Herdecke. Die Herdeckerin erklärt, warum sie 2025 nicht mehr als Bürgermeisterin antritt und für die CDU im SPD-dominierten Wahlkreis in den Bundestag will
Am Abend des 5. Juni oder vielmehr zu später Stunde teilte Dr. Katja Strauss-Köster an jenem Mittwoch mit, dass sie 2025 doch nicht ein weiteres Mal als Bürgermeisterin antrete. Seit 2009 steht sie an der Spitze der Herdecker Verwaltung. Ihre Absicht für eine vierte Amtszeit hatte das parteilose Stadtoberhaupt noch im Januar während eines Interviews mit der Lokalredaktion verkündet, ehe dann die CDU Ennepe-Ruhr bei ihr für ein Umdenken sorgte und die 53-Jährige 2025 als Bundestagskandidatin im hiesigen Wahlreis aufstellen will. Das hat viele überrascht und Fragen aufgeworfen, die sie nun beantwortet.
Wie fielen die Reaktionen auf Ihre Ankündigung aus, im nächsten Jahr zur Kommunalwahl das Amt der Herdecker Bürgermeisterin aufzugeben?
Ich habe auf den verschiedensten Kanälen mehr als 400 Zuschriften erhalten. 99 Prozent davon waren positiv, teilweise rührend. Es war überwältigend und oft auch emotional. Manche schrieben lange Texte, der Tenor ging fast immer in die Richtung Bedauern oder auch „ein Verlust für die Stadt Herdecke“. Viele dankten mir für die in den Kommentaren beschriebene glaubwürdige, authentische und bürgernahe Art oder Amtsausführung. Mir war es sehr wichtig, auf alle Zuschriften zu reagieren. Einigen habe ich persönlich und teils länger geantwortet. Es gab auch Reaktionen von hiesigen Parteien, EN-Bürgermeisterkollegen, aus dem Kreishaus und über Stadtgrenzen hinweg, sogar aus Amerika oder Bremen schrieben mich Leute an.
Und was ist mit dem restlichen Prozent?
Ich habe den Eindruck, dass nur wenige mir diese Entscheidung übelnehmen und meinen, ich würde die Stadt im Stich lassen. Dabei will ich mich ja als Kandidatin und dann hoffentlich auch als Bundestagsabgeordnete weiter für meine Heimat Herdecke und den Ennepe-Ruhr-Kreis einsetzen. Im Hinblick auf meine Kandidatur möchte ich festhalten: Der CDU-Kreisverband Ennepe-Ruhr hat mich am 5. Juni einstimmig nominiert. Im Dezember findet die offizielle Aufstellungsversammlung statt.
Was können Sie zum Entscheidungsprozess und zum Ablauf hinsichtlich Veröffentlichung sagen?
Das war eigentlich anders geplant. Als am 5. Juni die klare Entscheidung des CDU-Kreisverbandes fiel und schnell die Runde machte, habe ich meinen Kolleginnen und Kollegen der Stadtverwaltung eine Mail zu meinem Entschluss geschrieben, ehe ich danach eine Erklärung auf meiner Facebookseite veröffentlicht habe. Grundsätzlich halte ich die frühe Bekanntgabe jetzt für einen guten Zeitpunkt, damit die Nachfolge-Überlegungen rechtzeitig und ohne Stress beginnen können. Zudem strebe ich natürlich auch eine vernünftige Übergabe an.
Was genau hat nach Ihrer Zusage bei uns im Interview die Kehrtwende ausgelöst?
Ich bin in meinem Leben nie den leichten Weg gegangen. Das ist auch jetzt der Fall, schließlich könnte ich – wenn es schief läuft – im Herbst oder Ende 2025 ohne Bürgermeisteramt und ohne Bundestagsmandat dastehen. Schon 2009 bei meiner ersten Kandidatur als Herdecker Bürgermeisterin haben mir einige das Amt nicht zugetraut und wollten mich mit vielen Mitteln als Kandidatin verhindern. Nach reiflicher Überlegung bin ich nun vor einigen Wochen zum Entschluss gekommen: Man soll gehen, wenn es am schönsten ist. Ich habe mir Erfolge in Herdecke sowie den Rückhalt vieler Bürgerinnen und Bürger hart erarbeitet. Nachdem ich mehrfach ins Grübeln gekommen bin, habe ich mich dann schweren Herzens dazu entschlossen, dass es nach 23 Jahren bei der Stadt Herdecke und 15 Jahren als Bürgermeisterin an der Zeit ist, diese neue Chance zu ergreifen. Ich freue mich auf eine neue Herausforderung und die eventuelle Möglichkeit, die Interessen der Kommunen in Berlin vertreten zu dürfen. Es ist zudem eine Chance, meinen Horizont noch einmal zu erweitern.
