Wetter. Der erste konkrete Hinweis darauf, dass es zu einem Hochwasser der Ruhr kommen könnte, erfolgte zwei Tag vorher. Das geschah dann:
Hätte der Ruhrverband mit einer anderen Wasserführung die schlimmen Schäden am Obergraben und im Schöntal verhindern können? Diese Frage stand seit der Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli im Raum. In der vergangenen Woche hatte der Ruhrverband bereits mit den betroffenen Unternehmern gesprochen, nun stellte er sich auch den Fragen der Lokalredaktion.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist die zeitliche Abfolge der Ereignisse. Seit wann wusste der Ruhrverband von den zu erwartenden Wassermassen und was hat er daraufhin unternommen. Markus Rüdel, Leiter der Unternehmenskommunikation, erklärt: „Am Sonntag, 11. Juli, gab es erste Warnungen für das Maas-Einzugsgebiet und die Eifel.“ Das Europäische Hochwasserwarnsystem EFAS (European Flood Awareness System) sah die Ruhr bis dahin nur als gering betroffen an. Das änderte sich allerdings bereits am darauffolgenden Tag. „Am Montag, 12. Juli, wurde bei Modellläufen auch die Betroffenheit des Ruhreinzugsgebiets bestätigt“, so Rüdel. Daraufhin habe der Ruhrverband begonnen, Platz zu schaffen.
Freiraum in Talsperren geschaffen
Aus insgesamt fünf Talsperren (Möhne, Bigge, Sorpe, Henne und Ennepe) wurde Wasser abgelassen. „Damit haben wir 23 Millionen Kubikmeter Freiraum in den Talsperren geschaffen“, erklärt Rüdel. Das war auch dringend notwendig, wie die Zahlen aus der Hochwassernacht belegen. Um 20 Uhr am 14. Juli betrug der Spitzenzufluss 339 Kubikmeter pro Sekunde. Davon flossen lediglich 78 Kubikmeter ab und somit blieben 261 Kubikmeter Wasser pro Sekunde in den Talsperren. Wasser, das sonst ebenfalls den Pegel der Ruhr erhöht hätte. „Der Scheitelabfluss der Ruhr bei Hattingen lag somit bei 1290 Kubikmeter pro Sekunde. Das sind 6,99 Meter. Ohne den Rückhalt der Talsperren wären es etwa 1490 Kubikmeter pro Sekunde und somit 7,28 Meter geworden.
Speziell um den Obergraben und das Schöntal herum hatte bereits die RWE einige Fragen beantwortet. So gab es die Vermutung, dass die Schließung des Kraftwerks Wetter am Obergraben Wasser angestaut hätte und so zu einer Überflutung des Gewerbegebiets und einiger Anwohner geführt habe. Die RWE hatte dies bereits verneint, und auch der Ruhrverband stützte die Aussage erneut. „Über das Kraftwerk werden Durchflussmengen von bis zu 120 Kubikmeter pro Sekunde vollständig abgeführt. Darüber hinausgehende Zuflüsse in den Harkortsee werden zusätzlich über das Wehr abgegeben und fließen am Obergraben vorbei“, so Rüdel. Das Wasser im Obergraben könne niemals selbst bei einer Schließung des Kraftwerks höher stehen als das im Harkortsee. Um das Kraftwerk zu betreiben, muss die Ruhr unterhalb des Kraftwerks niedriger sein, denn Wasser braucht für den Durchfluss eine gewisse Fallhöhe. Die war an diesem Abend nicht mehr gegeben.
Um den Wasserspiegel im Harkortsee zu regulieren, kommt dann das Wehr, das sich unterhalb der Brücke an der Friedrichstraße befindet, ins Spiel. „Bei Hochwasser werden die vier Wehrwalzen nacheinander angehoben“, erläutert Rüdel. So auch am 14. Juli. Abends öffnete sich zunächst das Wehr 3, es folgten Nummer 4, 2 und 1. „Der Höchstwasserstand lag an diesem Abend im Harkortsee und am Obergraben zwischen 89,6 und 89,7 Metern“, sagt Rüdel. Gemessen wird der Wasserstand jeweils ab Normalhöhennull. Die Messungen am Obergraben an den dort bestehenden Mauern haben jeweils Oberkanten von 89,9 bis 90,6 Metern ergeben. Der tiefste Punkt ist ein Lichtschacht mit 89,8 Metern. Darüber kann also den Berechnungen nach kein Wasser geflossen sein.
Anders sieht es unterhalb des Kraftwerks aus, wo sich sonst das Obergrabenwasser herunterkommt, um in die Ruhr zu fließen. Dort gibt es Bereiche, die 87,52 bis 88,26 Metern. „Dort waren es an einigen Stellen vielleicht 30 Zentimeter Überstau, der dann ins Gewerbegebiet, das in einigen Bereichen ja noch einmal tiefer liegt, geflossen ist“, erläutert Rüdel. Und dann sei genau das passiert, was in der Hochwassergefahrenkarte, die es bereits seit vielen Jahren gibt, prognostiziert wurde. Denn in dieser Karte sind die wahrscheinlich von einer Überschwemmung betroffenen Firmen und Gebiete im Schöntal eingezeichnet.
Prognose der Gefahrenkarte trifft zu
Auf die Frage, ob die Schäden bei den Unternehmern seitens des Ruhrverbands hätten verhindert werden können, schüttelt Rüdel den Kopf. Er könne jedoch die Unternehmer sehr gut verstehen. „Wenn meine Firma so stark beschädigt worden wäre, würde ich auch sehr emotional reagieren und nach einem Schuldigen suchen“, meint er. Aber er ist sich sicher, dass der Ruhrverband alles getan habe, was möglich war, um das Wasser abzuleiten.
„Für das Warnen der Bevölkerung sind wir allerdings nicht zuständig. Das ist nicht unsere Aufgabe“, so Rüdel. Dennoch will der Ruhrverband genauer nachvollziehen, was an diesem Abend und in der Nacht passiert ist. „Wir werden es modelltechnisch nachstellen. Das wird eine hydraulische Simulation. Allerdings wird das noch einige Monate dauern“, so Rüdel.