Herdecke. Im Zukunfts-Streit der Technischen Betriebe Herdecke sehen CDU, Grüne, FDP viele Chancen einer neuen Gesellschaft. Alle anderen halten dagegen.

Streit um die Zukunft der Technischen Betreibe Herdecke (TBH): Vier bis acht Monate, so sagte es der städtische Beigeordnete Dennis Osberg kürzlich in einer öffentlichen Sitzung, dauert die inhaltliche Ausarbeitung der europaweiten Ausschreibung von der Stadtverwaltung und Fachanwälten. Nach einer politischen Beratungsphase im Anschluss rechnet der kaufmännische Interims-Chef der TBH mit einem weiteren halben Jahr, in dem sich nach der Veröffentlichung Interessenten melden können. Der finale Vergabebeschluss vom Rat erfolge dann womöglich irgendwann im Verlauf des Jahres 2024 in nicht-öffentlicher Sitzung (wie die Zwischenberatungen).

FDP-Fraktionsvorsitzender Wilhelm Huck sieht in den festzulegenden Ausschreibungskriterien das „A und O“ im gesamten Verfahren, erst nach dieser Definition könne eine seriöse Beurteilung potenzieller Partnerfirmen erfolgen. Nach den Markterkundungsgesprächen sei klar, dass ein Interesse bestehe. „Wir reden über ein Mischmodell und nicht über eine Privatisierung“, sagt Andreas Disselnkötter von den Grünen. CDU-Sprecher Patrick Wicker sprach sich für die Fortsetzung von TVöD-Anstellungen aus und sorgt sich, dass die TBH das Defizit von 120.000 Euro aus den Jahren 2018 und 2019 im operativen Geschäft nicht verbessern können. Er nennt eine Art Exit-Strategie: „Wenn sich auf unsere Ausschreibungs-Bedingungen hin niemand meldet, dann halt nicht.“

Zum Einwand, dass somit ja ein sechsstelliger Betrag aus dem städtischen Haushalt quasi unnötig verbrannt werde, entgegnen die Koalitionäre: Bis zur Ratssitzung im Dezember sei die Politik den Weg einstimmig gegangen, habe sich also unisono für Markterkundungsgespräche ausgesprochen. „Einen beträchtlichen Teil des Geldes haben wir jetzt ja schon ausgegeben. Auf lange Sicht erwarten wir uns jährlich erfreuliche Ausschüttungen, damit hätten wie die Planungs- und Beratungskosten gut investier“, merkt Wilhelm Huck an. „Bei der Ausschreibung können wir ja auch unsere Gebührenvorstellungen sowie vertragliche Arbeitsverhältnisse wie gewünscht formulieren.“

„Risiken werden zu sehr betont“

Kritik üben die drei Fraktionsvorsitzenden an den Verwaltung. Es sei zwar richtig, Risiken einer neuen Gesellschaft aufzuzeigen, eine einseitige Betonung aber der falsche Ansatz. „Die Empfehlung der Fachleute fiel deutlich ausgewogener als die Bewertung der Stadt aus“, berichtet Wicker, auch Huck fordert eine neutralere Position von städtischen Verantwortlichen ein.

Die wiederum betonen, den durch den Ratsbeschluss erfolgten Auftrag abzuarbeiten – unabhängig von aktuellen Prognosen, wonach die TBH auch in 2020 und 2021 ein „ähnlich positives oder sogar besseres Jahresergebnis als zuvor erzielen. Womöglich ist gar ein siebenstelliges Plus zu erwarten“, sagte Kämmerer Osberg nun im Unterausschuss. Der letzte offizielle TBH-Bilanzbericht liegt für 2019 vor.

Die Sicht der Koalition

CDU, Grüne und FDP sagen: Eine neue gemischtwirtschaftliche Gesellschaft mit 51 Prozent Beteiligung der Stadt – der minimal kleinere Anteil für ein Privatunternehmen – bringe Herdecke finanzielle Vorteile, etwa durch höhere Gewerbesteuer-Erlöse. Das lukrative Kanal- und Abwassernetz müsse in kommunaler Hand bleiben. Die Einnahmen daraus sorgen bei den Technischen Betrieben (TBH) für jährliche Überschüsse, damit werde anderes laut Patrick Wicker (CDU) quer subventioniert. Auch Grünen-Fraktionschef Andreas Disselnkötter und FDP-Kollege Wilhelm Huck sehen finanzielle Defizite im operativen TBH-Geschäft, etwa bei Friedhöfen und in der Straßenreinigung. Angesichts allseits steigender Kosten und Preise dürften die Probleme zunehmen. Dazu beklagt das Trio einen Investitionsstau, der neue Firmenpartner bringe ja Kapital mit und soll vertragsgemäß investieren. Mit der gewinnorientierten Firma lassen sich auch Verluste besser auffangen, also in der Ausschreibung eine Minus-Summe (etwa 120.00 Euro) konkret nennen, für den größeren Fehlbetrag solle der Partner aufkommen.