Ihr 2020 verstorbener Vater Wolfgang Strauss, den viele hier noch als Tankstellenbesitzer in Erinnerung haben, war SPD-Mitglied. Sie waren stets parteilos, gehören Sie nun der CDU an?
Ich wurde am 5. Juni bei der CDU noch als parteilose Kandidatin für den EN-Wahlkreis vorgeschlagen, direkt danach bin ich Mitglied in dieser Partei geworden. Für meinen Vater fühlte sich die SPD-Zugehörigkeit richtig an, auch wenn er als Unternehmer viele CDU-Ideen mitgetragen hat. Im letzten Jahrhundert war es ja auch normal, in Herdecke zu den Sozialdemokraten zu gehören. Wobei meine Eltern, mein Mann und mein Bruder als Unternehmer aktiv sind beziehungsweise waren, daher ist für mich der Eintritt in die CDU nichts Außergewöhnliches. Und auf meinen Status als parteilose Bürgermeisterin bin ich schon immer etwas stolz gewesen. Ich habe die Unterstützung der drei Parteien CDU, Grüne und FDP immer als besondere Wertschätzung empfunden. Parteilos zu sein, das hat sich hier als Vorteil erwiesen, um die Geschicke der Stadt zu lenken. Wobei man diesen Umstand nicht damit verwechseln darf, keine Stellung beziehen zu wollen. Das könnte extremistische Kräfte bestärken. Ich habe mich jedenfalls immer in der demokratischen Mitte gesehen. Außerdem würde ich mich grundsätzlich freuen, wenn mehr Menschen in Parteien, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, eintreten. Dort werden wichtige Entscheidungen getroffen. In Zeiten von Politikverdrossenheit, Misstrauen und zunehmenden negativen Einstellungen gegenüber der etablierten Politik ist es umso wichtiger, sich politisch zu engagieren und an der Demokratie mitzuwirken. Nur so kann eine Veränderung gelingen..
Was sagen Sie zur Befürchtung, dass Sie nun andere Ziele außerhalb Ihres Amtes haben und in Herdecke als „lame duck“ gelten können?
Mir liegt meine Heimatstadt im Herzen, ich werde mich bis zum letzten Tag zu ihrem Wohle einsetzen und Vollgas geben. Wir haben hier noch genug Projekte in der Pipeline. Meine Ideen zur Weiterentwicklung Herdeckes reichen übrigens weit über diese Amtszeit hinaus. Ich werde keinen Gang zurückschalten. Da meine beiden erwachsenen Kinder auf eigenen Füßen stehen, kann ich mich nun in meiner Freizeit bei allen CDU-Stadtverbänden im nördlichen EN-Kreis vorstellen. Auch bei der Jungen Union oder in Düsseldorf bin ich direkt eingeladen worden. Priorität hat aber unverändert die Aufgabe in Herdecke. Und Kritik gehört nun mal zum Job dazu, das weiß ich aus Wahlkampfzeiten und wird auch künftig der Fall sein.
Im Bundestagswahlkreis mit Herdecke, Wetter, Witten, Hattingen und Sprockhövel hat sich bisher immer ein SPD-Vertreter durchgesetzt. Treten Sie ein Himmelfahrtskommando an?
Mir ist natürlich bewusst, dass noch nie eine Kandidatin oder ein Kandidat der CDU diesen Wahlkreis gewonnen hat. Mich erinnert das an 2009. Damals hatte Herdecke noch nie eine Frau im Bürgermeisteramt, auch hier hatte stets die SPD das Stadtoberhaupt gestellt. Zudem waren wir damals die erste Jamaika-Koalition in Nordrhein-Westfalen, das stand groß in überregionalen Medien. Zurück in die Gegenwart: Ich bin optimistisch hinsichtlich meiner Bundestagskandidatur. Ich bin ein Fan dieser Region und mag die schönen Ecken im EN-Kreis.
Mit Blick auf Ihre Nachfolge in Herdecke gibt es drei Ansätze: Kandidaten aus den Parteien, eine externe oder verwaltungsinterne Lösung. Haben Sie ein Favoriten-Modell?
Ja, ich habe sicherlich eine Wunschvorstellung. Mehr sage ich dazu nicht. Vor allem die Parteien wählen ja die Kandidaten aus. Diese werden dann von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt. Ich habe auch schon einige Herdecker Namen gehört, die sich das Amt zutrauen. Vielleicht denken die in meine Richtung, frei nach dem Motto: Was die kann, kann ich auch. Falls Kandidaten aus dem Rathaus in Betracht kommen, könnte ich das befürworten. Ich habe in den vergangenen Jahren vier, fünf junge Leute eng begleitet und fördern dürfen, aus fachlich-verwaltungsinterner Sicht könnten diese Personen bereits heute einen großen Teil meiner Aufgaben übernehmen. Ich traue es ihnen aufgrund ihrer Persönlichkeiten auch zu. Auswärtige könnten es schwer haben, da jemand womöglich nicht mit vollem Herzblut für seine oder ihre Heimatstadt eintreten kann. Sollte sich aus Herdecke heraus niemand aufstellen lassen, könnte man über diese Variante nachdenken. Es ist aber noch zu früh, um über einzelne Namen zu spekulieren.
