Wetter. Tibet, die Band, die einst die Scorpions in den Schatten stellte, plant ein Comeback mit neuen Aufnahmen. Produziert werden die in Grundschöttel.

Die Wohnung im beschaulichen Grundschöttel ist überaus gemütlich eingerichtet. Entspannt sitzen die Eheleute auf der Couch. Von der wenig befahrenen Seitenstraße dringt kaum Lärm nach oben. Die Markise auf dem Balkon ist gegen die Sonne ausgefahren. Eine kleine Idylle. Nichts deutet darauf hin, dass hier jemand wohnt, der Mitglied in einer erfolgreichen Rockband ist – und das seit 53 Jahren.

Umstieg aufs Schlagzeug

Fred Teske lächelt, als er sich an die Gründungszeit der Rockgruppe Tibet erinnert. „Ich habe mit 14 Jahren angefangen, Gitarre zu spielen“, erzählt er. Damals lebte er noch in Werdohl und ging dort zur Schule. Er baute sein Abitur und wurde danach zur Bundeswehr eingezogen. Irgendwann meldete sich ein alter Schulfreund. Jürgen Krutzsch spielte selbst Gitarre und wollte eine Band gründen, die nur selbst geschriebene Stücke spielt. „Ich bin dann aufs Schlagzeug umgestiegen“, sagt Teske wie ganz selbstverständlich. Sänger, Keyboarder und Bassist kamen im Laufe der Zeit dazu und schon war die Band komplett. Das war im Jahr 1971.

Geprobt wurde im Schrottkeller in Werdohl. Die Jugendeinrichtung der Stadt gibt es heute noch. Bereits damals wagten dort Nachwuchsbands ihre ersten Auftritte vor Publikum. Für die Band Tibet blieb es aber nicht dabei. Sie wurden immer bekannter, ihre Songs beliebter und schon bald tourten sie bundesweit durch die Städte. „Wir sind bald mit den anderen Rockgruppen, wie Grobschnitt, Franz K., Eloy, Jane und wie sie alle hießen durch sämtliche Spielstätten Deutschlands gezogen“, erinnert sich Gitarrist Jürgen Krutzsch. „Wir haben später erfahren, dass wir sogar bei einem der ganz frühen Auftritte von Herbert Grönemeyer - damals noch mit der Band Ocean - dabei waren“, erzählt Teske und schmunzelt.

Für Werbeaufnahmen geht es für die Band in ungewöhnliche Locations, wie beispielsweise hier in ein Schaufenster. Die Aufnahmen gestalten sich schwierig, denn immer wieder bricht die Band in Gelächter aus. 
Für Werbeaufnahmen geht es für die Band in ungewöhnliche Locations, wie beispielsweise hier in ein Schaufenster. Die Aufnahmen gestalten sich schwierig, denn immer wieder bricht die Band in Gelächter aus.  © WP | Privat

Und noch ein großer Name befindet sich unter den Bands, die Tibet begleitet haben: die Scorpions. Während letztere noch immer auf den Bühnen weltweit unterwegs sind, gab das Publikum Mitte der 70er-Jahre der Band Tibet den Vorzug. Darüber berichtete sogar die damalige Tageszeitung. „Als die Scorpions kamen, flüchteten die Zuschauer“ lautete die Schlagzeile. Fred Teske erklärt: „Wir sind damals ebenso wie die Band Kraan dort aufgetreten. Das Publikum kannte uns und wusste, welche Musik es von uns zu erwarten hatte. Dann kamen die Scorpions auf die Bühne und ihr Sound war so laut, dass die Zuhörer aus dem Saal flüchteten. Das waren sie damals nicht gewohnt.“

