Wetter. Im Schöntal bietet sich fast überall das gleiche Bild: Dreck, Schlamm und Firmen, die verzweifelt versuchen, zu retten, was zu retten ist.

Keinen anderen Teil von Wetter hat das Hochwasser so stark getroffen, wie das Schöntal. Die dortigen Firmen sind seit über einer Woche mit den Aufräumarbeiten beschäftigt. Ein Ende ist nicht in Sicht. Die meisten Maschinen sind hinüber, es geht um Schadensbegrenzung, Produktionsausfälle, Arbeitsplätze und drohende Insolvenzen.

Rainer Voeste, Chef der Traditionsdreherei an der Wasserstraße, führt durch den Betrieb oder durch das, was davon übrig geblieben ist. „Wir haben am Mittwoch noch bis Mitternacht Flutwache gehalten, da war nichts. Am Donnerstagmorgen hat mich mein Vorarbeiter um 5 Uhr angerufen. Da stand hier schon alles unter Wasser“, berichtet Voeste. Rund sieben Millionen Euro Schaden schätzt er, hat das Wasser bei ihm angerichtet. In seiner Dreherei werden eigentlich Großdrehteile bis zu 30 Tonnen Gewicht hergestellt. Die Produktion steht still. Nicht, weil es keine Aufträge gibt, sondern weil die Maschinen alle kaputt sind.

Wenig konnte gerettet werden

Dabei hat Voeste vorausschauend die riesigen Kolosse bereits höher gebaut, damit sie bei durchlaufendem Wasser von 5 bis 20 Zentimeter keinen Schaden nehmen. 1,50 Meter kann jedoch auch er nicht präventiv abfedern. „Ich bin zwar versichert, aber die Versicherung deckt auch lange nicht alle Schäden ab. Und wenn wir das hier hinter uns haben, kann ich mir sicher sein, dass mir die Versicherung kündigt“, prophezeit er. Beim Rundgang durch die Firma nimmt er immer wieder einzelne Teile in die Hand. „Alles kaputt. Hier stand das Wasser drin. Das ist alles verschlammt“, sind seine begleitenden Worte. Auf diversen Werktischen liegen spezielle Fräsen. „Die haben Mitarbeiter gesäubert und wieder gefettet. Wir versuchen sie zu trocknen. Ich könnte hier noch 50 weitere Leute gebrauchen, die alle Einzelteile rausholen, saubermachen und wieder einfetten. Aber ich kriege keine“, sagt Voeste. Rund 1500 Positionen sind seiner Schätzung nach zerstört. Alle kosten zwischen 300 und 300.000 Euro. Sämtliche Schaltschränke sind kaputt. „Mir wurde heute gesagt, dass es drei bis fünf Monate dauert, bis ich Ersatzteile dafür kriege“, erklärt er.

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Rainer Voeste, Chef der Dreherei Voeste im Schöntal, beziffert den bisher geschätzten Schaden in seinem Betrieb auf etwa sieben Millionen Euro. 
Rainer Voeste, Chef der Dreherei Voeste im Schöntal, beziffert den bisher geschätzten Schaden in seinem Betrieb auf etwa sieben Millionen Euro.  © Yvonne Held

Seit 23 Jahren ist Voeste selbstständig. Rund vier Millionen Euro Jahresumsatz macht die Dreherei. So etwas wie jetzt habe er noch nie erlebt. „Ich habe alle Krisen der letzten Jahre mitgemacht. Doch die vergangenen zwei Jahre und jetzt in Verbindung mit dem Hochwasser – das ist schon hart“, sagt er. Durch Corona sei der Betrieb schon vorgeschädigt. „Wenn wir jetzt keine staatlichen Hilfen kriegen, schließe ich hier ab“, sagt er.

Weiter unten im Schöntal an der Remestraße hat die Firma Inova ihren Sitz. Hier ist Sam Figge der Geschäftsführer, sein Vater Mirko ist ebenfalls an Bord. „Wir wurden am Donnerstagmorgen um 5.30 Uhr von unserem Mitarbeiter angerufen. Er sagte, dass er nicht mehr zur Firma käme und die Privatfahrzeuge der Mitarbeiter, die an der Firma geparkt waren, seien bis zum Dach weg“, berichtet Mirko Figge. Erst am späten Nachmittag durften sie das erste Mal in die Firma. „Wir haben das Rolltor mechanisch geöffnet. Das ganze Wasser stand dahinter und floss dann erstmal aus der Halle“, beschreibt Mirko Figge. „Es ist unglaublich, was Wasser so alles anrichten kann, und man wundert sich, was alles so schwimmt“, führt er mit etwas Galgenhumor fort.