Auch interessant

Von Modernisierungen und Optimierungen am TBH-Gelände an der Nierfeldstraße sollen Mitarbeitende profitieren. Die wiederum sollen vertragsgemäß Angestellte der Stadt (als unveränderte Arbeitgeberin) bleiben. Wichtig: „Wir wollen das Personal nicht schlechter, sondern möglichst besser stellen und kein Lohndumping betreiben“, sagen die Fraktionsvorsitzenden von CDU, Grüne und FDP. Angesichts des Fachkräftemangels biete eine neue Gesellschaft mit flexibleren Möglichkeiten größere Chancen als „das kommunale Korsett“. Auf der Führungsebene ließen sich Verantwortliche besser bezahlen als nach vorgeschriebenem Tarifgehalt. In einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft treffen TBH-Mitarbeitende auf ein neues Kollegium, durch eine größere Belegschaft lassen sich die Belastungen laut Koalition besser aufteilen und Dienstpläne effizienter gestalten. „Wir erwarten uns grundsätzlich Verbesserungen, auf diesem Gebiet lässt sich generell gut Geld verdienen, in der Branche steckt viel Musik. Wir erwarten jährlich einen sechsstelligen Betrag für den städtischen Haushalt.“

Mit Blick auf die hier gerade erst erfolgte Gebührenerhöhung und Inflation, Corona-Folgen, Kriegsauswirkungen sowie hohe Dieselpreise gehöre laut Koalition „viel Phantasie“ dazu, dass die Bürgerbeiträge bei unveränderten TBH-Voraussetzungen absehbar stabil bleiben. Also wollen CDU/Grüne/FDP bessere Bedingungen schaffen, um der Bevölkerung für die üblichen Leistungen nicht so tief, sondern angemessen in die Tasche zu greifen. Eine neue Gesellschaft soll langfristig für stabile oder fallende Gebühren sorgen. Ähnlich fällt der Service-Gedanke aus: Für ein gleich bleibendes oder besseres Dienstleistungs-Niveau sollen Synergien greifen. Derzeit erledige die TBH vieles händisch, manches bleibe liegen. „Die Mitarbeitenden machen einen guten Job, über Investitionen in Technik lässt sich aber mehr herausholen.“ Digitale Geräte erkennen zum Beispiel, ob Schlaglöcher zu stopfen oder Schilder zu reparieren sind. Eine Gesellschaft könne effizienter sowie günstiger Geräte beschaffen und einsetzen.

Arbeitsrechtlich streben die drei Koalitions-Fraktionen keine Änderungen für das TBH-Kollegium an. Ein potenzieller Partner mit fachlicher Expertise könne für die neue Gesellschaft beispielsweise effizientere Fahrten organisieren: Ein moderner und leicht umzurüstender Wagen kann mehrere Tätigkeiten erledigen, aktuell nutzen die TBH demnach ein Auto für eine Aufgabe. CDU, Grüne und FDP wundern sich auch über Bezeichnungen wie den „Herdecker Sonderweg“. Zwar führen manche Kommunen ihren technischen Betrieb tatsächlich in Verwaltungsorganisationen zurück, die 27.000-Einwohner-Stadt Selm strebe aber eine Privatbeteiligung an. Patrick Wicker sagt als Geschäftsführer einer Wertstoff- und Abfall-Firma im Kreis Unna, dass in der dort größten Stadt die Wirtschaftsbetriebe GmbH als Zusammenschluss von Kommune und Remondis-Konzern erfolgreich agieren. Er gehe von einem 15-Jahres-Vertrag für die neue Gesellschaft aus. Huck will derweil vertraglich festlegen, was im Falle eines Scheiterns gilt, damit die Stadt Herdecke nach einer Pleite weiter handlungsfähig bleibe.