Die Zeitung berichtet über einen Auftritt der Band Tibet, die gemeinsam mit Kraan als Vorband von den Scorpions auftrat. Als der heute weltweit bekannte Headliner die Bühne betritt, ist die Musik so laut, dass die Zuschauer bei den Scorpions aus dem Saal flüchten. 
Die Zeitung berichtet über einen Auftritt der Band Tibet, die gemeinsam mit Kraan als Vorband von den Scorpions auftrat. Als der heute weltweit bekannte Headliner die Bühne betritt, ist die Musik so laut, dass die Zuschauer bei den Scorpions aus dem Saal flüchten.  © WP | Privat

Vor Tibet hingegen flüchtete niemand. Im Gegenteil. Die Band wurde immer bekannter und beliebter. Sogar im damals neuen und inzwischen legendären Star-Club in Hamburg traten sie auf. Ihre Musik blieb auch im Ausland nicht unbemerkt. 1974 spielten sie das erste Mal in England auf dem Windsor-Festival und das, obwohl zuvor das Bundeskriminalamt angerufen und vor dem Auftritt gewarnt hatte. „Damals hieß es, dass die Polizei das Festival auflösen wollte“, erinnert sich Teske. Die Band ließ sich davon nicht abhalten und reiste dennoch ins Königreich. An ihrem Bulli bauten sie ihre eigene Bühne auf und spielten. Danach machten sie sich schnell auf den Rückweg. Das war auch gut so. Denn nur wenige Minuten danach löste die britische Polizei das Festival tatsächlich auf.

Watchfield-Festival

Das hinderte Tibet jedoch nicht daran, auch im nächsten Jahr wieder nach England zu fahren. Diesmal sogar hochoffiziell, denn sie waren für einen Gig in der Partnerstadt von Werdohl gebucht worden. Einmal in Großbritannien nutzte die Band die Gelegenheit und nahm am Watchfield-Festival teil. „Das war schon ganz groß, wie Festivals heutzutage auch sind, mit drei Bühnen über den Flugplatz verteilt“, erinnert sich der ehemalige Schlagzeuger.

Tibet 1979 auf dem Titel eines Musikmagazins, mit Interimssänger Richard Hagel (2.v.l.) und Schlagzeuger Fred Teske (2.v.r.).
Tibet 1979 auf dem Titel eines Musikmagazins, mit Interimssänger Richard Hagel (2.v.l.) und Schlagzeuger Fred Teske (2.v.r.). © WP | Privat

„Es herrschte eine tolle Atmosphäre. Als wir um 20 Uhr anfingen, ging gegenüber gerade der Mond auf. 150 Leute saßen vor unserer Bühne, und wir haben einfach angefangen zu spielen. Wir waren schon was Besonderes für das Publikum, denn wir waren eine der ersten Bands, die sogar eine Lichtshow passend zur Musik auf einer Leinwand hinter uns hatten“, berichtet Teske. „Wir haben unheimlich Gas gegeben auf der Bühne“, erinnert er sich. Als die Band ihren Auftritt beendet, haben sich laut Veranstalter rund 10.000 Leute vor der Bühne eingefunden. „Selbst die Roadies hinter der Bühne haben geklatscht. Damals wussten wir das noch nicht einzuordnen, bis man uns erklärte, dass die Roadies schon alles gehört haben und wenn selbst die klatschten, es ein richtig gutes Konzert gewesen sein muss“, berichtet Teske im Nachhinein stolz.

Das Plakat kündigt den Auftritt der Band beim Hot Stuff Festival im legendären Star-Club Hamburg an. 
Das Plakat kündigt den Auftritt der Band beim Hot Stuff Festival im legendären Star-Club Hamburg an.  © WP | Privat

