Wetter. Anwohner von Obergraben und Schöntaler Straße erheben nach Überflutung Vorwürfe gegen RWE. Und fordern mehr Sicherheit für die Zukunft.

„So etwas darf in Zukunft nicht noch einmal passieren.“ In dieser Forderung sind sich die Anwohner vom Obergraben sowie aus der Schöntaler Straße einig. Sie sind in der Hochwassernacht Mitte Juli nur knapp einer Beinahe-Katastrophe entkommen. Gemeinsam rekonstruieren Marika Eßer und Tochter Felicitas, Gisa Gleim, Michael Sauer und seine Mutter Edith sowie Miriam D’Aulerio noch mal die Abläufe in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli. Und sie versuchen herauszufinden, wer verantwortlich für das Geschehen sein könnte. Aus ihrer Sicht ist es RWE, der Betreiber des dortigen Wasserkraftwerks.

Kritik: Kraftwerk war nicht besetzt

„Als bei uns hier das Wasser im Obergraben immer höher stieg und wir den Ruhrverband angerufen haben, hat uns deren Ansprechpartner gesagt: Die Wehre vom Harkortsee in die Ruhr sind geöffnet, er könne nichts weiter tun“, berichtet Gisa Gleim. Marika Eßer sagt: „Der Obergraben stand 1,30 Meter höher als die übrige Ruhr, weil es sich hier staute. Dadurch stieg auch der Grundwasserspiegel. Das Wasser muss aber konstant durch das Kraftwerk abfließen können.“ Die Anwohnerin weiter: „Im Kraftwerk gibt es Gitter vor den Toren, die Treibgut abhalten, damit es nicht in die Turbinen gerät.“ Einige seien marode und abmontiert; für sie ein Grund, warum nicht alle Tore geöffnet werden können. Nach ihren Informationen besetze RWE das Kraftwerk nicht durchgehend. „Auch in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli war es trotz der Wetterwarnungen nicht besetzt. Es hätte jemand vor Ort sein müssen, um die Tore zu öffnen. Aber sie waren nicht geöffnet, und der Wasserstand wurde nicht, wie sonst vom Anbeginn des Obergrabens an, reguliert.“

Kellerräume geflutet

Sie schildert, wie die Feuerwehr schließlich mit Pumpen versucht habe, die Lage zu entschärfen. Sie selbst habe alte Bettwäsche mit Sand aus ihrem Sandkasten gefüllt und die Säcke vor die Kellertreppe geschleppt – vergebens. Das Wasser flutete Kellerräume, durch die sie im Dunklen stapfte, um zu retten, was noch zu retten war. „Strom gab es ja nicht mehr. Es spritzte aus allen Ritzen, wo noch niemals vorher Wasser rausgekommen ist“, erzählt Marika Eßer und zeigt auf die Wände, von denen nun der Putz abbröckelt. „Fatal und völlig unnötig, diese Schäden“, so die Wetteranerin.

Nachbar Michael Sauer, der in unmittelbarer Nähe des Kraftwerks Harkort wohnt und arbeitet, nickt: „RWE hätte jemanden schicken müssen. Ich habe um kurz vor fünf morgens eine Kontaktperson von RWE angerufen und gesagt, dass hier alles überläuft. Auch die Feuerwehr hat irgendwann einen RWE-Verantwortlichen erreicht. Um halb sechs war der endlich hier.“ Er habe das einzige Tor des Kraftwerks, das sich überhaupt noch öffnen lasse, geöffnet, so dass sich die Lage nach und entspannen konnte.

