Wetter/Herdecke. Die Evangelische Stiftung Volmarstein setzt auf Vielfalt und Vernetzung. Das hat Herdecker Senioren vor einer Katastrophe bewahrt.
Bei der Übernahme durch die Evangelische Stiftung Volmarstein vor ziemlich genau einem Jahr waren alle Seniorenhäuser von Convivo in den roten Zahlen. Mittlerweile stehen das Seniorenhaus in der Ruhraue und die Vitushöhe (die frühere Parkanlage Nacken) „wirtschaftlich wieder gut da“, so ESV-Vorstand Markus Bachmann bei der Vorstellung der Zahlen für das vergangene Geschäftsjahr. Das gilt auch für die beiden Häuser an der Goethestraße, die erst nach der Übernahme an den Start gegangen sind.
Durch die Übernahme von rund 300 Beschäftigten von Convivo in Herdecke ist die Zahl der Beschäftigten bei der ESV noch einmal kräftig gestiegen. Sie liegt aktuell bei rund 4400. Darin enthalten sind auch die Beschäftigten der ehemaligen Seniorenresidenz Volmarstein. Für sie war im vergangenen Jahr ebenfalls Insolvenz angemeldet worden. Die Evangelische Stiftung übernahm und nannte sie nach dem früheren Bürgermeister von Wetter in Ulrich-Schmidt-Haus um. Insbesondere Herdecke „passte in unsere Strategie vernetzter regionaler Versorgung“, so Markus Bachmann.
Im Zuge des bundesweiten Insolvenzverfahrens von Convivo war zutage getreten, dass die Auslastung an vielen Standorten äußerst schwach war. Nicht so in Herdecke. Hier fehlten nur wenige Prozentpunkte bis zur völligen Auslastung, und dennoch haben das Seniorenhaus Ruhraue und die Parkanlage am Nacken ein Defizit erwirtschaftet. Markus Bachmann nennt Gründe: Der Anteil teurer Leiharbeitskräfte in der Pflege war äußerst hoch und ist nun drastisch heruntergegangen. Das Essen war teuer bezahlt. Vor allem aber die Mietzahlungen an die Vermieter der Heime drückten wirtschaftlich die Luft ab. Hier hat die ESV neu verhandelt und vom stark renovierungsbedürftigen Seniorenhaus in Kirchende gleich die Finger gelassen.
Fremdpersonal schlägt stark zu Buche
Convivo war bis dahin alleiniger Anbieter von Pflegeheimplätzen in Herdecke. Die Übernahme der Standorte bis auf Kirchende und Convivo Park in der Innenstadt war in einem Jahr zu entscheiden, das die Evangelische Stiftung Volmarstein auch sonst vor große Herausforderungen gestellt hat. Die ersten Monate waren noch Pandemiezeit, der Krieg Russlands mit der Ukraine ging weiter und sorgte in der Konsequenz für eine große Geldentwertung, die Auseinandersetzung in Nahost kamen hinzu. Kräftige Gehaltserhöhungen auch zum Inflationsausgeich „haben bei uns zu erheblichen Schwierigkeiten geführt“, erklärt Markus Bachmann.
Zu den großen Entwicklungen gesellten sich die Probleme des Fachkräftemangels, der die Pflegebranche besonders hart trifft. Auch wenn es im Seniorenhaus Ruhraue aktuell ohne Leiharbeiter geht: Bei der ESV insgesamt spielen Arbeitskräfte, die über einen Personalservice beschäftigt sind, eine große Rolle. Rund 13 Millionen Euro wurden im vorigen Jahr an Fremdpersonal gezahlt bei rund 210 Millionen Euro Personalkosten insgesamt. Bis zu 40 Prozent mehr kostet eine Hilfskraft, die über eine Fremdfirma beschäftigt ist, bei einer Fachkraft auf der Intensivstation schnell auch einmal 100 Prozent mehr. Eine Refinanzierung der Mehrkosten gibt es nicht. Die Stiftung ist trotzdem froh, ihr Personalproblem auf diese Weise lösen zu können und hat auch ihre Anstrengungen verstärkt, ihr Personal selbst anzubilden. Knapp 50 Azubis fangen Jahr für Jahr bei ihr an.
Seit 120 Jahren verankert in der Region
Die Evangelische Stiftung Volmarstein feiert in diesem Jahr ihren 120. Geburtstag.
Verankert war das „Krüppelheim“, wie Heime der Behindertenhilfe früher allenthalben hießen, in Volmarstein und Hagen.
Mittlerweile ist das Kerngebiet der Stiftung auch auf Gevelsberg oder Herdecke ausgedehnt worden.
Zur ESV zählt eine große Vielfalt von Einrichtungen von der Kita bis zum Seniorenheim, vom Krankenhaus bis zur Spezialpflege.
Im vergangenen Jahr wurde der Umsatz noch einmal um 7 Prozent auf 370 Millionen Euro gesteigert.
Um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben, setzt die ESV vor allem auf Flexibilität bei der Arbeitszeit. Das gilt mittlerweile sogar für den Schichtdienst. Versuche in der Vitushöhe in Herdecke seien erfolgreich gelaufen. „Das Angebot ist für die Beschäftigten verlockend“, so Markus Bachmann, das Ziel einer höheren Zufriedenheit erreicht, bekräftigt Stiftungsvorstand Hans-Peter Rapp-Frick. Gebraucht werden Mitarbeitende mehr denn je. Den Mangel beim Personal einfach durch ein paar Schließungstage mehr abzufangen wie in der Gastronomie ginge in der Betreuung von Menschen nun mal nicht, heißt es an der ESV-Spitze.
In der Pandemie-Zeit habe es die Vermutung gegeben, nach einem Abklingen der Corona-Infizierungen würde die Zahl der Patienten hinter früheren Zahlen zurück bleiben. Weit gefehlt: Die orthopädische Klinik auf dem Stiftungsgelände in Volmarstein verzeichnet von 2019 bis 2023 eine Leistungsseigerung um 6 Prozent, die sich noch einmal erhöhen dürfte, so Frank Bessler, Ärztlicher Leiter im Geschäftsbereich Medizin der ESV. Zu der Steigerung beigetragen hat auch die Schließung des Klinik-Standortes Dortmund vor einem Jahr. Rund zwei Drittel der 125 Beschäftigten der Ortho-Klinik seien nach Volmarstein gewechselt. Frank Bessler: „Ganze Stationen haben in Volmarstein wieder angefangen.“
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Während die Stiftung künftig noch stärker auf Gereatrie setzen möchte, hat sie ihr Angebot von Demenz-WGs wegen fehlender Wirtschaftlichkeit eingedampft. Vier der WGs sind mittlerweile von anderen Trägern übernommen, fünf geschlossen. Geblieben ist allerdings das Angebot in Alt-Wetter. Zwar gebe es weiter einige Bereiche, die sich nicht vollständig finanzieren würden. Nach einer breiten Diskussion auch im Stiftungsrat hätten bei den Demenz-WGs schließlich die wirtschaftlichen Zwänge überwogen, so Hans-Peter Rapp-Frick.