Die Gegenargumente

Dennis Osberg listete kürzlich als kommissarischer Leiter TBH und Kämmerer die Vorteile sowie Risiken einer neuen Gesellschaft auf. Ein Nachteil sei etwa die anwachsende Umsatzsteuer. Die Mehrzahl der Politikerinnen und Politiker von SPD, Linke, Die Partei und AfD argumentiert: Die TBH seien gut aufgestellt, werfen jährlich Gewinne zugunsten des städtischen Haushalts (Dieter Kempka von der Linken: „Die haben uns mehrfach den Hintern gerettet“) ab – wenn also der Status dieser eigenbetriebs-ähnlichen Einrichtung zu ändern sein sollte, dann doch bitteschön – wie von der Verwaltung vorgeschlagen – die komplette Rückführung in die Organisationsstrukturen der Kommune. Nico Fischer (Die Partei) mahnte an, die Finanzlage in den Corona-Jahren 2021/22 nicht als Basis zu nehmen, auch ungeplante Kosten nach dem Hochwasser spielen da mit rein. Klaus Klostermann kritisierte die unbestätigten Annahmen der Koalition, wonach für die 2020-er Jahre tiefrote Zahlen zu erwarten seien. Die SPD glaube der Stadt, die von ordentlichen Bilanzzahlen ausgeht.

Gäbe es beispielsweise eine neue GmbH, wäre laut Osberg dort eine „Stellennachbesetzung nur im Rahmen der Gestellung in der Gesellschaft möglich“. Künftige Mitarbeitende können also nicht bei der Stadt angestellt sein. Im Ausschreibungsprozess müsse zudem geklärt werden, ob in einer neuen gemischten Gesellschaft der Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD) gelte. Vladimir Munk von der Linken zweifelte an, dass sich ein quasi gleichberechtigtes Unternehmen auf die größere Übernahme von Verlusten einlasse. „Investoren wollen Geld verdienen. Klappt das nicht, dürften in dem Fall die Gebühren steigen. Anstatt bis zu 300.000 Euro für den Ausschreibungsprozess auszugeben, hätten wir mit dem Geld besser neue Stellen bei den TBH schaffen können.“ Ratsherr Fischer befürchtet, dass TBH-Mitarbeitende in einer neuen Gesellschaft mit Profitausrichtung künftig mehr arbeiten und weniger verdienen. „Wir wollen dem Kollegium auch künftig ein gutes Gehalt zahlen, sehr viel effizienter können wir die TBH nicht aufstellen“, sagte Bürgermeisterin Strauss-Köster.

Mit den Gebühren der Bürgerschaft dürfe eine Stadt laut Bürgermeisterin Katja Strauss-Köster keine Gewinne erzielen, ein Plus müsse an die Bevölkerung zurückgehen (Beiträge senken). Daher sei es auch normal, dass Bilanzen in einzelnen Geschäftsfeldern über Jahre hinweg unterschiedlich ausfallen. Osberg verwies auf weiter sehr geringe Bürgerbeiträge in Herdecke (im Vergleich zu sechs umliegenden Städten) und weiteren Klärungsbedarf: „Gewinne der Gesellschaft aus den Gebührensparten bedürfen besonderer Regelungen.“ Osberg und Politiker zweifeln auch das vermeintliche Vorbildmodell Lünen an, die dortigen Wirtschaftsbetriebe haben zum Teil Gebühren erhöht. Der Investitionsstau bei den TBH rühre daher, dass dort zuletzt sparsam gewirtschaftet wurde. Uli Schwellenberg (SPD) sieht in einer neuen Gesellschaft viele Unsicherheiten: „Vielleicht ließe sich jemand finden, der einzelne Sparten besser als die TBH abarbeitet. Die Müllabfuhr regelt zum Beispiel der EN-Kreis hervorragend.“

Osberg nennt erhoffte Steuer-Privilegien (die TBH erhält diese) einer neuen Gesellschaft „rechtlich unsicher“, zudem müssten für eine Insolvenz der Gesellschaft die Rückfallebenen zur Stadt vertraglich sehr genau geregelt werden. Denn die Aufgaben der TBH stehen im kommunalen Pflichtenheft als Daseinsvorsorge für die Bürgerschaft. Osberg sprach von einem „hohen Aufwand und hohen Kosten“, den der gesamte Prozess der personell knapp besetzten Stadtverwaltung beschere. Die diskriminierungsfreie Ausschreibung müsse zahlreiche Vertragsthemen enthalten (Dienstleistungen, Betriebsführung, Gesellschaftsabkommen und vieles mehr). In Sachen Arbeitsrecht „haben wir die Exptertenmeinung der Fachanwälte beachtet.“ Bürgermeisterin Strauss-Köster sagte, dass bei entsprechenden Zweifeln noch eine Zweitmeinung eingeholt werden müsste. Auch Risikofragen für zusätzlich einzubringende Geschäftsfelder bedürfen laut Osberg einer aufwendigen Klärung. Gleiches gelte für die bestehenden TBH-Rücklagen, die derzeit der Stadt gehören.