Kein Streit, aber Klarheit

Im Keller der Eßers fällt nun der Putz von den Wänden.
Im Keller der Eßers fällt nun der Putz von den Wänden. © WP | Elisabeth Semme

Die Anwohner verdeutlichen, dass sie nicht auf Streit aus seien. Es sei ihnen wichtig, zu erfahren, warum bei angekündigtem Starkregen der Wasserstand nicht kontrolliert und reguliert werde? „Wären die Zuständigen ihrer Verantwortung nachgekommen und hätten den Wasserstand reguliert, wäre hier doch wohl nichts geschehen?“

RWE antwortet darauf: Bei normalen Ruhrpegelständen sei RWE als Betreiber des Wasserkraftwerks Wetter verantwortlich für die Wasserführung im Harkortsee inklusive Obergraben. Das Wasser werde dann durch das Kraftwerk über die Turbine abgeführt. „Es ist in ganz Deutschland gängige Praxis, dass kleine Wasserkraftwerke nicht mehr rund um die Uhr besetzt sind. Innerhalb der Woche ist tagsüber aber regelmäßig ein Mitarbeiter vor Ort“, so RWE-Sprecher Jan Peter Cirkel. Die Steuerung des Wasserkraftwerks Wetter erfolge durch die Betriebsmannschaft des Pumpspeicherkraftwerks Herdecke, das rund um die Uhr besetzt sei.

RWE verweist an Ruhrverband

Sobald sich Hochwasserlagen ankündigten, die nicht mehr über das Kraftwerk abgefahren werden könnten, werde die Anlage abgeschaltet. Dann übernehme der Ruhrverband die komplette Verantwortung für die Wasserführung im Harkortsee und damit auch im Obergraben sowie der Ruhr. „Dies war auch der Fall beim extremen Hochwasser am 14./15. Juli“, so Cirkel. Und: „Die handbetriebene Schleuse am Wasserkraftwerk Wetter gehört ebenfalls dem Ruhrverband und wird auch durch diesen betrieben. Grundsätzlich ist die Schleuse aber kein Instrument zur Wasserführung. Selbst wenn die Schleuse die ganze Zeit vollständig geöffnet gewesen wäre, hätte sie auf Grund ihrer begrenzten Durchflussmengen die massive Hochwasserlage kaum entlasten können. Wir haben die Schleuse am 15. Juli in Abstimmung mit der Feuerwehr und nach Zustimmung durch den Ruhrverband dennoch geöffnet.“

Zuständigkeiten aufgeteilt

Auch nach Angaben des Ruhrverbands teilen sich dieser und RWE die Zuständigkeit für die Wasserführung im genannten Bereich. Bis zu einem Durchfluss von 120 Kubikmetern pro Sekunde gehe der Abfluss vollständig über das Kraftwerk, darüber hinaus gehende Zuflüsse in den Harkortsee würden laut Ruhrverband zusätzlich über das Wehr am Harkortsee (rund einen Kilometer oberhalb des Kraftwerks) abgegeben und fließen durch den Altarm der Ruhr am Obergraben vorbei.

Wasserführung wie vorgesehen

Wenn die Ruhr unterhalb des Kraftwerks zu viel Wasser führt, müsse das Kraftwerk demnach außer Betrieb gehen. Das komme schon im regulären Hochwasserfall mit häufiger Wahrscheinlichkeit vor und war auch bei diesem extremen Hochwasserereignis der Fall. Der Ruhrverband übernehme dann die komplette Abflussregulierung und steuere die Mengen über das Wehr des Harkortsees. „In der Nacht auf den 15. Juli war das Wehr des Harkortsees selbstverständlich voll ausgelastet in Betrieb und vom Bereitschaftsdienst besetzt“, so Sprecherin Britta Balt. Zudem habe der Verband den Wasserstand über die Talsperren reguliert. Und: Die Wasserführung am Obergraben geschah genau so, wie es im Hochwasserfall vorgesehen ist, so Balt und verweist auf die enormen Regenmengen.

Das Kraftwerk Harkort

Das Kraftwerk Harkort wurde Anfang des 20. Jahrhunderts ursprünglich zur Energiegewinnung für einen benachbarten Industriebetrieb gebaut. Zur Aufstauung des Harkortsees 1931 wurden Teile des Altkraftwerks durch einen Neubau ersetzt.

Das heutige Kraftwerk gehört dem Ruhrverband und wird im Verbund des Koepchenwerks von der RWE betrieben. Das Turbinenhaus des Kraftwerks steht auf der Denkmalliste von Wetter und ist Standort der Route der Industriekultur.