Doch nicht alle Auftritte verliefen so grandios, wie dieser in England. „Wir haben kurz darauf in Frankfurt gespielt. Da waren gerade einmal sieben Leute“, erinnert sich Teske. Doch natürlich hat die Band auch da ordentlich abgeliefert. Schließlich bekamen sie Geld für den Auftritt. „Immer, wenn wir etwas Geld zur Verfügung hatten, sind wir damit ins Studio gegangen und haben Aufnahmen gemacht“, berichtet Teske. Dabei herausgekommen, ist im Jahr 1978 die LP „Tibet“. „Eine bekannte Plattenfirma veröffentlichte das Album, was inzwischen mehrfach auch als CD oder als Coloured Vinyl neu aufgelegt wurde, unter anderem auch in Frankreich, Japan und Russland“, berichtet Krutzsch. Es ist das einzige Studioalbum der gleichnamigen Band bis heute. „1980 hatten wir unseren letzten Auftritt in Essen. Danach haben wir uns wegen einiger Unstimmigkeiten, die aber nicht innerhalb der Band waren, aufgelöst“, so Teske.

Das Cover der bisher einzigen Langspielplatte der Band. Mit der Gestaltung hat Tibet sogar Preise gewonnen. 
Das Cover der bisher einzigen Langspielplatte der Band. Mit der Gestaltung hat Tibet sogar Preise gewonnen.  © WP | Privat

Das Ende einer Ära? Zeitweilig. Im vergangenen Jahr hat eine andere Plattenfirma sich bei der Gruppe gemeldet. „Es waren Aufnahmen gefunden worden, die 1975 bei einem Festival in Porta Westfalica aufgenommen worden waren und von denen nicht mal wir etwas gewusst haben. Für ein Tonband, das nach fast einem halben Jahrhundert eher im Museum vermutet werden könnte, war die Aufnahmequalität erstaunlich gut“, weiß Krutzsch begeistert zu berichten.

Auftrittsangebot aus Mexiko

Eroc, einstiger Schlagzeuger der Hagener Gruppe Grobschnitt und heute als Ton-Optimierer weltweit gefragt, hat die Aufnahmen in seinem Studio in Breckerfeld restauriert und digitalisiert. Sehr zur Freude alter und bald auch neuer Fans, konnte das Frühwerk der Gruppe Anfang August als CD (Tibet Porta Westfalica 1975) veröffentlicht werden, und zwar in Deutschland und gleichzeitig in Japan. Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand in der Band, welche Wellen das schlagen würde. „Aus Brasilien kam die Anfrage für ein Feature in einem brasilianischen Musikmagazin, aus Mexiko kam gar ein Auftrittsangebot und gerade gestern kam eine Interviewanfrage aus Slowenien“, erzählt Krutzsch. „Es läuft wieder!“

Schlagzeuger Fred Teske (Mitte) zeigt die neue CD. Links Keyboarder Dieter Kumpakischkis, rechts Gitarrist Jürgen Krutzsch.
Schlagzeuger Fred Teske (Mitte) zeigt die neue CD. Links Keyboarder Dieter Kumpakischkis, rechts Gitarrist Jürgen Krutzsch. © WP | Privat

Fred Teske zeigt sich da ein wenig zurückhaltender. Auf die Frage nach einem baldigen Auftritt der Band, gibt er offen zu: „Das wäre schon schön, aber...“ Den Rest des Satzes lässt er offen stehen. Immerhin sitzt der Grundschötteler inzwischen an einer neuen CD. Die ersten Tonspuren hat er bereits in seinem heimischen Schlafzimmer-Tonstudio eingespielt und an seine damaligen Bandkollegen geschickt, die ihrerseits dazu beitrugen. „Es gibt viele Livestücke von damals, die auf keiner CD erschienen sind. Die wollen wir einspielen“, so Teske. Erscheinungstermin soll voraussichtlich im kommenden Jahr sein. Und wer weiß? Vielleicht wird es ja dann doch noch was mit dem gemeinsamen Auftritt auf der Bühne, 53 Jahre nach der Gründung der Band.

Fred Teske hat sich ein kleines Tonstudio im Schlafzimmer eingerichtet. 
Fred Teske hat sich ein kleines Tonstudio im Schlafzimmer eingerichtet.  © WP | Yvonne Held