Schaden möglichst gering halten

Sie ackerten gemeinsam mit Mitarbeitern und Helfern am Wochenende durch, so dass am Montag die Firma wieder in einem betretbaren Zustand war. „Jetzt sind wir bei der Schadensaufnahme und Schadensbegrenzung. Derzeit schätzen wir die Summe auf rund 800.000 Euro und versuchen, sie durch trocknen, reinigen und reparieren auf etwa 500.000 Euro zu drücken“, so Mirko Figge. Zugute kommt ihnen dabei, dass sie sowieso ein großes Portfolio unter den rund 40 Mitarbeitern haben. Einige können Maschinen reparieren. Dennoch: Alles werden sie nicht wieder in Gang bringen, und derzeit sieht es so aus, als wenn die Firma allein auf den Kosten sitzen bliebe. Eine Versicherung gibt es nicht. Die Firma liegt im roten Bereich, ist also stark hochwassergefährdet und bekommt daher keine Elementarschadenversicherung. Doch das Wasser kam nicht, wie erwartet, von der Ruhr oder aus dem Gully, sondern vom Obergraben.

Unternehmen fühlen sich im Stich gelassen

Während die Aufräumarbeiten nach dem Hochwasser bei Inova und der Dreherei Voeste weitergehen, beschäftigen sich die Chefs beider Firmen auch mit der Frage, wie es soweit kommen konnte. „Bereits am Montag letzter Woche war bekannt, dass die Stauseen zu 100 Prozent voll sind. Warum wurde da nicht schon ein Teil des Wassers abgelassen, da ja vorausgesagt wurde, dass es ein solches Starkregenereignis mit bis zu 200 Litern pro Quadratmeter geben wird?“, fragt Rainer Voeste.

Ohne Vorwarnung

Mit einem alten herkömmlichen Backofen versuchen Figges einige kleinere Maschinenteile zu trocknen. 
Mit einem alten herkömmlichen Backofen versuchen Figges einige kleinere Maschinenteile zu trocknen.  © Yvonne Held

Auch Mirko Figge ist überzeugt, dass es nicht soweit hätte kommen müssen. „Unserem Nachbarn wurde um Mitternacht von der Feuerwehr noch gesagt, dass wir alle wohl verschont geblieben seien und nichts zu befürchten hätten. Es fehlte jegliche Vorwarnung“, so Figge. Das Wasser sei auch nicht über die Ruhr gekommen, sondern über einen Damm am Obergraben. Für die Zukunftsplanungen müsse über ein Konzept nachgedacht werden, denn so wie es diesmal gelaufen sei, sei es nicht akzeptabel, meint Figge.

Größere Bauteile, die nicht in den Backofen passen, werden mittels einer Gasturbine trocken geföhnt. 
Größere Bauteile, die nicht in den Backofen passen, werden mittels einer Gasturbine trocken geföhnt.  © Yvonne Held

Wobei Zukunft ein großes Wort ist. „Wir fahren momentan nur auf Sicht“, gibt er zu. „Wir, Krause, LS und Votum – wir sind alle von Insolvenz bedroht“, schildert Figge die Situation. Die 200 Millionen Hilfen, die von Bund und Land versprochen wurden, seien „eine Beleidigung“, so Figge weiter. Er fühle sich an allen Fronten allein gelassen. „Wir wollen ja nichts geschenkt haben. Was uns wirklich helfen würde, wären unbürokratische und schnell verfügbare Kredite mit fairem Zinssatz und einer langen Laufzeit“, sagt er. Denn abgesehen davon, dass die Firma Inova selbst betroffen ist, sitzen viele Kunden auch im ebenfalls betroffenen Lennetal in der Nachbarstadt Hagen. Heißt: Selbst wenn Inova wieder produzieren kann, fehlt es an Kunden.

Vorwürfe an die Stadt

Und das nächste Ärgernis steht am Freitag bereits ins Haus. „Uns wurde gerade der Strom abgestellt, weil der Trafo kaputt ist. Für einen neuen Anschluss an das Stromnetz müssen wir selbst zahlen“, erklärt Figge und spricht dabei von Kosten von rund 10.000 Euro.

Sein Sohn Sam Figge ist derweil vor der Halle beschäftigt. Neben ihm steht ein voller Container. „Um den mussten wir uns selbst kümmern. Auch da hat uns die Stadt vollkommen allein gelassen“, berichtet Sam Figge. Privat ist er auch vom Hochwasser in Altena betroffen. „Dort ist die Stadt Iserlohn aber wesentlich agiler. Sie haben uns Container vor die Tür gestellt, die jeden Tag geleert werden“, berichtet er dankbar.