißt es über ein halbes Jahr später bei der ESV: „Gemeinsam mit dem Eigentümer der Vitus-Höhe befinden wir uns weiterhin im Austausch mit der Stadt Herdecke. Eine Entscheidung ist bisher noch nicht gefallen.“
Diesen Austausch bestätigt auch die Herdecker Stadtverwaltung. Was die Prüfung so schwierig mache und was denn genau zu überprüfen ist – Antworten auf diese Fragen gibt die Stadt nicht. Sobald es neue Erkenntnisse gebe, werde der zuständige Ausschuss informiert, heißt es. Eine Einschätzung, wann das der Fall sein werde, könne derzeit nicht gegeben werden.