Zur Person
Dr. Katja Strauss-Köster ist verheiratet und hat zwei Kinder. Die gebürtige Herdeckerin hat in Dortmund Raumplanung studiert, darin promoviert und ist seit 23 Jahren im Dienst der Stadt Herdecke (zunächst als Agenda-Beauftragte).
2009 wurde sie als Kandidatin ohne Parteibuch erstmals zur Bürgermeisterin gewählt, Rückhalt bekam sie durch die Jamaika-Koaltion aus CDU, Grüne und FDP. Bei den Kommunalwahlen 2015 und 2020 wurde sie in ihrem Amt bestätigt.
Zum Bundestagswahlkreis Ennepe-Ruhr II (139) gehören die Städte Herdecke, Wetter, Witten, Hattingen und Sprockhövel. Der Zuschnitt dieses Bezirks hat sich in der Vergangenheit einige Male geändert, was sich aber nicht auf die Verhältnisse auswirkte. Denn seit 1949 gewannen stets die SPD-Vertreter als Direktkandidaten den Abgeordnetensitz. 2021 setzte sich zuletzt Axel Echeverria mit 33,7 Prozent gegen den CDU-Herausforderer Hartmut Ziebs (22 %) durch. Diese „Tradition“ will Strauss-Köster 2025 durchbrechen.
Während des Streits um die Zukunftsausrichtung der Technischen Betriebe haben Sie heftige und persönliche Reaktionen in Ihre Richtung beklagt. Hat dies oder auch Ihre Schilderungen von Beleidigungen eine Rolle bei der Amtsverzichts-Entscheidung gespielt?
Nein, diese Auseinandersetzungen haben bei mir keine tiefen Narben oder Wunden hinterlassen. Ich denke gerne an 2009 zurück, als mit der Jamaika-Koalition eine tolle Zeit anbrach und frischer Wind durch Herdecke wehte. In zunehmendem Maße entstand dann auch ein guter Kontakt zur hiesigen SPD. Grundsätzlich habe ich einen Traum-Job. In dieser Hinsicht gibt es keinen Grund zum Aufhören. Doch ich will im Alter von 53 oder dann 54 nochmal etwas anderes machen, in einigen Jahren ist es dafür zu spät. Mich reizt es, noch einmal in andere Themen einzutauchen und auf unbekanntem Terrain Neues dazuzulernen. Wobei ich mich als Bundestagsabgeordnete vor allem auch dafür einsetzen würde, dass die Städte finanziell und personell besser ausgestattet werden müssen. Denn dort liegt die Keimzelle der Demokratie. Wenn vor Ort viel schlecht läuft, begünstigt das extremistische Bewegungen. Zum Thema Beschimpfungen: Ja, mich haben verbal einige Personen angegriffen. Ich gehe aber davon aus, dass das im Hinblick auf Berlin eher schlimmer wird, weil es dann oft aus anonymer Ecke kommt.
>>> hier gibt es weitere Artikel aus Wetter und Herdecke
Sollte die SPD beispielsweise erneut durch Axel Echeverria 2025 wieder einmal den hiesigen Wahlkreis gewinnen: Haben Sie einen Plan B?
Grundsätzlich gilt: Ich möchte in den Bundestag und bin auch gespannt, auf welchem Listenplatz in der NRW-CDU ich nach meiner angestrebten Nominierung lande. Und ja, ich gehe bewusst ein Risiko ein. Vielleicht entscheidet schlicht das Schicksal. Ich habe in der Vergangenheit viele Jobangebote erhalten. Die würde ich mir dann noch einmal in Ruhe anschauen und sondieren. Ich will in jedem Fall weiter arbeiten. Eine politische Aufgabe in Herdecke könnte ich mir dann aber nicht vorstellen, hier strebe ich auch kein Parteiamt an und will bis zum letzten Tag als neutrale Bürgermeisterin wahrgenommen werden. Ich sehe mich ohnehin mehr als Hauptsachbearbeiterin und will angefangene Projekte fertig stellen oder guten Gewissens übergeben. Ich denke da an das Wohnbaugebiet Am Berge, die TBH-Rückführung, Freibadsanierung, Pläne für den Offenen Ganztag oder den Schulergänzungsbau an der Hengsteyseestraße. In jedem Fall würde Herdecke mein Lebensmittelpunkt bleiben, als Abgeordnete würde ich nach Berlin pendeln und mir dort wohl eine Wohnung suchen. Ich bin und bleibe sehr heimatverbunden, ich trage keinen einzigen Fluchtgedanken in mir.